# taz.de -- Neuer Ansatz der Aufsichtsbehörde: „Der Rechnungshof wird sichtb… | |
> Behördenchefin Karin Klingen übt Kritik am Corona-Nachtragshaushalt mit 6 | |
> Milliarden Euro Schulden. Am Mittwoch debattiert der Hauptausschuss mit | |
> ihr. | |
Bild: Karin Klingen (54) ist seit Juni 2018 Präsidentin de Berliner Rechnungsh… | |
taz: Frau Klingen, mit welchem Gefühl gehen Sie an diesem Mittwoch in die | |
Hauptausschusssitzung im Abgeordnetenhaus? | |
Karin Klingen: Ich freue mich darauf, auch weil der Rechnungshof sichtbarer | |
wird. | |
Die Frage ist: Wollen die Abgeordneten das? Die rot-rot-grüne Koalition hat | |
ja ziemlich klargemacht, dass sie Ihre Mahnungen zum | |
Corona-Nachtragshaushalt mit 6 Milliarden Euro Schulden nicht beherzigen | |
will. | |
Wir machen als unabhängige Behörde das Angebot zu beraten. Jetzt haben wir | |
zu einer wesentlichen Entscheidung für die Finanzen Berlins Stellung | |
genommen. Es liegt nun an den Abgeordneten, wie sie dies aufnehmen. Wenn es | |
dazu im Hauptausschuss eine kontroverse Diskussion gibt, ist das doch | |
spannend. | |
Das mit der Beratung ist ja ein völlig neuer Ansatz, jedenfalls soweit das | |
von außen sichtbar ist. In früheren Jahren und unter anderer Leitung schien | |
sich der Rechnungshof auf seinen Jahresbericht mit kritischen Anmerkungen | |
zu beschränken. | |
Es passiert ja auch gerade etwas Außergewöhnliches: Im letzten Jahrzehnt | |
gab es keine einzige Entscheidung über ein solches finanzielles Volumen – | |
Berlin nimmt mit diesen 6 Milliarden Euro so viele Schulden neu auf, wie | |
wir seit 2011 getilgt haben. | |
Was wieder zum alten Höchststand von knapp 63 Milliarden Schulden führt. | |
Es ist sicher notwendig, schnell zu handeln und zur Krisenbewältigung zu | |
investieren. Wir wollen aber nicht erst im Nachhinein kritisieren, sondern | |
noch in den laufenden Beratungen Hinweise geben, wenn etwas falsch läuft. | |
Sie kritisieren den geplanten Tilgungszeitraum für die Schuldenmilliarden: | |
Sie halten zehn Jahre für richtig, die Koalition hat durchgesetzt, dass es | |
27 Jahre werden sollen – alles mit dem Verweis auf andere Bundesländer wie | |
Bayern, die jetzt viel höhere Kredite aufnehmen und länger tilgen wollen. | |
Berlin hat aber eine andere Ausgangssituation bei der Verschuldung – vor | |
der Coronakrise hatten wir, pro Einwohner gerechnet, die vierthöchste | |
Verschuldung aller Bundesländer. Und warum 27 Jahre? Eine vergleichbare | |
Verschuldung ist ja in den letzten acht Jahren abgebaut worden. Wollen wir | |
das der nächsten Generation aufbürden, die vielleicht ihre eigene Krise | |
haben wird? Übrigens haben auch in anderen Bundesländern Rechnungshöfe | |
lange Zeiträume für die Rückzahlung der Schulden kritisiert. | |
Sie kritisieren nicht die Verschuldung an sich, fordern aber, Prioritäten | |
zu setzen und alle geplanten Ausgaben zu überprüfen. Ist das eine | |
allgemeine Aussage oder denken Sie da an konkrete Projekte? | |
Eine konkrete Empfehlung will ich nicht geben. Entscheidungen zu treffen | |
und Prioritäten festzulegen ist das Privileg der Politik. | |
Da muss Sie ja schon sauer gemacht haben – und an dieser Stelle konnte man | |
bei der Haushaltsdebatte sehen, dass Sie sich besonders viele Notizen | |
gemacht haben –, dass der führende SPD-Haushaltspolitiker Torsten Schneider | |
die Bezirke ausdrücklich ermahnte, keine Projekte und Investitionen zu | |
