| # taz.de -- EU-Grüner über Wende in der Finanzpolitik: „Nun kommen Bonds in… | |
| > Deutschlands hat seinen EU-Kurs radikal geändert, sagt Sven Giegold. Das | |
| > erlaube EU-Steuern und Transfers nach Südeuropa, aber Probleme blieben. | |
| Bild: Fischerboote in Neapel: Italien gehört zu den durch die Krise schwer get… | |
| taz: Die EU-Kommission will ein [1][750 Milliarden Euro schweres | |
| Wiederaufbauprogramm] mit Schulden finanzieren. Auch Kanzlerin Angela | |
| Merkel hat sich für EU-Schulden ausgesprochen – dabei war sie bisher immer | |
| strikt dagegen. Was sagen Sie dazu? | |
| Sven Giegold: Das ist eine 180-Grad-Wende der deutschen Europapolitik. Im | |
| Übrigen ein verzögertes Echo der Europawahlen im letzten Jahr. Dort haben | |
| die Wähler für mehr Europa gestimmt. Und jetzt werden tatsächlich eine | |
| ganze Reihe falscher deutscher Europa-Tabus abgeräumt. Kaum zu glauben, | |
| dass nun selbst Wolfgang Schäuble und Friedrich Merz für | |
| schuldenfinanzierte EU-Programme sind! Das ist ein Erfolg für uns | |
| Pro-Europäer. | |
| Welche Tabus meinen Sie? | |
| Die EU-Steuern, wozu eine europäische Digitalsteuer zählen könnte, | |
| Zuschüsse statt Kredite und die gemeinsame Haftung. Die Christdemokraten | |
| und vor allem die CSU wollten bisher nie EU-Steuern – nun gibt es plötzlich | |
| eine große Offenheit. Deutschland wollte auch nie Transfers – doch jetzt | |
| soll es 500 Milliarden Euro an nicht rückzahlbaren Zuwendungen geben. Und | |
| was die Schulden betrifft, so hieß es noch bis vor Kurzem in Berlin: | |
| Coronabonds machen wir auf keinen Fall! Aber nun kommen Bonds in | |
| Coronazeiten. Das stärkt Europa! | |
| Aber die Schulden sollen die absolute Ausnahme bleiben, Merkel spricht von | |
| einer einmaligen Sondermaßnahme. | |
| Alle Budgets sind einmalig. Entscheidend ist doch, dass wir nun einen ganz | |
| anderen Diskurs in Deutschland haben. Europas Zusammenhalt braucht eine | |
| gemeinsame und solidarische Investitions- und Fiskalpolitik in Europa. | |
| Wie erklären Sie die Wende? | |
| Wir wissen nicht, was die wahren Motive waren. Aber ich denke schon, dass | |
| das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der | |
| Europäischen Zentralbank eine Rolle gespielt hat. Ich halte es für | |
| fragwürdig und europarechtlich gefährlich – aber es hat auch eine Debatte | |
| in Deutschland ausgelöst, dass wir nicht alle Krisen der EZB zur Lösung | |
| überlassen dürfen. | |
| Die Hilfe hat auch eine Kehrseite: Die EU muss die Schulden bis 2058 mühsam | |
| abtragen, das EU-Budget wird über Jahre hinaus eingefroren, Zuschüsse | |
| sollen an wirtschaftspolitische Auflagen gebunden werden … | |
| Der Schuldendienst wird über 38 Jahre gestreckt. Das ist so lang, dass die | |
| Tilgung makroökonomisch keine Rolle mehr spielt. Dass der EU-Finanzrahmen | |
| nicht erhöht wird, ist ein Zugeständnis an die „[2][Geizigen vier“], also | |
| Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande. Aber die 750 Milliarden | |
| Euro für den Wiederaufbau bedeuten de facto dann doch wieder ein höheres | |
| EU-Budget. Allerdings könnte es auch falsche Opfer geben. So soll das | |
| Bildungsaustauschprogramm Erasmus nicht weiter erhöht werden. Hierfür muss | |
| das Parlament kämpfen. | |
| Und was ist mit den Auflagen? Die EU-Kommission will sie mithilfe des | |
| „Europäischen Semesters“ durchsetzen. Das ist ein Eingriff in das | |
| Budgetecht der nationalen Parlamente, ohne demokratische Kontrolle. | |
| Richtig, deshalb geht es nun darum, das Europäische Semester zu | |
| parlamentarisieren. Es wäre gut, wenn das Semester nun keine bürokratische | |
| Übung ohne Bindungswirkung bleibt. Bisher hatten etliche Empfehlungen aus | |
| Brüssel eine marktliberale Schlagseite. Daher müssen die Empfehlungen nun | |
| parlamentarisch mitbeschlossen werden. | |
| Was wird aus dem „European Green Deal“? Viele Grüne, aber auch | |
| Sozialdemokraten und Linke kritisieren, dass er in dem Entwurf aus Brüssel | |
| verwässert wird. | |
| Die Gefahr ist real, denn nur 25 Prozent des nächsten EU-Budgets sind für | |
| den Kampf gegen den Klimawandel geplant. Klimaschutz muss der Baustoff für | |
| den wirtschaftlichen Wiederaufbau sein. Merkel und von der Leyen müssen | |
| mehr für das Klima tun, wenn sie die Zustimmung des EU-Parlaments wollen. | |
| Uns kommt es auch auf die Qualität der Ausgaben an. Da sind wir noch nicht | |
| am Ziel. | |
| 3 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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