# taz.de -- Finale im Abgeordnetenhaus: Dann mal Tschüss bis August! | |
> Das Parlament verabschiedet sich mit einem | |
> 6-Milliarden-Schulden-Beschluss trotz Corona in die Sommerferien. Die FDP | |
> wollte die Pause verhindern. | |
Bild: Das Abgeordnetenhaus geht in die Sommerpause: Die nächste Plenarsitzung … | |
Es liegt von Anfang an ein Hauch von Abschied über dem Plenarsaal. Nicht | |
nur, weil es die letzte Sitzung vor den Sommerferien ist. Sondern auch, | |
weil in der ersten Reihe im Halbrund der Stuhlreihen nicht die beiden | |
sitzen, die dort zusammengerechnet rund 24 Jahre saßen. Parlamentspräsident | |
Ralf Wieland von der SPD muss den Blick weit nach oben zur Tribüne heben, | |
um dort Carola Bluhm und Udo Wolf zu finden, die seit Dienstag nicht mehr | |
an der Spitze der Linksfraktion stehen. Und als er sich für | |
„vertrauensvolle Zusammenarbeit“ bedankt, da gibt es ausdauernden Beifall | |
für die beiden Linken nicht bloß von der rot-rot-grünen Fraktionen, sondern | |
auch aus der CDU und der FDP. | |
Zu diesem doppelten Abschied ballen sich noch einmal die großen Themen: | |
Coronafolgen, Nachtragshaushalt und das von den Grünen angeschobene | |
umstrittene Landesantidiskriminierungsgesetz. Allein die Frage, ob dabei | |
eine namentliche Abstimmung sinnig ist, die auf Drängen der AfD zeigen | |
soll, ob auch die SPD-Abgeordneten alle zu dem Gesetz stehen, verzögert | |
schon zum Auftakt die Sitzung: Namentliche Abstimmungen sorgen in | |
Coronazeiten für Kontakte und Probleme mit den Hygienevorschriften. | |
Regierungschef Michael Müller (SPD) schaut zudem an diesem Donnerstag | |
nochmal auf Pfingsten zurück und kündigt mehr Kontrollen dieser | |
Vorschriften an. „Ich sehe mit Sorge, was wir am Wochenende erlebt haben“, | |
sagt er mit Blick auf die Bootsdemonstration. „Ich habe für Partys unter | |
dem Deckmantel einer Demonstration nicht das geringste Verständnis.“ Man | |
sei noch nicht über den Berg, „das ist ein inakzeptables Verhalten“. | |
Dass die Pandemie Berlin auch arbeits- und sozialpolitisch weiter | |
beschäftigt, hören die Abgeordneten von Sozialsenatorin Elke Breitenbach | |
(Linkspartei). „Wir stellen uns darauf ein, dass wir eine lange | |
Durststrecke vor uns haben“, sagt sie. Genau damit hat die FDP-Fraktion | |
einen Antrag begründet, nach dieser Sitzung eben nicht wie sonst im Juni in | |
die parlamentarische Sommerpause zu gehen und erst am 20. August wieder | |
zusammenzukommen, sondern diese Pause auszusetzen. | |
## Parlament bleibe arbeitsfähig | |
Der Einwand schien durchaus berechtigt: Vor wenigen Wochen noch hatten die | |
Fraktionen über ein Notparlament diskutiert, um arbeitsfähig zu bleiben – | |
und nun soll es elf Wochen ohne Sitzungen gehen? Man sei ja arbeitsfähig, | |
versichert ein Parlamentssprecher der taz. | |
Die lange Pause hat allerdings auch die Koalition vor Augen, als sie sechs | |
Milliarden Euro neue Schulden zur Bekämpfung der Coronafolgen nun schon vor | |
dem Sommer beschließt – der Senat hatte das erst mit einer weiteren | |
Haushaltsnachbesserung für den Herbst vorgesehen. Schon nächsten Dienstag | |
sollen Hilfen für den Mittelstand auf den Weg kommen, nicht erst im | |
Oktober, fordert SPD-Chefhaushälter Torsten Schneider. | |
Wem diese sechs Milliarden, die Berlin wieder auf den Schuldenhöchststand | |
von 2012 bringen, zu viel erscheinen, dem rechnet Schneider vor, dass das | |
im Vergleich zu anderen Bundesländern eher wenig ist: Würde Berlin sich | |
coronabedingt so stark neu verschulden wie etwa Nordrhein-Westfalen, wäre | |
man bei elf statt sechs Milliarden. | |
Da mag auch die CDU nicht mosern, Investitionen sind auch aus ihrer Sicht | |
wichtig, um die Wirtschaft wieder zu beleben. Und laut SPD-Mann Schneider | |
sieht das die Koalition so, die Bundesregierung „und die ganze Welt“. Wen | |
er nicht erwähnt: seinen Parteifreund, Finanzsenator Matthias Kollatz, der | |
angesichts der corona-bedingten Einbrüche sparen wollte. Kollatz hätte auch | |
gerne festgelegt, die jetzt beschlossenen Schulden schneller | |
zurückzuzahlen: 15 Jahre hatte er dafür vor Augen, der Senat machte daraus | |
vergangene Woche 20, beschlossen sind nur 27 Jahre, nach denen die sechs | |
Milliarden abbezahlt sein sollen. | |
## Kritischer Blick des Rechnungshofs | |
An einem Tisch neben der Senatssitzreihe schreibt derweil ein Frau intensiv | |
mit, als Schneider sich so investitionsfreudig zeigt und die landeseigenen | |
Betriebe – wie BVG, BSR oder die Wohnungsbaugesellschaften – sogar | |
ausdrücklich warnt, kein einziges Projekt anzuhalten. Karin Klingen, die | |
Chefin des Landesrechnungshof, hat schon vor einigen Wochen klar gemacht, | |
dass sie ganz andere Vorstellungen vom Rückzahlungszeitraum hat: Zehn Jahre | |
hält sie für angemessen, um künftige Generationen nicht zu belasten. | |
Dieser Tag des Abschieds bringt noch ein Bild mit Seltenheitswert. In den | |
nur halb gefüllten Reihen der Regierungsmitglieder nimmt plötzlich | |
Alt-CDUler Kurt Wansner Platz und lächelt einen seiner liebsten grünen | |
Kreuzberger Intimfeinde an, den Justizsenator Dirk Behrendt. Der lächelt | |
zurück, man plauscht kurz. Es ist ein seltsames Bild. Corona macht | |
plötzlich vieles möglich. | |
4 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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