stoppen. | |
Das hat mich nicht geärgert. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Dass | |
jetzt investiert wird, halte ich für richtig. Es gilt aber dabei das Gebot | |
der Wirtschaftlichkeit. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben ja schon | |
jetzt eine hohe Rücklage für Investitionen... | |
... den Topf mit den sogenannten Siwa-Mitteln... | |
Berlin schafft es aber seit Jahren nicht, dieses Geld auch auszugeben. Mit | |
dem Nachtragshaushalt können 6 Milliarden Euro für eine Rücklage | |
aufgenommen werden. Bisher ist nicht klar, wofür das Geld gebraucht wird. | |
Das muss der Gesetzgeber noch entscheiden. | |
In Ihrer achtseitigen Stellungnahme an den Hauptausschuss ordnen Sie diese | |
Begründung dafür, dass es überhaupt trotz Schuldenbremse neue Schulden | |
geben darf, sinngemäß als rechtlich wackelig ein. Manche folgerten daraus, | |
dass Sie den Haushalt nicht für verfassungsgemäß halten. Ist das | |
tatsächlich Ihre Sichtweise? | |
Nein. Aber wir haben in der Tat angemerkt, was wir, wie Sie es nennen, für | |
juristisch wacklig halten. Zudem bezieht sich der Parlamentsbeschluss auf | |
einen Verfassungsartikel, der nicht mehr gilt – „totes Verfassungsrecht“ | |
nennt man das juristisch. Doch dadurch wird nicht der Haushaltsbeschluss | |
insgesamt verfassungswidrig. Die Schuldenbremse gilt ja erst seit diesem | |
Jahr, sie funktioniert eigentlich auch, nur muss sie jetzt auch richtig | |
angewendet werden. | |
Angesichts Ihrer Kritik überrascht schon, dass von der CDU als führender | |
Oppositionsfraktion kaum Widerspruch zum Vorgehen der Koalition kam. Kommt | |
sie ihrer Oppositionsrolle zu wenig nach? | |
Auch die CDU-Fraktion unterstützt ja jetzt unsere Stellungnahme... | |
... doch beim Haushaltsbeschluss vor den Ferien gab sie sich ziemlich zahm | |
und enthielt sich, statt mit Nein zu stimmen. | |
Ich habe die CDU so verstanden, dass sie nicht verhindern wollte, dass ein | |
schneller Entschluss gefasst wird und Hilfe auf den Weg kommt. | |
Bevor Sie vor zwei Jahren Rechnungshofchefin wurden, haben Sie in zentraler | |
Stelle in der Senatskanzlei gearbeitet. Wie funktioniert denn ein solcher | |
Schwenk, von dort aus nun unabhängige Chefaufseherin zu sein? | |
Ich habe ja schon eine längere Verwaltungskarriere. Vorher war ich im | |
Finanzministerium in Sachsen-Anhalt und habe dort auch die Verhandlungen | |
über die Schuldenbremse begleitet. Für meine jetzige Funktion ist es von | |
Vorteil, auch die Verwaltungssicht zu kennen. | |
Manche meinen, Sie legten Ihre Rolle zu politisch, Ihre Äußerungen würden | |
die Aufgaben der Rechnungshofspräsidentin überschreiten. | |
Unsere Stellungnahme für den Hauptausschuss ist doch rein sachlich. | |
Möglicherweise ist es ungewohnt für das Parlament, dass wir uns zu einer | |
aktuellen Frage äußern. | |
Welche Mittel haben Sie außer Logik und Argumentation, Ihre Kritik und Ihre | |
Forderungen durchzusetzen? | |
In der Tat sind Argumentation und Fachlichkeit unsere Mittel. Ich bin | |
zuversichtlich, dass wir gehört werden. | |
Das ist sehr optimistisch bei einer Koalition, die nicht mal auf den | |
eigenen Finanzsenator hört, der auch auf Prioritäten und schnellere Tilgung | |
gedrängt hatte. | |
Ich kann mich nur klar äußern – die Entscheidungen müssen andere treffen. | |
12 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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