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# taz.de -- 7 Dinge, die uns den Sommer vermiesen: Cruel Summer
> Schwimmbad, Sonne, Wassermelonen: Der Sommer ist doch die schönste
> Jahreszeit! Wären da nicht ein paar fiese Kleinigkeiten …
Bild: Der Sommer, ein Horrormärchen: Gespinstmottenbefall auf Rügen
## Der Gestank
Seinen entgeisterten Gesichtsausdruck sehe ich noch genau vor mir, sein
panisches Zurückweichen, obwohl wir doch gerade noch so nett geplaudert
hatten. Er, der Berlin-Tourist, an den meine Schwester während des Sommers
ihre Wohnung vermietet hatte, und ich, die seinetwegen, trotz 36 Grad
Hitze, wie eine Irre den Prenzlauer Berg hochgeradelt war, nur damit er an
den Ersatzschlüssel kommt. Der Gute hatte sich nämlich, kaum war er
eingezogen, ausgesperrt, und ich sollte ihn nun aus seiner misslichen Lage
erlösen. Dabei hatte ich so was von keine Lust dazu, aber ignorieren ging
ja auch nicht, weil er mich gefühlte hundertmal angesimst und angerufen
hatte.
Jedenfalls stand der Untermieter schon vor meinem Haus, als ich völlig aus
der Puste angestrampelt kam. Er sah sehr dankbar aus, beteuerte, dass ich
ihm den Tag gerettet hätte, und hielt mir sogar die Tür auf, damit ich mein
Fahrrad hindurchschieben konnte. Mein Ärger verrauchte und machte Platz für
ein wenig Mitgefühl. Musste der Ärmste, der ohne einen Cent in der Tasche
der gleißenden Sonne ausgesetzt war, nicht schrecklich durstig sein? Ich
beschloss, ihm ein Glas Wasser anzubieten, sobald wir in der Wohnung waren.
Doch als ich die Tür aufstieß, verwarf ich diesen Gedanken sofort. Gütiger
Himmel! Was war denn hier passiert?! Ich musste augenblicklich würgen,
zeitgleich schoss mir durch den Kopf, dass es so wohl auch in der Wohnung
von Fritz Honka gerochen haben musste. Sie wissen schon: [1][Dieser
Hamburger Serienmörder], der arme, obdachlose Frauen mit zu sich nach
Hause genommen, gequält und massakriert hatte. Dichte Schwaden eines
süßlichen, modrigen, verwesenden Fleischgeruchs schlugen uns entgegen. Es
war eine nach Tod und Verderben stinkende Wand. Die Stimmung kippte. Mit
einem Mal wirkte der Untermieter meiner Schwester nicht mehr freundlich und
zugewandt, sondern scheu und ängstlich wie ein Reh. Ein Blick in seine
flackernden Augen genügte, um mir vorzustellen, wie er gerade panisch seine
Optionen durchging: Okay, das bisschen Karate wird nicht reichen, vor
allem, weil sie viel größer und schwerer ist als ich. Dann lieber voll eins
auf die Nuss und rennen …
Armer Untermieter, dachte ich noch, dann fiel mir die angebrochene Packung
Rinderhack im Mülleimer ein. Anna Fastabend
* * *
## Die Mücke
Es sind die kleinen Dinge, die das Leben schön machen, und es sind die
kleinen Tiere, die das Leben zur Hölle machen. Besonders Mücken. Mücken
haben eigentlich keine Existenzberechtigung. Vögel können ernsthaft auch
andere Sachen fressen, die meisten ernähren sich sowieso längst von den
Lebensmittelabfällen, die wir achtlos überall hinwerfen. Und außerdem geht
die Welt wegen Klimawandel sowieso bald unter, da könnten Mücken ruhig
schon mal vorgehen.
Mücken gehören zu einer Gruppe Lebewesen, die unverhältnismäßig viel Macht
hat und nichts damit tut, außer Terror über uns zu bringen und Hass zu
sähen. Brodelnden, den ganzen Körper ausfüllenden, porentiefen Hass. Von
der Lyrikerin Rupi Kaur gibt es ein Gedicht, in dem es heißt: „to hate is
an easy, lazy thing, but to love takes strength everyone has but not all
are willing to practice“. Also hassen ist leicht und faul, lieben ist
anstrengend.
