# taz.de -- Müllentsorgung am See: Der Badesee als nasses Grab | |
> Warum fahren Menschen zum See, um dort ihren Abfall abzuladen? Mehr noch: | |
> Warum benutzen sie nicht einfach den Mülleimer? | |
Bild: Wer räumt das jetzt wieder auf? Ufer am Arkenberger Baggersee in Berlin-… | |
BERLIN taz | Noch eine letzte Kurve, ein letzter Blick in den Wald, eine | |
letzte Horde von supercoolen Pubertierenden auf dem Weg, dann endet meine | |
Joggingstrecke im Paradies. Ich trudele runter zum See, wische mir den | |
Schweiß ab, setze mich auf die Wurzel unter dem dicken Ahorn und ziehe die | |
Schuhe aus. Da zieht es mir wieder mal die Schuhe aus: Im Wasser am kleinen | |
Sandstrand dümpelt nicht nur eine (dazu noch leere!) Bierflasche, sondern | |
überall liegen Kronkorken. Selbstverständlich mit der scharfen Seite nach | |
oben. | |
Gerade war mein Puls runter, jetzt steigt er wieder, zusammen mit dem | |
Blutdruck. An dieser kleinen Badebucht sammle ich regelmäßig einen | |
repräsentativen Durchschnitt durch das Berliner Müllaufkommen: Flaschen, | |
Dosen, Scherben, Spritzen, Plastiktüten, Unterhosen, das volle Programm. Es | |
erstaunt mich nicht, dass die Menschen ihren Dreck einfach so in die Gegend | |
schmeißen. Schließlich bin ich Berliner, wir stellen gern den ausgebrannten | |
Herd oder das durchgelegene Sofa auf die Straße mit einem Zettel drauf: | |
„Zum Mitnehmen!“ Aber WO die Leute ihren Müll abladen, erstaunt mich immer | |
wieder: an den schönsten Ecken, wie in meiner Badebucht. | |
Warum hier? Niemand wird gezwungen, hier zu baden. Wer hier am Wasser | |
sitzt, kommt für die Ruhe, das Wasser, die Luft. Warum vermüllen manche | |
Menschen einen Platz, den sie selbst so schön finden, dass sie ziemliche | |
Mühen auf sich nehmen hierherzukommen? Sehen sie nicht, dass es 20 Meter | |
weiter Müllkörbe gibt? Lieben sie es, zwischen Plastiktüten und alten | |
Socken aufzutauchen? Genießen sie als Fakire den Barfußgang über Scherben | |
und gebrauchte Spritzen? | |
Wenn der Homo oeconomicus noch nicht tot sein sollte, findet er in meinem | |
Badesee endgültig sein nasses Grab. Von wegen: Menschen entscheiden nach | |
ihren Interessen. Was für ein Interesse ist das, die eigene Badestelle zum | |
Recyclinghof zu machen? Den Ort eines romantischen Dates mit zerbrochenen | |
Schnapsflaschen zu verschönern? Es wäre doch rational, die Kosten zu | |
externalisieren, den Müll über den Zaun zum Nachbarn zu werfen, und sein | |
eigenes kleines Paradies schön sauber zu halten. | |
Ah, ich höre Sie schon rufen: Das ist der gleiche Homo oeconomicus, der | |
bewusst und vorsätzlich den einzigen Planeten ruiniert, den er hat. Schon | |
klar. Aber diese Probleme sind komplex, ihre Folgen weit weg. Am Ufer | |
meines Sees wird der Schwachsinn so anfassbar und deshalb so unfassbar, | |
dass ich schreien könnte. Wenn das nicht die Entenmutter mit ihren acht | |
Küken erschrecken würde, die an meinen Zehen vorbeipaddeln. | |
[1][Wir alle sind Weltmeister im Absägen des Asts, auf dem man sitzt], und | |
trainieren fleißig die Unterdisziplin Lieblingsort-Vermüllen. [2][Das soll | |
wohl auch so weitergehen]. Im Wahlkampf schwören wieder alle, man werde | |
„niemanden zurücklassen!“. Mir fallen da allerdings schon ein paar | |
KandidatInnen ein. Vor allem, wenn sie selbst immer so viel zurücklassen. | |
4 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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