| # taz.de -- Reisepläne in der Pandemie: Was vom Urlaub übrig bleibt | |
| > Trotz aller Beschränkungen packen viele ihre Koffer – und brechen in den | |
| > Sommerurlaub auf. Wir haben uns umgehört. | |
| Bild: Mit dem Rad zum See | |
| ## Freizeit statt Festivals | |
| Wunsch: Im Sommer verreise ich selten, da ist es ja auch in Berlin schön. | |
| Zwei Rituale habe ich jedoch: Aufs Melt!-Festival gehen, wo wir mit | |
| Freunden unser eigenes Programm verfolgen: Wir zelten einige Kilometer | |
| entfernt an einem See und gehen abends zur Musik. Das findet diesmal leider | |
| nicht statt. Außerdem zelte ich mit meinem Freund, der in England lebt, auf | |
| einer Farm am Meer, die jedes Jahr im August zum Zeltplatz wird. | |
| Realität: Ich habe [1][Radtouren für mich wiederentdeckt]. Zudem gehe ich | |
| oft ins Freibad, aber das mache ich eigentlich immer. Man muss dieses Jahr | |
| mitnehmen, was mitzunehmen ist; der nächste Winter wird sicher extra | |
| ungemütlich. Eventuell fliege ich zum Zelten nach Großbritannien – wenn die | |
| Quarantänepflicht dort ausgesetzt wird. Eigentlich fahre ich lieber Zug, | |
| aber gerade scheint mir das Fliegen pragmatischer, wenn man nicht allzu | |
| lange mit Menschen in Räumen feststecken will. | |
| [2][Stephanie Grimm], taz-Shop & -Empfang und freie Kulturautorin | |
| ## Ticket kaufen und los geht's | |
| Wunsch: Eine Touristikerin zu fragen, wohin sie gern reisen würde, ist | |
| schwierig. Mir geht es ja generell ums Reisen und darum, neue Länder | |
| kennenlernen. Im Sommer würde ich etwas Europäisches aussuchen, und im | |
| Herbst eine Rundreise durch Thailand und Kambodscha machen wollen. Meine | |
| Freiheit ist mir sehr wichtig. | |
| Realität: Fernziele sind gerade nicht möglich. Mich machen die ganzen | |
| Nachrichten langsam kirre und ich möchte wieder sorglos buchen und reisen | |
| können. Einfach ein Ticket kaufen und los geht´s! Wahrscheinlich werde ich | |
| nach Italien in ein schönes Hotel in Strandnähe fliegen. Dadurch, dass die | |
| [3][Reisewarnung für zahlreiche Länder Europas aufgehoben] wurde, kümmern | |
| sich die Reiseveranstalter um alles, falls es vor Ort eine Pandemie geben | |
| sollte. | |
| Nilgün Özkan, Inhaberin des Reisebüros „Call and travel“ | |
| ## Joggen mit Bier in der Hand | |
| Wunsch: Urlaub bedeutet für mich reisen und Freunde treffen. Das ist gerade | |
| schwierig. Zurzeit würde ich nur in ein Flugzeug steigen, um meine Familie | |
| in London und Brighton zu besuchen. Normalerweise ist mein Sommerurlaub | |
| eine Verlängerung eines Aufenthalts nach einem Auftritt irgendwo. | |
| Realität: Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich beruflich [4][schon | |
| viel fliege]. Der Sommer ist sowieso die blödeste Zeit, um in den Süden zu | |
| reisen. In der Nähe Berlins gibt es doch schöne Seen, und die Ostsee liegt | |
| um die Ecke, das reicht eigentlich, oder? Wir sollten wirklich nicht | |
| meckern. Man konnte in Berlin während des Lockdown sogar mit einem Bier in | |
| der Hand joggen gehen, erzähl das mal einem US-Amerikaner! Im Winter | |
| bekomme ich dann wieder Sehnsucht nach Wärme und kulturellem Austausch – im | |
| Januar war ich in Sri Lanka, wo meine Eltern ursprünglich herkommen und im | |
| März habe ich in Bangkok gespielt und dort Audio-Workshops beim Goethe | |
| Institut gegeben | |
| [5][Perera Elsewhere], DJ, Produzentin und Sängerin (EP „Thrill“, 2019) | |
| ## An den Hund gewöhnen | |
| Wunsch: Ich wäre gerne [6][nach Georgien] gefahren. Dahin konnten wir wegen | |
| Corona aber schon im März nicht, als der georgische Schriftsteller Giwi | |
| Margwelaschwili beerdigt wurde. Dabei habe ich ein Faible für den Südosten | |
