# taz.de -- Fahrradtouren um Berlin: Entdecken bis zum Badesee | |
> Auf grünen Wegen um Berlin können Neugierige mit dem Rad | |
> geschichtsträchtige Industriebauten und lauschige Plätze finden. | |
Bild: Raus aus Berlin: Rast am Wandlitzsee | |
Mal eben übers Wochenende nach Kopenhagen oder Barcelona jetten, weil die | |
Flüge ja fast nichts kosten? In absehbarer Zeit wird das nicht mehr möglich | |
sein. Und auch wenn die Hotels und Pensionen wieder geöffnet sind, wird es | |
auch nicht so einfach sein, ein Quartier für einen Kurzurlaub zu ergattern. | |
Die Alternative? Sich aufs Fahrrad schwingen und ins Umland radeln! Zum | |
Beispiel von Berlin aus nach Brandenburg. Das klingt zwar nicht so | |
glamourös. Aber in Coronazeiten werden ja viele Menschen demütiger und sind | |
schon für kleine Fluchten aus dem Alltag dankbar – die sich dann als gar | |
nicht so unspannend erweisen. Und als erholsam dazu. Vor allem, wenn man | |
gleich von der Haustür aus losradelt. | |
In unserem Fall ist das Berlin-Wedding. Nur etwa hundert Meter von der | |
gleichnamigen S-Bahn-Station entfernt fließt die Panke. Anders als Spree | |
oder Havel ist die Panke kein strudelnder Fluss, wie das slawische Wort | |
„pankowe“ wörtlich übersetzt eigentlich heißt. Stattdessen ist sie ein | |
unscheinbares Fließgewässer, das sich von den meisten unbeachtet seinen Weg | |
durch den dichtbesiedelten Norden Berlins bahnt. Noch ist es eingezwängt in | |
ein Betonkorsett. „In Zukunft sollen die Ufer renaturiert werden“, sagt | |
Martin, der im Wedding zu Hause ist und unseren inoffiziellen Local Guide | |
abgibt. | |
Aber auch so ist der Wasserlauf schön anzusehen, wie er sich mitsamt den | |
Parkanlagen als grüner Steifen durch die Stadtlandschaft zieht. An diesem | |
Morgen drehen hier Jogger ihre Runden, junge Männer schieben Kinderwagen | |
vor sich hin, den Blick auf ihr Smartphone geheftet, auf den Bänken sitzen | |
Zeitung lesende Rentner: Idylle pur. Sind wir tatsächlich im Wedding? Kaum | |
zu glauben, würde nicht hier und da ein Papierkorb von Pizzakartons | |
überquellen oder ein verwaister Einkaufswagen herumstehen. Natürlich sind | |
da auch die obligatorischen Graffiti an Häuserwänden. Außerdem tauchen bald | |
die für den Bezirk typischen Industriebauten früherer Zeiten auf, in | |
manchen von ihnen sind Künstlerateliers untergekommen. | |
Am beeindruckendsten sind die Uferstudios links des Pankeradwegs: 1928 im | |
Stil der Neuen Sachlichkeit aus Klinkerstein errichtet und bis 2007 von den | |
Berliner Verkehrsbetrieben genutzt, bewähren sie sich heute als Zentrum für | |
zeitgenössischen Tanz. Martin schwärmt aber vor allem für die Bibliothek am | |
Luisenbad, die wir zwischendurch passieren. Das Architekturjuwel ist Relikt | |
eines früheren Kinos, das Ende der 1970er Jahre vor dem Abriss gerettet | |
wurde. „Innen ist es lichtdurchflutet, nach hinten raus öffnen sich | |
Panoramafenster zum Lesegarten hin“, erklärt der Insider. | |
## Lauschige Wohnstraßen | |
Nicht ganz so spektakulär ist die Bücherei Pankow im 100-jährigen | |
Bürgerpark, an der wir kurz darauf vorbeikommen. Nicht weit davon entfernt | |
lockt auch noch Pankebuch mit den „schönsten Büchern des Nordens“. Der | |
Bedarf an Lektüre scheint in Pankow überraschend groß zu sein. | |
Mittlerweile ist es einer der bevölkerungsreichsten Bezirke Berlins. Doch | |
wenn man am Flüsschen entlangradelt, vom Bürgerpark zum Schlosspark und | |
anderen Grünzonen, kann man gut nachvollziehen, dass er einst beliebtes | |
Ausflugsziel der Großstädter war. Noch früher galt es als Sommerfrische von | |
Königin Elisabeth Christine. Als solche wurde zumindest das dortige Schloss | |
Schönhausen deklariert, in das Friedrich der Große seine unerwünschte | |
Gemahlin abschob. Im Jahr 1621 als barockes Herrenhaus errichtet, diente es | |
zu DDR-Zeiten wiederum Wilhelm Pieck als Amtssitz, heute führt ein Museum | |
durch die bewegte Geschichte. | |
Noch eine Weile durchstreifen wir lauschige Wohnstraßen, radeln am | |
Karpfenteich vorbei, dann wird es kurzzeitig ungemütlich. Der Pankeradweg | |
