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# taz.de -- Ökologische und ökonomische Krise: Rational und brutal ehrlich
> Die Ökonomin Ann Pettifor denkt über einen „Green New Deal“ nach, der v…
> Abgrund wegführen könnte. Es fehle den Regierenden nur der Mut.
Bild: Franklin D. Roosevelt hatte eine radikale Idee, an die zu erinnern gegenw…
Das Buch ist vor [1][der Coronapandemie] verfasst – und kommt doch genau
zur rechten Zeit. Die britische Ökonomin und Finanzexpertin Ann Pettifor
beschreibt einen „Green New Deal“, der weit über das hinausgeht, was
gegenwärtig auf EU-Ebene diskutiert wird: Die Klima- und
Biodiversitätskrise erfordere einen fundamentalen Wandel unserer
Wirtschaftsweise. „Wir können – und wir müssen, um zu überleben – in d…
nächsten zehn Jahren das gescheiterte kapitalistische System verändern und
überwinden, denn es droht, die Lebenserhaltungssysteme der Erde zu
zerstören und mit ihnen die menschliche Zivilisation.“
Dafür sieht die Direktorin der Denkfabrik Policy Research in Macroeconomics
zwei Hebel: Staaten sollen Milliarden investieren, damit anständig bezahlte
Arbeitsplätze in gemeinwohlorientierten, kohlenstofffreien
Volkswirtschaften entstehen. Ein Großteil der notwendigen Dinge müssten
künftig wieder regional erzeugt werden. Ins Zentrum gehört der Bedarf –
nicht die Herstellung immer neuer, ressourcenverschlingender Konsumgüter.
Bei Ideen, Forschung, Bildung, Kultur und Kommunikation soll es dagegen
weiter einen regen internationalen Austausch geben.
Eine solche Neuausrichtung des Wirtschaftens kann aber nur gelingen, wenn
die demokratisch gewählten Regierungen zugleich einen zweiten Hebel nutzen,
so Pettifor. Sie müssen den Finanzmärkten mit ihren riesigen
Vermögensblasen die Luft abstellen.
Dass die Autorin keine idealistische Spinnerin ist und große Veränderungen
erreichen kann, hat sie mit der von ihr maßgeblich geprägten Kampagne
„Erlassjahr 2000“ bewiesen: Der G8-Gipfel in Köln strich damals die
Schulden extrem armer Länder. Pettifor rät, Schwarzmaler*innen von links
und rechts zu ignorieren und sich mit solidem Wissen zu wappnen.
## Debatte um Euro-Bonds
Dafür nimmt sie die Leserschaft zunächst mit auf eine Reise in die
Geschichte, die in der aktuellen Debatte über Euro-Bonds hochspannend ist.
Der junge britische Ökonom John Maynard Keynes hatte nach dem Ersten
Weltkrieg vorgeschlagen, dem Kriegsverlierer zu erlauben, Staatsanleihen im
Wert von einer Milliarde Pfund auszugeben und mit dem Geld die Wirtschaft
anzukurbeln.
Die Alliierten sollten die Bürgschaft dafür übernehmen, damit die Geldgeber
Vertrauen in die Papiere hätten. Wäre der Plan umgesetzt worden, wäre eine
neue internationale Finanzordnung entstanden, die nicht mehr auf dem Geld
privater Finanziers, sondern der Wirtschaftskraft und Autonomie von Staaten
beruhte.
Doch die USA lehnten ab – und die Geldbesitzer behielten das Ruder in der
Hand. 1929 kollabierten aufgrund von Spekulationen Banken und Börsen,
rissen die Realwirtschaft mit in den Abgrund und verursachten
Massenarbeitslosigkeit und Elend.
Vier Jahre später legte US-Präsident Roosevelt ein riesiges
Konjunkturprogramm auf für Millionen Arbeitsplätze im Bereich Infrastruktur
und Bekämpfung der Erosion. Zugleich unterstellte er die Wall Street
demokratischer Kontrolle – bis Präsident Nixon das internationale
Finanzgebäude 1971 einriss. Heute wird die Welt wieder von Märkten regiert.
Private Unternehmen verdienen an Wasserversorgung und
Gesundheitsdienstleistungen, die Spekulation blüht, [2][die
Umweltzerstörung schreitet voran] und die Börsen sind größer und mächtiger
als je zuvor.
## Brandgefährliche Situation
Dem heutigen politischen Führungspersonal fehle es an Mut und es unterwerfe
sich den globalen Finanzinteressen, kritisiert Pettifor. Zugleich
mobilisiere die brandgefährliche Situation aber viele progressive Kräfte.
Die müssten nun „realistische, rationale und brutal ehrliche Antworten“
geben, wie eine zukunftsfähige Gesellschaft aussehen kann. Dass die Zeit
fürs Umsteuern vielleicht nicht mehr reicht, gehöre zur Ehrlichkeit dazu.
Zugleich verweist Pettifor auf das Erfolgsrezept der
Erlassjahr-2000-Kampagne: „Unser Anliegen klang richtig, weil unsere
Analyse rigoros war, unsere Fakten und Belege zutreffend und unsere
Argumente solide.“ Mit dem angemessenen Gefühl für die Gefahr seien
drastische Veränderungen vielleicht möglich. Pettifor hofft, dass Millionen
Menschen für einen Green New Deal in ihrem Sinne eintreten.
4 Jun 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Annette Jensen
## TAGS
Green New Deal
Ökonomie
Eurobonds
Green New Deal
Politisches Buch
Weltwirtschaft
EU-Budget
Schwerpunkt Fridays For Future
Naomi Klein
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