Na ja. Man kann sich sehr viel Mühe geben, das Gute und Schöne in der Welt
zu sehen, man kann gut sein wollen zu sich und zu seiner Umwelt. Einfach
mal für jemanden die runtergefallenen 20 Cent aufheben, einfach mal sich
selbst im Spiegel anlächeln, einfach mal joy spreaden. Eine einzige Mücke
macht alles zunichte. Vielleicht ist die Menschheit nur deshalb niemals gut
geworden, weil Mücken Arschlöcher sind und das Hässlichste in uns
hervorbringen.
Der Hass im sommernächtlichen Angesicht der Stechmücke ist nicht easy.
Gerade war noch alles gut. Der Tag war lang und heiß, die Badesachen hängen
zum Trocknen am Fenster, die Schwüle hängt zum Einschlafen unter der
Zimmerdecke. Zufriedene Seele, wohlige Müdigkeit. Dann, aus dem Nichts:
dzzzzzdzdzzdzzzz. Panik, Licht an, wo ist sie?! Licht aus, atmen,
dzzzzzdzdzzdzzzz. Wut, Hass, Verzweiflung. Licht an, alles absuchen:
Zimmerdecke? Kleiderschrank?! dzzzzzdzdzzdzzzz, KLATSCH,
dzzzzzdzdzzdzzzz, STICH HALT ZU, NIMM MEIN BLUT, nimm meine Würde, aber
mach mich nicht zum Monster, ich habe schließlich sehr lange an meiner
liebevollen Zartheit gearbeitet, du ARSCHLOCH! Ich erschlage das Biest mit
einem Rupi-Kaur-Gedichtband, Blut auf Raufaser, meins, ihrs. Der Mensch ist
schlecht, die Welt geht unter. Und schuld ist allein die Mücke. Lin Hierse
* * *
## Der Palmenkiller
Ihre majestätisch lang herunterhängenden, dunkelgrünen Wedel waren über
Nacht gelb geworden. Die 25 Meter hohe Palme, die so alt ist wie ich und
die ein Freund meines Vaters in den Garten unseres Hauses an der
kroatischen Adria pflanzte, ist letztes Jahr gestorben. Der einzige Trost
war, dass die zweite Palme, genauso alt, zunächst keinerlei
Ermüdungsanzeichen zeigte. Doch als ich vor einigen Wochen [2][an der Adria
war], lag auch diese stolze Pracht wie eine aufgelassene Fabrikruine auf
dem Boden.
Neben den hellgrünen Kiefern, dem bunten Oleander, dem blauen Meer und den
graugrünen Olivenbäumen ist die Palme das Wahrzeichen des Mittelmeers. Hier
legt sich jede Strandpromenade, die was auf sich hält, einen Saum von
Palmen zu.
Das Sterben der Palmen ist keine kroatische Spezialität. Seit etwa 15
Jahren verschwinden sämtliche Dattelpalmen in der Mittelmeerregion. Von
Ibiza bis Marseille, von Kreta bis Lissabon, von Split bis Palermo: der
gesamte Dattelpalmenbestand Europas ist kurz davor, auszusterben, auf
Mallorca sind inzwischen 95 Prozent aller Palmen tot, und es gibt bereits
erste Meldungen, dass auch andere Palmenarten befallen sind.
Der Befaller ist ein Killer. Es ist der Rote Palmrüssler, ein recht hübsch
aussehender Käfer mit gemustertem rotbraunem Panzer und fiesem Rüsselgerät.
Er stammt ursprünglich aus Asien und kam durch den Import von Palmen nach
Europa. Da er fliegen kann, fliegt er, nachdem er den Baumstamm von innen
aufgefressen und seine Larven reingelegt hat, einfach zur nächsten Palme.
Und blöderweise machen ihm dabei weder das europäische Klima noch heftige
Giftspritzen irgendwas aus.
