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# taz.de -- Justizministerin Lambrecht über NetzDG: „Wir müssen nachbessern…
> Christine Lambrecht plant, die Strafverfolgung von Hassrede zu
> vereinfachen. Außerdem will sie die Rechte von Nutzern sozialer Netzwerke
> stärken.
Bild: Subtil ist anders: Online-Aufruf zum Mord an Politikern
taz: Frau Lambrecht, Sie wollen soziale Netzwerke verpflichten,
rechtswidrige Hass-Postings dem Bundeskriminalamt zu melden. Wo in der Welt
gibt es so etwas?
Christine Lambrecht: Eine solche Meldepflicht für strafbaren Hass gibt es
unseres Wissens bisher nirgends. Deutschland wird Vorreiter sein.
Sind wir besonders straffreudig?
Nein. Aber wir haben mehr Erfahrung. In Deutschland wurde schon 2017 das
Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken –
kurz „NetzDG“ – beschlossen. Seit 2018 müssen Anbieter sozialer Netzwerke
wie Facebook dafür sorgen, dass offensichtlich rechtswidrige Hass-Postings
in der Regel binnen 24 Stunden gelöscht werden. Auch dabei waren wir
Vorreiter.
Hat sich das NetzDG nicht bewährt?
Doch. Wir müssen aber in zwei Richtungen [1][nachbessern]. Zum einen genügt
es nicht, strafbare Inhalte nur zu löschen, wir wollen auch die
Strafverfolgung sicherstellen. Deshalb die Meldepflicht. Und wenn ein
Netzwerk etwas zu Unrecht löscht, müssen wir die Rechte der betroffenen
Nutzer stärken. Für beides habe ich Gesetzentwürfe vorgelegt.
Beginnen wir mit der Strafverfolgung. Für wen gilt die neue Anzeigepflicht?
Die Meldepflicht gilt für alle Anbieter sozialer Netzwerke mit mehr als
zwei Millionen Nutzern in Deutschland: Facebook, Youtube, Twitter,
Instagram und Tiktok. Das sind die Plattformen, für die das
Beschwerdemanagement des NetzDG auch bisher galt.
Müssen die Netzwerke nun ihre Seiten auf strafbare Inhalte durchkämmen?
Nein, sie müssen dem BKA nur dann Hass-Postings mit Volksverhetzungen und
Morddrohungen melden, wenn es eine konkrete Beschwerde gibt und das Posting
daraufhin gelöscht wird.
Hat es bisher die Strafverfolgung behindert, wenn Post gelöscht wurden?
Nein, die gelöschten Hass-Postings mussten vom Netzwerk auch bisher zehn
Wochen lang gespeichert werden, für den Fall, dass jemand Strafanzeige
stellt.
Nehmen wir an, ich werde bei Facebook bedroht: „Noch so ein Text und Du
bist Hackfleisch.“. Ich beschwere mich deshalb bei Facebook. Das Posting
wird gelöscht und das BKA wird informiert. Was macht das BKA künftig mit so
einer Meldung?
Wenn das Posting unter dem Klarnamen des Verfassers erfolgt ist, wird das
BKA den Fall an die zuständige Staatsanwaltschaft am Wohnort des
mutmaßlichen Täters weiterleiten, die dann die konkreten Ermittlungen
aufnimmt.
Wie geht das BKA vor, wenn der Hetzer ein Pseudonym wie „Hitler-2“ benutzt?
Facebook muss dem BKA auch melden, mit welcher IP-Adresse der Nutzer
zuletzt unterwegs war. Das BKA kann dann bei den Internet-Providern – etwa
der Deutschen Telekom – abfragen, welchem Nutzer diese IP-Adresse zu diesem
Zeitpunkt zugeteilt war. Der Provider muss dem BKA den Namen und die
Adresse des Kunden mitteilen.
Was macht das BKA, wenn die IP-Adresse beim Provider schon gelöscht ist?