| und zum Beispiel die Länder Ex-Jugoslawiens schon oft bereist. | |
| Realität: Meine Frau Kristine und ich machen unsere Ferienplanung immer | |
| recht kurzfristig. Erst dachten wir, wir fahren zur Ostsee. Aber da wollen | |
| jetzt alle hin, das ist mir angesichts von Corona etwas suspekt. Jetzt | |
| fahren wir wahrscheinlich an den Chiemsee nach Bayern, wo eine Freundin ein | |
| Haus mit viel Platz hat. Und vor allem kommen wir auch ohne Probleme mit | |
| unserem Hund dahin. Den haben wir noch nicht lange. Wir wollen die freie | |
| Zeit dazu nutzen, um uns aneinander zu gewöhnen. | |
| Jörg Sundermeier, zusammen mit Kristine Listau Leiter des [7][Verbrecher | |
| Verlags] | |
| ## Couchsurfen mit Zelt | |
| Wunsch: Nach zwei Monaten im Homeoffice kann ich meine Wohnung nicht mehr | |
| sehen. Allerdings ist durch Covid-19 auch meine Sehnsucht nach anderen | |
| Ländern eingedampft worden. Positiv ist, dass man dadurch das lokale Umfeld | |
| wieder wertschätzen lernt. Und das Umland Berlins hat ja viel zu bieten. | |
| Realität: Ich will mit meinem Freund eine Fahrradtour machen. Wir wissen | |
| noch nicht genau, wohin, nur dass es Richtung Norden gehen soll, vielleicht | |
| auch nach Polen. Dafür ist aber klar, dass wir zelten. Nur nicht auf | |
| Campingplätzen, sondern über die Webseite „[8][1nighttent]“. Das | |
| funktioniert wie Couchsurfen, nur mit Zelt. Auf einer Karte sind Gastgeber | |
| verzeichnet, die Campern etwa ihren Garten für eine Nacht kostenlos zur | |
| Verfügung stellen. | |
| [9][Bernadette La Hengst], Musikerin und Sängerin („Wir sind die Vielen“, | |
| 2019) | |
| ## Wird die Warnung aufgehoben? | |
| Wunsch: Urlaub bedeutet für mich Zeit zu haben für die Familie. Entspannung | |
| am Strand und viel in der Natur zu sein. Einfach Muße zu haben. Am liebsten | |
| wäre ich dieses Jahr in die Türkei gefahren. | |
| Realität: Einen neuen Koffer habe ich schon gekauft und schaue nach Flügen | |
| und Ticketpreisen und [10][hoffe, dass die Reisewarnung für die Türkei | |
| aufgehoben wird]. Und wenn nicht? Mit den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen | |
| könnte ich mir schon noch vorstellen, in die Türkei zu fliegen. Sonst | |
| werden wir mit den Kindern viele Berliner und Brandenburger Seen besuchen. | |
| In die Stadtbäder zu gehen, kostet mich Zeit und Nerven, weil man Online | |
| buchen muss. Wie sollen das denn ältere Menschen machen? | |
| Oya Teksoy, Rechtsanwaltsgehilfin | |
| ## Wie als Kind nach Kärnten | |
| Wunsch: Ich wollte schon letztes Jahr nach Österreich, das hat leider nicht | |
| geklappt. Deswegen hoffe ich, dass mein Wunsch dieses Jahr in Erfüllung | |
| geht und ich mit meiner Einzelfallhelferin dorthin fahren kann. Meine | |
| Kindheitserinnerung an Österreich: auf einem Bauernhof in Kärnten mit | |
| meiner Mutter, Schwester, Oma und Opa Kaiserschmarrn und Wiener Schnitzel | |
| mit Pommes essen. Wir hatten nicht viel Geld, und es war schon teuer für | |
| uns. Damals stand die Mauer noch, man musste mit Schilling bezahlen – ich | |
| habe immer noch eine Ein-Schilling-Münze bei mir Zuhause. | |
| Realität: Wir warten noch ab. Damit wir in Österreich nicht in Quarantäne | |
| müssen, falls es wieder einen Lockdown gibt. Könnte ich Auto fahren, wäre | |
| ich längst los. Ich brauche aber immer jemanden, der mich begleitet. | |
| [11][Christian Specht], Aktivist in der Behindertenpolitik, hat seinen | |
| Arbeitsplatz in der taz | |
| ## Dem Rauschen lauschen | |
| Wunsch: Wir haben schon im Januar beschlossen, dass wir in Frankreich | |
| campen wollen. Ein Bekannter empfahl einen Campingplatz, den er seit den | |
| 1970ern ansteuert. Mit ihm waren wir vergangenen Sommer dort, da war ich | |