Seine Larven werden zu megafetten Würmern, die sich im Stamm in einem Kokon
aus Palmenfasern fett fressen. Die Sagowurm genannte Fettmade gilt übrigens
in Südostasien als Delikatesse. Und wenn sich nicht irgendwer was einfallen
lässt, werden zukünftig die Sommer wie die Winter am Mittelmeer ohne Palmen
und ohne Datteln, dafür mit Wurmmehlfalafel stattfinden. Doris Akrap
* * *
## Der Balkonlärm
Wenn Sie nachts auf Ihren Balkonen sitzen und palavern, bedenken Sie, dass
die Straßenschluchten wie Amphitheater sind. In der Umgebung hören Menschen
alles mit und meistens sehr deutlich. Denn nachts sind die anderen
Umgebungsgeräusche heruntergedimmt. Wir wissen also, worüber Sie sprechen.
Wir können ein Persönlichkeitsprofil von Ihnen entwickeln, besser als
Google und Facebook; und wir bedauern Sie mitunter ob ihres politischen,
geografischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Halbwissens, das
wir zu hören bekommen.
Eigentlich wollen wir mitten in der Nacht schlafen und freuen uns, dass wir
dies wetterbedingt derzeit bei offenem Fenster tun können. Aber wir können
es nicht, wenn wir dabei an Ihrem geredeten Unsinn – und mitunter auch an
Ihren sehr privaten Informationen – teilhaben müssen. Wir wollen schlafen,
und nicht von einer Performance geweckt und wach gehalten werden, die
zeigt, wie ignorant und unsozial Leute sein können, wie wenig sie sich
vorstellen können, dass sie nicht allein auf einer Insel leben, sondern in
einer Großstadt.
Großstädte heißen so, weil da viele Menschen auf engem Raum zusammenwohnen.
Man muss, das wäre eigentlich das Normale, Rücksicht aufeinander nehmen.
Nachts beispielsweise schreit man nicht rum. Zu Ihrem eigenen Wohl sei
Ihnen geraten: Flüstern Sie, wenn Sie nachts auf den Balkonen hocken. Damit
Sie nicht ihr Gesicht verlieren. Waltraud Schwab
* * *
## Die Gespinstmotte
Die Gespinstmotte mag harmlos sein, sie versetzt einen aber in Angst und
Schrecken, indem sie in Grünanlagen eine dystopische Alien-Atmosphäre
schafft: Die Würmer spinnen Bäume und Büsche derart ein, dass man sich
nicht sicher sein kann, ob ein Schaufensterdekorateur den Frühsommer mit
Halloween verwechselt hat oder Außerirdische / Besuch aus der Hölle /
Abgesandte des Jenseits vorbeigeschaut haben, um Mutter Natur einen
tödlichen Kuss zu verpassen.
Keine Spur mehr von grünem Blattwerk, stattdessen ist alles überzogen von
weißem „Gespinst“ und dekoriert nicht etwa mit Weihnachtskugeln, sondern
herabhängenden, wuselnden Wurmknäueln. Ein „Naturschauspiel“ flötet nun
mancher begeistert – und eine Party für Vögel, die sich am Gewürm laben und
sie auch dem piepsenden Nachwuchs zukommen lassen. Immerhin seien es ja
keine Eichenprozessionsspinner, die einen mit ihren toxischen Flimmerhaaren
in die Notaufnahme bringen könnten, trösten andere. Zumal ja auch Busch und
Baum nicht wirklich in Mitleidenschaft gezogen würden, seien sie doch
spätestens zum zweiten Blattaustrieb wieder fit.
Ja, all dies mag sein. Aber schön geht nun wirklich anders. Martin Reichert
* * *
## Der Schweißfleck
Steigt die Temperatur draußen auf über 24 Grad, wird es morgens für mich
kompliziert. Es bricht die Zeit an, in der der Griff in den Kleiderschrank
nicht mehr wahllos bleiben kann. Denn viele meiner T-Shirts verweilen im
Sommer mehr oder weniger ordentlich gefaltet im Fach. Die gelben und die
ganz dünnen, manche graue und das schöne lilafarbene. Einige schwarze,
dickstoffige weiße und alle gestreiften – oh ja, die gestreiften! – sind
dagegen in der heavy rotation.
Der Grund: Ich schwitze. Na gut, wir alle schwitzen, und ich weiß gar
nicht, ob ich mehr schwitze als der Rest. Aber ich schwitze jedenfalls auch
gern mal vorne, so unterhalb der Brust. Und nach der morgendlichen
Fahrradfahrt ins Büro setzt das gefürchtete Nachschwitzen ein. Erreiche ich
dann den vierten Stock – natürlich per Fahrstuhl – habe ich bei falscher
T-Shirt-Wahl am Morgen diese so verhassten Schweißflecken im
Unterbrustbereich.