führt ein Stück an der Autobahn A 114 entlang. Auf der einen Seite dösen | |
Kleingärten und ein „Vogelgnadenhof und Altenheim für Tiere“ vor sich hin, | |
auf der anderen Seite rollt der Verkehr. Zum Glück ist es nicht allzu weit | |
zum nächsten Schlosspark. | |
Der liegt in Buch, dem nördlichsten Ortsteil von Berlin. Mit seinem | |
Klinik-Campus ist er wichtiger Gesundheitsstandort. Von der einstigen | |
Schlossanlage haben nur die barocke Schlosskirche und die hübsche | |
Parkanlage überlebt, in der jetzt Sonnenhungrige ihre Picknickdecken | |
ausbreiten. Eine gute Idee, hier auch eine Pause einzulegen und sich vom | |
Kiosk einen Coffee to go in die mitgebrachten Becher ausschenken zu lassen, | |
bevor wir weiter durch Siedlungsgebiete nach Zepernik radeln. | |
## Herz statt Hass | |
Drei Stunden zuvor waren wir noch im dicht besiedelten Wedding, jetzt haben | |
wir die Landesgrenze nach Brandenburg passiert. Tatsächlich wird es jetzt | |
ein bisschen ländlich. Doch die Panke fließt immer noch treu neben uns, | |
während wir ganz gemächlich Bernau entgegenstrampeln. Erst kündigen | |
Autohäuser, dann der Turm der Herz-Jesu-Kirche die fast 900-jährige Stadt | |
an, der der Zweite Weltkrieg übel mitgespielt hat. Hinter dem Steintor | |
empfangen uns Billigläden und Imbiss-Stände, die nicht unbedingt zum | |
Verweilen einladen. Immerhin haben sich ein paar Traditionsinseln erhalten. | |
Teile der historischen Stadtmauer mit stattlichen Türmen, die mächtige | |
Marienkirche und das Henkerhaus, das heute Heimatmuseum ist. Außerdem sind | |
ausgerechnet hier im Intermedia Arts Museum die sperrigen Video- und | |
Klangkunstskulpturen des Avantgardekünstlers Wolf Kahlen untergekommen. Am | |
Mühlentor fordern wiederum Bernaus Mutbürger auf Spruchbädern „Solidarität | |
statt Ausgrenzung“ und „Herz statt Hass“. | |
Sollte das die Losung am Ende unserer Tour sein? Von der Panke, die | |
nördlich von Bernau als „episodisches Gewässer“ in Schichtquellen | |
entspringt, haben wir uns bereits verabschiedet. Jetzt könnten wir mit Rad | |
oder S-Bahn nach Berlin zurückfahren. Aber ein bisschen Landschaft und eine | |
nette Bademöglichkeit könnten wir am frühen Nachmittag noch vertragen. | |
„Dann sollten wir nach Wandlitz fahren“, schlägt Martin vor. Also steigen | |
wir noch mal aufs Rad und bewegen uns in Richtung Norden. Der erste | |
Abschnitt entlang der Bundesstraße verspricht nicht gerade vollen | |
Landschaftsgenuss. Dafür liegt ein Stück Unesco-Weltkulturerbe auf dem Weg: | |
das Bauhausdenkmal Bundesschule Bernau. | |
Mit dem Gebäude verwirklichten Hannes Meyer, Direktor des Bauhauses Weimar, | |
und Hans Wittwer 1927 ihre Idee vom rationalen Funktionalismus. Der | |
Gebäudekomplex, der sich in Eingang, Speisesaal, Aula, einen | |
lichtdurchfluteten Glasgang sowie Internatshäuser und Sporthalle gliedert, | |
wurde einfühlsam in die naturbelassene Umgebung integriert. Wer es von | |
innen sehen will, muss sich allerdings rechtzeitig für eine Führung | |
anmelden. | |
So steuern wird stattdessen den Liepnitzsee an. Umgeben von dichtem | |
Buchenwald ist er eins der beliebtesten Ausflugsziele der Berliner. | |
Entsprechend stark frequentiert sind die lauschigen Plätze am Ufer und auf | |
der Fähre, die einen regelmäßig zur Insel mit der kultigen Insulanerklause | |
bringt. Dann also weiter zum Wandlitzsee! | |
Noch mal drei Kilometer geht es durch Mischwald, an kleinen Teichen und | |
Siedlungshäusern vorbei, dann liegt er vor uns, der große, glasklare See. | |
Gegenüber dem Bahnhof – eine weitere Architekturikone, 1928 von Wilhelm | |
Wagner im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut – säumen Strandbad, Surf | |
Center, Jugendherberge und diverse Lokale das Ufer. Endlich finden wir ein | |
Stück Wiese, wo wir die müden Beine ins Wasser halten können. Insgesamt | |
fühlt sich der Tagesurlaub wie ein mehrtägiger Kurzurlaub an – und kostet | |
uns lediglich ein paar Euro für die Rückfahrt mit der Bahn. | |
7 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Wiebrecht | |
Stefanie Loos | |
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