| noch eher skeptisch, was Camping angeht, musste aber wider Erwarten | |
| feststellen: Mehr als ein rudimentär ausgestattetes Häuschen am Meer | |
| brauche ich nicht! | |
| Realität: In einem „Wir-passen-alle-gerade-so-rein“-Auto fahren wir, mein | |
| Freund, ich und meine zwei Kinder, in Etappen nach Frankreich. Morgens los, | |
| fünf Stunden fahren, abends in einer Absteige mit Pool unterkommen und | |
| weiter – bis nach Aquitanien. Wir freuen uns, wenn die Kinder baden und | |
| rumtoben können, während wir entspannen und lesen. Nach der Quarantänezeit | |
| sehne ich mich danach, dem Meer beim Rauschen zuzuhören. | |
| [12][Sunny Riedel], taz.eins-Redakteurin | |
| ## Sommer der Verwirrung | |
| Wunsch: Vor 20 Jahren habe ich mich in die Kanareninsel Lanzarote verliebt. | |
| Ich mag die Stille, den Wind, den Atlantik, die Feuerberge und kann mich | |
| hier gut konzentrieren. Eigentlich wollte ich schon im April dorthin, um | |
| für meinen neuen Roman zu recherchieren, der auf der Insel spielt. | |
| Realität: Mir geht es wie den Bewohnern Lanzarotes, die sind auch hin und | |
| her gerissen: Sie leben zwar vom Tourismus, aber es gab bisher nur ganz | |
| wenige Coronafälle auf der Insel. Der strikte zweimonatige Lockdown hat | |
| dazu geführt, dass an der Küste sogar wieder Delfine aufgetaucht sind. Eine | |
| andere Option wäre gewesen, in die Türkei zu fliegen, doch die Regeln dafür | |
| ändern sich ständig. Nun vielleicht in den Spreewald? Es ist der Sommer der | |
| Verwirrung. | |
| [13][Moritz Rinke], Dramatiker („Leonore“, 2020) und Schriftsteller | |
| ## Mit dem Fahrrad an die Küste | |
| Wunsch: Eigentlich wollte ich nach Norditalien, in die Nähe von Genua. Ende | |
| April fragte ich mich: Geht Urlaub im Ausland dieses Jahr überhaupt? | |
| Italien war eben nochmal stärker von der Pandemie betroffen als | |
| Deutschland. | |
| Realität: Gerade weil diese Corona-Zeit anstrengend ist, wollte ich | |
| sichergehen, dass ich einen Sommerurlaub außerhalb von Berlin machen kann. | |
| Deswegen habe ich mich für eine Reise in Deutschland entschieden und mache | |
| eine zehntägige Fahrradtour entlang des Berlin-Kopenhagen-Radwegs nach | |
| Rostock. In der ersten Woche übernachte ich in Unterkünften auf dem Weg, | |
| die letzten drei Tage an der Küste. Ich hoffe, dass es nicht regnet – man | |
| kann sich hier ja nicht auf das Wetter verlassen. Anschließend fahre ich | |
| mit dem Auto nach Berchtesgaden in die Berge, um dort wandern zu gehen und | |
| in den Königssee zu springen, wenn das Wasser nicht zu kalt ist. | |
| [14][Katrin Gottschalk], taz-Chefredaktion | |
| ## Zimmer mit Aussicht | |
| Wunsch: Mein Bedürfnis nach Tapetenwechsel ist groß. Aber mein Partner und | |
| ich entscheiden uns meistens spontan. Ich habe türkische Wurzeln, und als | |
| Kind bin ich mit meinen Eltern jeden Sommer zum Familienbesuch nach | |
| Istanbul und Ostanatolien oder ans Meer gefahren. Doch Strandurlaub in der | |
| Türkei habe ich das letzte Mal vor rund 30 Jahren gemacht. Später wollte | |
| ich lieber die weite Welt kennenlernen. Beruflich komme ich aber immer noch | |
| in die Türkei. | |
| Realität: Die naheliegendste Option sind die Schweizer Berge. Freunde von | |
| uns haben im Engadin ein Haus, in einem Dorf nahe von St. Moritz fast ohne | |
| Touristen. Die Landschaft ist spektakulär: eine riesige Hochebene mit | |
| abgefahrenen Seen. Und im Sommer ist es nicht zu heiß, das mag ich. Wir | |
| sind da regelmäßig, quartieren uns aber inzwischen privat ein – unter den | |
| Corona-Umständen ist das ja eh besser. | |
| [15][Nevin Aladağ], Installationskünstlerin (ab 17.6.: Umbruch) | |
| ## Urlaub mit dem Enkel | |