Dann müssen die Strafverfolgungsbehörden der Länder die üblichen
Ermittlungen durchführen, also zum Beispiel das Profil mit allen Bildern
und Texten genauer anschauen, ob sich daraus Hinweise auf die Identität des
Verfassers ergeben.
Mit wie vielen Meldungen ans BKA ist zu rechnen?
Mein Ministerium hält [2][250.000 Meldungen pro Jahr] für realistisch. Ich
gehe aber davon aus, dass die Zahl langfristig sinkt. Denn wenn künftig
strafrechtliche Sanktionen drohen und durchgesetzt werden, hat das auch
einen abschreckenden Effekt.
Ist es nicht auch von der [3][Meinungsfreiheit] geschützt, Hass zu äußern?
Die Meinungsfreiheit endet dort, wo das Strafrecht beginnt. Wenn Sie mit
Gewalt bedroht werden, ist das eine strafbare Handlung, kein freier
Diskurs. Mir geht es um den Schutz der Meinungsfreiheit. Vor allem um den
Schutz derjenigen, die durch Hetze und Drohungen eingeschüchtert werden und
sich zurückziehen. Wir dürfen das Feld nicht den Hetzern überlassen, sonst
gerät unsere Demokratie in Gefahr.
Eine Anzeigepflicht ist neu in Deutschland. Ist es schon so schlimm, dass
wir so etwas brauchen?
Die permanente Hetze senkt die Hemmschwelle für reale Gewalt, wie der
Anschlag auf Walter Lübcke und die Morde von Hanau und Halle gezeigt haben.
Die Meldepflicht ist aber auch nichts völlig Neues. Banken müssen schon
lange verdächtige Einzahlungen melden, damit diese auf Geldwäsche geprüft
werden können.
Genügt es nicht, dass jede Privatperson bei der Polizei Strafanzeige
erstatten könnte?
Nein. Nur das jeweilige soziale Netzwerk kann dem BKA gleich die IP-Adresse
zum gemeldeten Hass-Post mitliefern.
Finden Sie es richtig, dass ein amerikanisches Privatunternehmen wie
Facebook entscheidet, ob es in Deutschland Strafverfolgung gibt oder nicht?
Das soziale Netzwerk meldet, wenn ein Post wegen eines strafbaren Inhalts
gelöscht wurde, nicht mehr und nicht weniger. Ob die Tat angeklagt wird,
entscheidet die deutsche Staatsanwaltschaft. Ob die Tat verurteilt wird,
entscheidet ein deutsches Gericht.
Was ist, wenn Facebook auch satirische Äußerungen meldet, die gar nicht
strafbar sind?
Ich kann mir schwer vorstellen, wie es sich bei Gewaltdrohungen um eine
Satire handeln soll. Jedenfalls sind Antragsdelikte wie Beleidigung und
Verleumdung ausdrücklich von der Meldepflicht ausgenommen, auch weil hier
die Abgrenzung zwischen „straflos“ und „strafbar“ besonders schwierig i…
Wenn alle Meldungen zunächst beim BKA zusammenlaufen, entsteht dort nicht
eine riesige Querulanten-Datei?
Nein. Das BKA darf die von den Providern übermittelten Daten nur unter
engen gesetzlichen Vorgaben speichern und weiterverwenden. In der Regel hat
das BKA die Daten zu löschen, sobald sie der jeweils zuständigen
Staatsanwaltschaft übermittelt worden sind.
Zu wievielen Ermittlungsverfahren werden die geschätzten 250 000 Meldungen
der Netzwerke führen?
Meine Fachleute rechnen mit rund 150 000 zusätzlichen Ermittlungsverfahren
bundesweit. Ich gehe davon aus, dass auch diese Zahl langfristig deutlich
sinken wird.
Sind BKA und Justiz damit nicht überfordert?
