| # taz.de -- Verfassungsrichter zu Anleihekäufen: Karlsruhe nimmt EZB an die Le… | |
| > Das Bundesverfassungsgericht stellt fest: Die EZB überschreitet ihre | |
| > Kompetenzen. Die Entscheidung ist ein Affront gegenüber EU-Institutionen. | |
| Bild: Historisches Urteil im letzten Moment: Die Amtszeit von Andreas Voßkuhle… | |
| Karlsruhe taz | Der billionenschwere Ankauf von Staatsanleihen durch die | |
| Europäische Zentralbank (EZB) ist verfassungswidrig. Das stellte der Zweite | |
| Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Präsident Andreas Voßkuhle fest. | |
| Die EZB habe versäumt, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu prüfen. | |
| Damit brandmarkte das Bundesverfassungsgericht erstmals einen EU-Rechtsakt | |
| als kompetenzwidrig. | |
| Von März 2015 bis November 2019 kaufte das Eurosystem, zu dem die | |
| Zentralbanken aller Euro-Staaten gehören, Staatsanleihen im Wert von | |
| bislang rund 2,1 Billionen Euro auf. Mit dem sogenannten PSPP-Programm | |
| (Public Sector Purchase Programme) verfolgte die EZB geldpolitische Ziele. | |
| Bei den Banken sollte Liquidität freigesetzt und damit Kreditvergabe und | |
| Wirtschaft angekurbelt werden. So sollte Deflation verhindert werden, die | |
| wiederum zu Kaufzurückhaltung führen könne. | |
| Dagegen hatten Euro-Kritiker wie Bernd Lucke (Ex-AfD) und Peter Gauweiler | |
| (CSU) bereits 2015 beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Mit dem Programm | |
| betreibe die EZB unerlaubte Staatsfinanzierung und Wirtschaftspolitik. Denn | |
| der Aufkauf von Staatsanleihen ermögliche den stark verschuldeten | |
| EU-Staaten eine zinsgünstige Refinanzierung. | |
| Zunächst machten sich die Verfassungsrichter diese Vorwürfe zu eigen 2017 | |
| sahen sie „gewichtige Anhaltspunkte“, dass die EZB ihr Mandat überschritten | |
| hat. Sie legten deshalb dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, | |
| ob auch er die EU-Verträge verletzt sieht. | |
| ## Vorwurf: Verhältnismäßigkeit nicht geprüft | |
| Laut EuGH verstößt das PSPP-Programm jedoch nicht gegen EU-Recht. Der | |
| Gerichtshof erklärte im Dezember 2018, dass der Ankauf von Staatsanleihen | |
| nicht bereits deshalb unzulässig sei, weil man damit auch | |
| wirtschaftspolitische Ziele verfolgen könne. | |
| [1][Dennoch gab das Bundesverfassungsgericht nun den Verfassungsbeschwerden | |
| von Lucke und Gauweiler statt.] Die EZB habe weder geprüft noch | |
| festgestellt, dass der Anleiheankauf verhältnismäßig ist. Dabei habe der | |
| Ankauf von Staatsanleihen schwerwiegende Folgen. Staaten könnten sich damit | |
| leichter finanzieren und unterlassen deshalb möglicherweise notwendige | |
| Wirtschaftsreformen. Auch Unternehmen kämen leichter an Kredite und gingen | |
| deshalb vielleicht nicht bankrott, obwohl dies marktwirtschaftlich | |
| erforderlich wäre. Sparer bekämen kaum noch Zinsen für ihre Guthaben, | |
| während die Preise für Immobilien und damit auch die Mieten stark | |
| anstiegen. | |
| All dies hätte die EZB mit ihren geldpolitischen Zielen abwägen müssen, so | |
| die Verfassungsrichter. Weil sie dies unterließ, habe sie ihr Mandat | |
| überschritten. Anders als früher wurde der EZB also nicht vorgeworfen, dass | |
| sie zuviel Wirtschaftspolitik betreibe, sondern dass sie zu wenig an | |
| wirtschaftspolitische Folgen gedacht habe. | |
| ## Keine grundsätzliche Kritik am EuGH | |
| Eigentlich ist der EuGH dafür zuständig, zu prüfen, ob EU-Organe sich im | |
| Rahmen ihrer Kompetenzen bewegen. Grundsätzlich, so betonte Voßkuhle, wolle | |
| das Verfassungsgericht dessen Einschätzungen akzeptieren. Nur wenn der EuGH | |
| willkürlich entscheidet oder anerkannte methodische Grundsätze ignoriert, | |
| sieht sich Karlsruhe nicht an EuGH-Urteile gebunden. Das soll aber die | |
| „absolute Ausnahme“ bleiben, so Voßkuhle. | |
| Im konkreten Fall wird dem EuGH vorgeworfen, dass er die wirtschaftlichen | |
| Auswirkungen des EZB-Programms „völlig ausgeblendet“ hat. Das sei keine | |
| ordentliche Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das EuGH-Urteil müsse deshalb | |
| ignoriert werden. | |
| Dagegen folgte das Verfassungsgericht dem EuGH in einem anderen Punkt. Es | |
| liege wohl kein offensichtlicher Verstoß gegen das Verbot der | |
| Staatsfinanzierung durch die EZB vor. Zum einen könnten Zentralbanken | |
| maximal ein Drittel der Staatsanleihen aufkaufen. Zum anderen sehe das | |
| PSPP-Programm vor, dass die Zentralbanken nur Anleihen ihres eigenen | |
| Staates erwerben. Auch die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des | |
| Bundestags sei gewahrt, so die Karlsruher Richter, weil keine | |
| „Risikoteilung“ zwischen den EU-Staaten vorgesehen ist. | |
| ## Überschaubare Folgen | |
| Die Entscheidung ist zwar ein großer Affront der deutschen | |
| Verfassungsrichter gegenüber den EU-Institutionen. Die Folgen halten sich | |
| zunächst aber in Grenzen. Die Verfassungsrichter erwarten, dass die EZB die | |
| Verhältnismäßigkeitsprüfung in den kommenden drei Monaten nachholt. Solange | |
| kann das Ankaufprogramm, das im November 2019 auf niedrigem Niveau neu | |
| startete, fortgeführt werden. | |
| Die EZB dürfte über die neue Pflicht, wirtschaftspolitischer zu denken, | |
| nicht traurig sein. Denn in die Abwägung werden künftig nicht nur die | |
| Interessen deutscher Sparer, sondern auch die Lage spanischer Arbeitsloser | |
| und französischer Rentner einfließen. | |
| [2][Auf das geplante neue Ankauf-Programm der EZB im Rahmen der | |
| Corona-Krise (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP)] geht das | |
| Urteil, das bereits Ende 2019 im Kern fertig gestellt war, nicht ein. | |
| Allerdings könnte aus Karlsruher Sicht auch hier eine | |
| Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich sein. Dass die Verfassungsrichter | |
| das Verbot von Risikoteilungen betonen, dürfte für die diskutierten | |
| Corona-Bonds (siehe Text unten) ein schlechtes Signal sein. Möglicherweise | |
| würden die Karlsruher Richter auch hier gegen einschreiten. | |
| Den größten Nutzen aus dem Karlsruher Urteil können vermutlich | |
| Problemstaaten wie Polen und Ungarn ziehen, die sich nun gerne auf das | |
| Bundesverfassungsgericht berufen werden, wenn sie Brüsseler Vorgaben | |
| ignorieren. | |
| 5 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/0… | |
| [2] /Verschuldung-in-der-Corona-Krise/!5671066 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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