| Wunsch: Meine Freundin und ich möchten unseren Enkel das erste Mal auf eine | |
| Fernreise mitnehmen. Er ist in der ersten Klasse, und wir wollten Anfang | |
| der Sommerferien für zweieinhalb Wochen mit ihm nach Korsika. | |
| Realität: Wir müssen schauen, ob Korsika klappt. Wir buchen sowieso nie | |
| weit vorher und warten jetzt erst recht ab. Verunsicherung schwingt aber | |
| schon mit: Wir sind beispielsweise ein wenig besorgt darüber, mitten im | |
| Urlaub davon überrascht zu werden, dass man nicht zurückdarf. Einen | |
| Back-up-Plan gibt es aber, nämlich unsere Datsche mit Gartengrundstück im | |
| Brandenburgischen, direkt am See gelegen. Das kennt der Enkel schon und | |
| dort kann man auch wunderbar Urlaub machen | |
| Andreas Bull, taz-Geschäftsführung | |
| ## Hoffen auf deutsche Touristen | |
| Wunsch: Der Sommer ist für mich normalerweise die Zeit, in der ich mein | |
| Geld für den Winter verdiene: Als Fahrrad-Guide zeige ich Schulklassen die | |
| Stadt. Wenn ich es mir leisten kann, fahre ich im Winter nach Lateinamerika | |
| – im Januar und Februar war ich in Argentinien, Uruguay und Chile. | |
| Realität: Der Tourismus in Berlin ist nahezu tot. Es bleibt nur die | |
| Hoffnung auf Gäste aus Deutschland. Aber wann es wieder Klassenfahrten | |
| geben wird, weiß im Moment keiner. Dafür habe ich nun Zeit, mit meiner | |
| Freundin Fahrradtouren durch Berlin und ins Umland zu machen. | |
| [16][Falko Hennig], Schriftsteller („Rikscha Blues“, 2019) und | |
| Touristenguide | |
| ## Nur ein Bett, kein Luxus | |
| Wunsch: In der Natur zu sein, baden zu gehen, sich dem Tag hingeben – das | |
| ist für mich der Inbegriff von Sommerferien. Zwei Wochen will ich darum | |
| [17][in meinem Ferienhaus] im niedersächsischen Wendland verbringen, es ist | |
| Teil einer alten Molkerei. Unabhängig davon liebe ich es, im Winter für | |
| drei bis vier Wochen nach Asien zu reisen. Das wollte ich eigentlich | |
| diesmal tun. | |
| Realität: Ich setze mich zu Hause ins Auto, muss nichts vorbereiten oder | |
| mitnehmen, alles ist da, selbst ein Fön. Im Wendland freue ich mich aufs | |
| Ausschlafen, Kaffee trinken auf der Terrasse Kaffee, mit dem Rad in drei | |
| Minuten am See sein, schwimmen, danach frühstücken. Den Rest des Tages | |
| lasse ich mich treiben: Radtouren, Leute treffen, lesen, joggen. Ich | |
| brauche nicht viel: Bett, Espressomaschine, Wasser – keinen Luxus. In | |
| diesem Jahr werde ich allerdings nicht nach Asien fliegen, um mich und | |
| andere keiner Gefahr auszusetzen. | |
| [18][Simone Schmollack], Ressortleiterin taz.de/Regie | |
| ## Norwegen statt Türkei | |
| Wunsch: Urlaub im Sommer ist für mich Urlaub am einem warmen Ort möglichst | |
| nah am Meer. Das heißt für mich konkret Urlaub bei den Großeltern in der | |
| Türkei, direkt an der Ägäis. Dort kann ich Surfen, Angeln und Schwimmen. Am | |
| liebsten hätte ich diesen Sommer dort mit meiner Freundin verbracht. | |
| Realität: Aufgrund der Ansteckungsgefahr im Flugverkehr und der schwierigen | |
| Lage in der Türkei wird der Urlaub nicht stattfinden. Wir haben die Reise | |
| storniert. Wenigstens ist jetzt der Flugverkehr zwischen Norwegen und | |
| Deutschland ab Juli möglich. Das heißt, ich kann nach fünf Monaten meine | |
| Freundin wiedersehen, die in Norwegen wohnt. Wahrscheinlich ist, dass wir | |
| den Sommer größtenteils zusammen verbringen werden, teils in Deutschland | |
| und teilweise in Norwegen. | |
| Selim Zille hat das Abitur abgebrochen und macht jetzt erst mal nichts | |
| 17 Jun 2020 | |
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| [15] https://nevinaladag.com/ | |
| [16] https://www.literaturport.de/Falko.Hennig/ | |
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