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# taz.de -- Gauweilers Anwalt über EZB-Klage: „EZB führt Verfassungsgericht…
> Der ehemalige CSU-Vizechef Peter Gauweiler will den Streit um die
> Kompetenzen der Europäischen Zentralbank eskalieren. Sein Anwalt im
> Gespräch.
Bild: Bewölkte Aussichten: die Europäische Zentralbank in Frankfurt
taz: Herr Murswiek, das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Mai das
billionenschwere Anleihenkaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank
(EZB, siehe Kasten) [1][wegen einer fehlenden Verhältnismäßigkeitsprüfung
beanstandet]. Am Mittwoch endet nun die Dreimonatsfrist, die Karlsruhe der
EZB gegeben hat, um den Fehler zu beheben. Was passiert nun?
Dietrich Murswiek: Der Kläger Peter Gauweiler und ich als sein
Prozessvertreter werden beim Bundesverfassungsgericht eine
Vollstreckungsanordnung beantragen. Karlsruhe soll die Bundesbank anweisen,
sich aus dem EZB-Anleihe-Ankaufprogramm zurückzuziehen. Denn die EZB hat
[2][die Anforderungen des Gerichts] nicht erfüllt.
Die Bundesregierung, der Bundestag und die Bundesbank sehen das anders. Sie
sagen einhellig, die EZB habe eine ausreichende Verhältnismäßigkeitsprüfung
durchgeführt. Reicht Ihnen das nicht?
Nein. Die EZB-Dokumente, auf die die drei Institutionen sich stützen,
enthalten – soweit ich sie einsehen konnte – keinen Nachweis einer den
Anforderungen des Urteils genügenden Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Warum halten Sie die Dokumente der EZB für nicht ausreichend?
Es geht bei dieser Prüfung um die Abwägung zwischen den geldpolitischen
Zielen der Bank und den Nebenwirkungen auf die Wirtschaftspolitik der
EU-Staaten – zum Beispiel, dass Sparer und Versicherungsunternehmen keine
Zinsen mehr bekommen. Die Wirkungen und Nebenwirkungen müssen erst
beschrieben, dann quantitativ gewichtet und zuletzt gegeneinander abgewogen
werden. Bei der eigentlichen Abwägung hat die EZB sicher
Ermessensspielräume, aber es fehlt schon jede Berechnung der Wirkungen. Das
ist grob mangelhaft.
Ursprünglich wollten Sie doch eine vermeintliche Staatsfinanzierung durch
die EZB stoppen. Warum ist Ihnen eine perfekte Verhältnismäßigkeitsprüfung
so wichtig?
Das Bundesverfassungsgericht hat im Mai entschieden, dass kein
offensichtlicher Verstoß gegen das Verbot der Staatsfinanzierung vorliegt.
Das akzeptieren wir. Der verbliebene Konflikt geht aber weit über die Frage
der Verhältnismäßigkeit hinaus. Die EZB will offensichtlich nicht
akzeptieren, dass ihr ein nationales Verfassungsgericht auch nur minimal
hineinredet.
Sie sehen bei der EZB eine demonstrative Renitenz?
Ja. Denn Karlsruhe hat es der EZB eigentlich leicht gemacht, sich mit ein
paar Dokumenten, Berechnungen und Aussagen aus der Affäre zu ziehen. Die
EZB will aber offensichtlich das Bundesverfassungsgericht als Institution
vorführen, die auf ihrem Spielfeld nichts zu sagen hat. Das wird das
Gericht nicht hinnehmen können.
Die Europäische Zentralbank ist doch unabhängig. Das hat Deutschland einst
durchgesetzt.
Natürlich, aber nur solange sich die EZB an ihr geldpolitisches Mandat
hält. Ob sie ihr Mandat überschreitet und dabei Wirtschaftspolitik oder
Staatsfinanzierung betreibt, das ist durchaus rechtlich überprüfbar.
Aber ist es nicht auch demonstrativ, dass Karlsruhe nun eine
Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt, nur um der EZB seine Macht zu
beweisen?
Das Gericht hat sich aus Rücksicht auf die EU-Ebene lange zurückgehalten.
Schon bei seinem ersten EZB-Urteil 2015 hätte es eine Überschreitung des
EZB-Mandats beanstanden können. Nun hat es sich mit der
Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Thema ausgesucht, das der EZB eigentlich
nicht wehtut – wenn sie die Anforderungen erfüllt. Es geht darum, der EZB
die Grenzen aufzuzeigen.
Werden Sie Ihren Antrag auf eine Vollstreckungsanordnung gleich am Mittwoch
stellen?
Das ist noch offen. Denn wir haben bisher erst fünf von acht Dokumenten
gesehen, die die EZB der Bundesregierung übermitteln ließ. Deshalb habe ich
am letzten Freitag beim Bundesverfassungsgericht vorab beantragt, dass wir
in der Geheimschutzstelle des Finanzministeriums auch die drei bisher
geheimen Dokumente einsehen können. Falls ich die Dokumente jetzt noch zu
sehen bekomme, werde ich sie auswerten, bevor wir unseren Antrag stellen.
5 Aug 2020
## LINKS
[1] /Verfassungsrichter-zu-Anleihekaeufen/!5682971
[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/0…
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
EZB
Bundesverfassungsgericht
Geldpolitik
EuGH
Bundesverfassungsgericht
Schwerpunkt Coronavirus
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