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# taz.de -- Hitzewelle in Deutschland: Am Badesee wird der Mensch zum Tier
> Wasser ist der kleinste gemeinsame Nenner in der Klimakatastrophe.
> Zwischen grölenden Männchen, Füßen, die auf Hände treten und
> Gewürzketchup.
Bild: Auf dem Weg zum Wasserloch: Der Mensch, das Tier
Will man den derzeitigen Zustand der Welt in nur einer Szene einfangen, ist
der großstadtnahe Badesee an einem zu heißen Juniwochenende dafür der
perfekte Ort.
Erster Akt: Verwandlung. Der Mensch ist ein Tier und kehrt das Tierische
immer stärker nach außen, je feindlicher seine Umgebung wird. Bei 34 Grad
im Schatten zieht er so nackt wie möglich in Karawanen über brennenden
Asphalt und sandige Uferpfade in Richtung Wasserloch. Der Schuh drückt, die
Hitze mehr. Der Weg ist weit. Der Mensch ächzt und schwitzt und versucht
durchzuhalten. Wahlweise mithilfe von Kaltgetränken, aufblasbaren
Riesenflamingos, netter Gesellschaft oder Musik, die aus tragbaren Boxen
dröhnt. Manchmal auch Drogen.
[1][Männer dürfen endlich wieder Männchen sein], meint: gröhlende Anführer
mit Sonnenbrand. Kommunikation nur noch mit so wenig Sätzen wie möglich,
die Temperaturen machen den Kopf träge, die Systeme fahren runter. Wie
lange noch, bis der schwere Körper im kühlen Wasser treiben kann? Und wäre
man nicht besser zu Hause geblieben?
Zweiter Akt: Ankunft. Staunen, Entsetzen und die sich am Ticketschalter
anbahnende Ungeduld des Herzens beziehungsweise des Körpers. 20 Minuten
anstehen, 8 Euro Eintritt. Erste wirklich ausformulierte Zweifel – ist das
eine gute Idee? Kann es tatsächlich nur besser werden? Der Geruch von
Gewürzketchup versöhnt. Und dann die Erkenntnis, dass man sich jetzt
entscheiden muss. Schlechte Laune haben oder sich einlassen und erkennen,
dass man nichts Besseres ist. Ein Wesen zwischen vielen, die sich nach
Wasser sehnen – der kleinste gemeinsame Nenner [2][im Angesicht der
Klimakatastrophe]. Mitmachen oder verzweifeln. Also: teilnehmende
Beobachtung.
## Empörung, Resignation, Gaffen
Dritter Akt: Zustand. Ein halber Quadratmeter Sand pro Person, Füße, die
auf Hände treten, Empörung, Resignation. Kollektives Vergessen der
Pandemie, weil ja Sommer ist. Weil wir eine Pause verdient haben, egal, ob
es sie gibt oder nicht. Im Sand buddeln Kinder Zigarettenstummel aus, am
Steg machen Typen mit verspiegelten Sonnenbrillen Fotos von sich und
spannen dabei ihre Muskeln an. Eine Frau wird begafft, weil [3][sie ihre
Brüste nicht bedeckt]. Eine andere wird begafft, weil sie einen Burkini
trägt. Ein Nazi spielt Wasserball. Ein paar Meter weiter vögelt ein
Pärchen. Eine Windel treibt neben einer Boje, am Ufer gegenüber ein Rave.
In Brandenburg brennt gerade ein Wald, erzählt man sich. Cool und normal.
Vierter Akt: Fragen. Wie sind wir hier gelandet? Ist das die Apokalypse?
Sind wir alle Teil eines Hieronymus-Bosch-Flashmobs? Ist uns alles egal,
oder ist Verdrängen eben leichter als Konfrontation? Sind wir zu
beschäftigt, das optimalste Ich zu werden, sodass wir versäumen, als
Gesellschaft besser zu sein?Fünfter Akt: Regen. Er kommt nachts, endlich.
Gut für den Garten und für den Wald in Brandenburg. Und er wäscht die
Sorgen weg. Bis zur nächsten Hitzewelle.
22 Jun 2022
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## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
Hitzewelle
Badesee
Schwerpunkt Klimawandel
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