# taz.de -- Die These: Stressfaktor Sommer | |
> Endlich Freibad! Endlich Urlaub! Endlich Grillen! Endlich alles! Der | |
> Deutschen liebste Jahreszeit ist vor allem eines: Überforderung pur. | |
Bild: Arschbombe voraus: Der Sommer kann so schön anstrengend sein | |
Hach, Sommer! Alle Probleme sind vergessen (na gut, in Rosé ertränkt), die | |
Sonne scheint (wenn es nicht gerade bis zur Überschwemmung regnet) und man | |
darf sich endlich wieder umarmen (es machen jedenfalls alle, ständig, | |
überall). Nach Monaten der Entbehrung sind wir mittendrin in der | |
ausgewiesenen Lieblingsjahreszeit der Deutschen, jetzt muss schnell alles | |
nachgeholt werden, was uns im Herbst, Winter und Frühling verwehrt blieb. | |
Pandemie, ähm, [1][war da was?] | |
Gut, die Urlaubsplanung ist in diesem Sommer etwas speziell: Die einen sind | |
sofort nach der Verkündung der Lockerungen für zehn Tage an die Ostsee | |
aufgebrochen, um sich dort gemeinsam mit allen anderen endlich mal wieder | |
Ruhe und Entspannung zu gönnen. Die anderen wissen immer noch nicht, ob, | |
wann und wohin sie fahren sollen; sie [2][beobachten unruhig die | |
Inzidenzwerte], grübeln, ob ein Urlaub wirklich vertretbar ist und ob er | |
nicht womöglich ins Hochrisikogebiet fällt, wenn sie erst in der Nachsaison | |
buchen. Wieder andere können sich nach dieser finanziell schwierigen Zeit | |
gar keinen Urlaub leisten. Eine vollumfängliche Leichtigkeit will sich | |
irgendwie nicht so richtig einstellen. | |
Aber machen wir uns nichts vor: Der Sommer war immer schon anstrengend. In | |
diesem Jahr, unter dem pandemischen Brennglas, wird das nur noch deutlicher | |
als sonst. Das Bedürfnis, alles nachzuholen, wonach wir uns in den langen, | |
kalten Monaten gesehnt haben, der Ausblick auf den nahenden Herbst – alles | |
wie immer, nur krasser. Die Erzählung von endlos langen, unbeschwerten | |
Sommertagen und flirrender Leichtigkeit ist eine Utopie, ein Relikt aus der | |
Kindheit, als sich sechs Wochen Sommerferien anfühlten wie ein ganzes | |
Leben. | |
Keine andere Jahreszeit birgt so viele Verheißungen wie der Sommer | |
(logisch, sonst hieße es ja auch Verkaltungen): Gartenpartys, braune Beine, | |
nächtliche Arschbomben in den See! Endlich nicht mehr wissen, wo der eigene | |
Körper endet und die Luft anfängt, endlich nicht mehr einsam sein, sondern | |
verbunden mit der Welt! | |
## Die Erwartungen steigen mit den Temperaturen | |
Doch Verheißungen implizieren eben immer auch Erwartungen. Und die steigen | |
synchron mit den Temperaturen. Am Ende ist man allein vom Gedanken an | |
alles, was man eigentlich machen sollte, ganz erschöpft, aber wer deshalb | |
beschließt, im abgedunkelten Zimmer lieber ein bisschen fernzusehen, hat | |
sie ja wohl nicht alle. Hallo, es ist Sommer, da muss man doch raus! | |
Irgendwann knicken selbst diejenigen ein, die sich von der Sonne nicht | |
vorschreiben lassen, wie sie ihren Tag verbringen. Sie gehen picknicken im | |
Park, tauschen die Turnschuhe gegen luftigere Modelle und schmoren | |
zufrieden im eigenen Saft, der ihnen die Kniekehlen, Bauch- und Pofalten | |
hinunterrinnt. Aber gerade dann, wenn sie sich endlich so richtig auf den | |
Sommer eingelassen haben, ist er schon fast wieder vorbei. | |
Es beginnt damit, dass Anfang Juni der erste Newsletter mit dem Betreff | |
„Sommerschlussverkauf“ im Posteingang landet, woraufhin das Anti-Stress-Deo | |
augenblicklich versagt. Moooment, man war noch nicht mal anbaden, wie soll | |
man den vorbeieilenden Sommer jetzt bloß noch einholen? Also rennt man los | |
und macht alles, was man eben so macht, während einem auf halber Strecke | |
der 21. Juni durchs Megafon zuruft: „Ab heute werden die Tage wieder | |
kürzer!“ | |
## Wie viele Kugeln Eis, wie viele Sonnenstrahlen? | |
Spätestens dann ist es Zeit für eine Bilanz. Wie oft saß man bis spät in | |
die Nacht auf dem Balkon, wie viele Aperol Spritz hat man getrunken, wie | |
oft Wassermelone-Feta-Minz-Salat gemacht, wie viele Kugeln Eis hat man | |
gegessen, wie viele neue Espadrilles hat man gekauft, weil die alten das | |
warme Sommergewitter nicht überlebt haben? | |
Wie oft lief man mit nackten Füßen durchs Gras, wie viele Bienenstiche | |
hatte man, schmerzhafte und schmackhafte? Wie oft lag man einfach nur rum | |
und guckte in den blauen Himmel? Wie oft war man im Freiluftkino, hat | |
Tischtennis gespielt, wie viele Tuben Sonnencreme geleert, [3][wie viele | |
Picknicks gemacht]? Hat man wie Frederick genug Sonnenstrahlen und Farben | |
gesammelt, um den nächsten Winter zu überstehen – oder ist einem selbst | |
eine Feldmaus überlegen, wenn es darum geht, aus dem Vollen zu schöpfen? | |
Die gute Nachricht ist, dass der Herbst schon winkend im Ziel steht. Ohne | |
Stoppuhr, ohne Druck. Und wenn der Spätsommer dann auch noch unerwartet | |
lau, der Oktober golden und der November knackig bunt wird, spürt man | |
endlich wieder ein bereits verloren geglaubtes Gefühl: Dankbarkeit. Weil | |
nichts mehr muss, sondern nur noch kann. | |
7 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
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