Wir müssen Polizei und Justiz natürlich entsprechend ausstatten. Das BKA
wird 252 neue Mitarbeiter bekommen. Und für die Justiz der Bundesländer
haben wir einen Mehrbedarf von 265 Stellen bei Staatsanwaltschaften und
Gerichten geschätzt.
Sie können die Bundesländer aber nicht zur Einstellung des benötigten
Personals zwingen....
Das ist auch nicht nötig. Auch die Justizministerinnen und Justizminister
der Länder sehen die Bedrohung der Demokratie durch Hass und Hetze. Viele
Länder haben bereits jetzt spezialisierte Staatsanwaltschaften
eingerichtet.
Gibt es Proteste von den Netzwerken?
Jedenfalls nicht so sehr wie 2017 bei der Verabschiedung des NetzDG. Bei
den Netzwerken merkt man wohl auch, dass es für die Geschäfte schlecht ist,
wenn sich viele Menschen ausklinken, aus Angst vor Hass und Drohungen.
Kommen wir zum zweiten Punkt, an dem Sie nachbessern wollen: zu den
rechtswidrigen Löschungen von legalen Postings durch soziale Netzwerke. Ist
das ein Massenphänomen?
Nein, es geht hier nur um Einzelfälle. Bei Einführung des NetzDG haben
Kritiker ja gewarnt, das Gesetz werde zu massivem Overblocking führen, also
zur massenhaften Löschung von kontroversen, aber legalen Inhalten. Nach
über zwei Jahren hat sich das nicht bewahrheitet.
Gibt es Zahlen dazu?
Von Anfang 2018 bis Ende 2019 gab es bei den Netzwerken rund 2,9 Millionen
Beschwerden. Davon führten nur 28 Prozent zur Löschung. Das deutet auf eine
eher vorsichtige Umsetzung des Gesetzes hin.
Als das NetzDG verabschiedet wurde, versprach die SPD, bald einen
gesetzlichen Anspruch auf Wiederherstellung fälschlich gelöschter Postings
zu schaffen. Was wurde daraus?
Das ist nicht mehr nötig. Denn inzwischen hat die Rechtsprechung
klargestellt, dass es solche „Put-Back“-Ansprüche schon gibt. So hat ein
Facebook-Nutzer gegen das Netzwerk einen vertraglichen Anspruch, dass
dieses keine Postings löscht, die weder gegen gesetzliche Bestimmungen noch
gegen zulässige Nutzungsbedingungen verstoßen. Von dieser Rechtslage geht
unser Gesetzentwurf aus, wenn er betroffenen Nutzern helfen will, solche
Wiederherstellungsansprüche durchzusetzen.
Was planen Sie?
Als Alternative zu einer Klage vor Gericht sehen wir eine
„Gegenvorstellung“ vor. Der Nutzer, dessen Post gelöscht wurde, kann vom
Netzwerk eine neue Entscheidung verlangen. Wenn er dann immer noch nicht
einverstanden ist, kann der Nutzer eine Schlichtungsstelle anrufen. Und
danach steht natürlich der Rechtsweg offen.
Haben Sie auch schon persönlich Erfahrungen mit dem NetzDG gemacht?
Erst vor wenigen Tagen hat ein Facebook-Nutzer mir ein verleumderisches
falsches Zitat untergeschoben. Ich habe Facebook daraufhin morgens um
Löschung gebeten. Abends war das Posting nicht mehr da. Der Mechanismus hat
also funktioniert. Der Nutzer hat sich dann bei mir gemeldet und behauptet,
sein Account sei gehackt worden. Das muss jetzt die Polizei klären. Ich
habe Strafanzeige gestellt.
2 Jun 2020
## LINKS
[1] /Neues-Netzwerkdurchsetzungsgesetz/!5662774
[2] /Bundestagsanhoerung-zum-NetzDG/!5681206
[3] /Meinungsaeusserung-zu-Coronazeiten/!5685702
## AUTOREN
Christian Rath
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