Wären sie unter den Achseln, kein Ding. Wären sie an Rücken und Schultern,
wo der Rucksack den Fahrtwind davon abhält, seinen Dienst an der Haut zu
tun, kein Ding. Aber da vorne: Horror!
Ich schäme mich, weil ich schwitze, und ja, ich weiß, das muss ich nicht.
„Mach mal mehr Sport“, sagt dann Mitbewohner Ph., wenn er mit trockener
Haut aus dem Fitnessstudio kommt, „dann schwitzt du nicht so stark.“ Ja,
ja, für alles hat er eine Lösung. Dann trage ich halt im Sommer nur die
weißen, schwarzen und die gestreiften Shirts und schwitze heimlich. Paul
Wrusch
* * *
## Die Gummiflusskrankheit
Maß und Mitte, bitte. Maß und Mitte! Das ist der Appell, das Stoßgebet
fast, wenn man als Kleingärtner ab Mitte Juni das Gartentor aufsperrt. Die
Botanik steckt nun in einer Phase, in der es nur zwei Wachstumszustände
gibt: Wuchern und Krepeln. Die Hecke, die erst vor zwei Wochen auf 125
Zentimeter gestutzt wurde, hat schon wieder meterlange Triebe entwickelt,
der Wein hängt in einem wilden Dickicht von den Balken der Pergola hinab.
Der Rasen dagegen hat in der Brandenburger Dürre schon seit Wochen das
Wachstum eingestellt. Der Mangold ist auch nicht gewachsen. Größere Blätter
finden in der Nacht sofortigen Absatz, ich tippe auf die Gemüseeule, ein
unscheinbarer Schmetterling mit sehr gefräßigen Larven. Ich kann mich
erinnern, noch vor drei Jahren, da wucherte der Mangold so wie heute der
Wein.
Ach, es wäre so schön, wenn alles gesund und gemächlich nebeneinander
wachsen würde. Dazu hat man allen genug Raum geschaffen, den richtigen
Platz an der Sonne gegeben und düngt auch hin und wieder. Aber trotzdem:
Jedes Jahr wirft eine andere Pflanze den Turbo an, und was den Nachbarn zu
schaffen macht, darauf ist man nie vorbereitet. Vorbereitet ist man nämlich
meist nur durch die Erfahrungen des Vorjahrs. Auch wenn man weiß, die erste
Gärtnerregel heißt: Es kommt immer genau anders als im Vorjahr.
Dieses Jahr war ich gegen die Blattlaus gewappnet. Das war ein Ansturm
2020: Die halbe Erbsenernte raffte es dahin, der Mangold litt, die Bohnen
waren nicht verzehrbar, sogar oben in der Kirsche bohrten sich die Läuse
ins Laub. Weil Marienkäfer gegen die Läuse helfen, schaffte ich noch zwei
Insektenhotels an, recherchierte für alle Fälle, wo Marienkäferlarven zu
beschaffen wären.
Aber Fehlanzeige: Ich habe in diesem Jahr noch keine Blattlaus gesehen, die
Erbsenernte ist auch gut. Dafür hat die Kirsche, die in den drei
vergangenen Jahren der größte Baum im Garten geworden ist, eine Krankheit:
An den Astansätzen sitzen große, glasklare und etwas elastische Pfropfen.
Sie erinnern an jenes Kunstharz, mit dem wir im Werkunterricht Insekten in
durchsichtige Würfel eingegossen haben. In einem der Pfropfen steckt
tatsächlich eine Blattlaus.
Das Internet erzählt mir, die Kirsche habe die Gummiflusskrankheit. Warum?
Die übermäßige Harzproduktion, übersetze ich mir die Infos, ist wie eine
allergische Reaktion auf eine Kombination aus Hitze, Trockenheit,
Schädlinge oder Pilze. Ich soll den pH-Wert des Bodens untersuchen. Nein,
das nicht auch noch! Ich entscheide, die Harzpfropfen schön zu finden –
mindestens bis nächstes Jahr. Jörn Kabisch
11 Jul 2021
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## AUTOREN
Jörn Kabisch
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Paul Wrusch
Waltraud Schwab
Martin Reichert
Doris Akrap
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