# taz.de -- Gefängnisse in Niedersachsen: An der Auslastungsgrenze | |
> Weil Niedersachsen Haftplätze abgebaut hat, sind die | |
> Justizvollzugsanstalten im Land ausgelastet. Helfen sollen Container. | |
Bild: Angespannte Lage: Zu über 98 Prozent belegt ist zum Beispiel die Justizv… | |
Göttingen taz | 59 Gefangene sind kurz vor Weihnachten vorzeitig aus | |
niedersächsischen Knästen entlassen worden. 52 Männer und sieben Frauen | |
kamen in den Genuss der sogenannten Weihnachtsamnestie. Voraussetzung war | |
jeweils, dass die restliche Haftzeit höchstens noch einen Monat betrug und | |
das Verhalten des oder der Gefangenen frei von Beanstandungen war. Den von | |
der Amnestie Begünstigten aus zwölf Justizvollzugsanstalten (JVA) wurden | |
insgesamt 1.146 Hafttage erlassen. | |
So richtig Platz hat die vom Justizministerium in Hannover gewährte | |
Weihnachtsamnestie in den Gefängnissen des Bundeslandes nicht geschaffen. | |
In mehreren der insgesamt 14 JVAs des Landes liegen die Belegungsquoten | |
bei der Strafhaft bei über 99 Prozent, bei der Untersuchungshaft sind es | |
teilweise sogar 100 Prozent. Die Lage sei „durchaus angespannt“, heißt es | |
im Ministerium. Und: „Der aktuelle Zustand ist nicht wünschenswert.“ | |
Jeweils zu über 99 Prozent sind die Knäste in Bremervörde und Celle | |
ausgelastet, mit mehr als 98 Prozent Belegung folgen die Gefängnisse in | |
Sehnde und Hannover. Die JVA Bremervörde ist im Übrigen das erste | |
teilprivatisierte Gefängnis in Niedersachsen. Ein privater Dienstleister um | |
die „BAM PPP JVA Bremervörde Projektgesellschaft mbH“ erbrachte oder | |
erbringt im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft die Planung, den | |
Bau, die Finanzierung und Teile des Betriebes. | |
Vergleichsweise viel Platz gibt es derzeit im Frauenknast in Vechta mit | |
rund 71 Prozent sowie im Jugendknast Hameln mit etwa 66 Prozent Belegung – | |
mit 793 Haftplätzen ist Hameln die größte Jugendstrafanstalt Deutschlands. | |
Insgesamt sind in Niedersachsen zurzeit rund 4.750 Männer und Frauen | |
inhaftiert. | |
Draußen bleiben müssen rechtskräftig verurteilte Straftäter und | |
Straftäterinnen aber keinesfall, betont das Ministerium. Niemand brauche | |
auf seine Inhaftierung zu warten. Notfalls würden Zellen eben vorübergehend | |
doppelt belegt, außerdem gebe es hier und da noch stille Reserven. In | |
Vechta wurde bereits die Untersuchungshaft für Jugendliche aufgelöst, um | |
Platz für Strafgefangene zu schaffen. Auch eine zeitweise Verlegung von | |
Häftlingen in andere Bundesländer ist demnach eine Variante. | |
Die wesentliche Ursache für die Situation ist selbst verschuldet: | |
Niedersachsen hat in den vergangenen Jahren nämlich rund 600 Haftplätze | |
abgebaut – vor allem durch die Schließung der Haftanstalt Salinenmoor, | |
einer Abteilung der JVA Celle, im Jahr 2014. Ausschlaggebend sei damals | |
neben baulichen Gründen vor allem die Erwartung gewesen, dass die | |
Bevölkerungszahl zurückgehe und somit auch weniger Plätze für Gefangene | |
gebraucht würden, sagte ein Sprecher des Justizministeriums. Inzwischen | |
gebe es aber wieder einen verstärkten Zuzug nach Niedersachsen. | |
Deshalb will das Bundesland nun wieder neue Haftplätze schaffen. Zunächst | |
sollen in den Justizvollzugsanstalten Hannover und Lingen 30 bis 35 neue | |
Plätze für Gefangene entstehen. Dafür will die Landesregierung 1,5 | |
Millionen Euro locker machen. Möglicherweise werde noch nachgelegt, hieß | |
es. Mittelfristig werde eine durchschnittliche Belegungsquote von 90 | |
Prozent angestrebt. | |
Beim Maßregelvollzug für psychisch kranke und suchtkranke Straftäter | |
erscheint die Lage noch dramatischer. In den zehn Maßregelvollzugskliniken | |
in Niedersachsen gibt es 1.231 Betten. Durchschnittlich müssten Täter | |
derzeit acht Monate auf einen Platz im Maßregelvollzug warten, so das | |
Justizministerium. Zum letzten Stichtag Anfang Oktober warteten 87 | |
Suchtkranke auf einen Klinikplatz, 31 davon bereits seit dem vergangenen | |
Jahr. Psychisch kranke Straftäter dagegen werden unverzüglich in den | |
Maßregelvollzug aufgenommen. | |
Nach Angaben von Landesjustizministerin Carola Reimann (SPD) sollen von | |
Gerichten in den Maßregelvollzug eingewiesene Straftäter vorübergehend in | |
Containern und Modulbauten untergebracht werden. Zudem sei ein weiterer | |
Ausbau der Maßregelkliniken und ein Aufstocken des Personals geplant. Für | |
2020 ist im Haushalt aber dafür kein Geld eingestellt. | |
Von den 59 Gefangenen, die Ende 2019 in den Genuss der Weihnachtsamnestie | |
kamen, lehnten drei im Übrigen ihre vorzeitige Haftentlassung ab. Dazu | |
werde auch niemand gezwungen, niemand werde gegen den eigenen Willen „vor | |
die Tür gesetzt“, erklärte das Ministerium. 2018 war eine aufgrund der | |
Weihnachtsamnestie vorzeitig entlassene Frau wenige Tage nach ihrer | |
Entlassung beim Diebstahl erwischt worden. Im Zuge eines beschleunigten | |
Verfahrens wurde sie noch vor dem Weihnachtsfest vom Amtsgericht Hannover | |
zu zwei weiteren Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. | |
28 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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