# taz.de -- Kontinuität rechte Gewalt: „Weil Faschismus nicht Geschichte ist… | |
> In Erinnerung an den Terroranschlag in Hanau rufen migrantische | |
> Selbstorganisationen für Freitag zum „Tag des Zorns“ auf. Rechte Angriffe | |
> dauern an. | |
Bild: Aktion der Berliner Migrantifa gegen Polizeigewalt | |
taz: Ihr beteiligt euch in der neu gegründeten lokalen Initiative | |
„Migrantifa“ an den Vorbereitungen, was war ausschlaggebend, beim „Tag des | |
Zorns“ mitzumachen? | |
Juliana Santos: Als kurze Zeit nach dem Anschlag in Hanau wieder von einem | |
„Einzeltäter“ gesprochen wurde, war das wie ein Schlag ins Gesicht für | |
mich. Ich war gleichzeitig wütend, frustriert und traurig. | |
Samira Sahab: Es ist klar, dass rechter Terror in Deutschland wieder Alltag | |
ist, besonders für migrantische Menschen. Seit Hanau ist fast kein Tag | |
vergangen, an dem es nicht irgendeinen Übergriff oder Anschlag gab. Unter | |
anderem wurden hier in Neukölln Autos mit „Kanacke“ und Hakenkreuzen | |
beschmiert, in Celle wurde der 15-jährige [1][Arkan Hussein Kalaf] | |
ermordet, im bayerischen Waldkraiburg brannte ein türkischer Supermarkt | |
nieder, nachdem er mit Hakenkreuzen und „Ausländer raus“ markiert wurde. | |
Warum gerade der 8. Mai? Habt ihr nicht Bedenken, dass es Konflikte mit dem | |
Gedenken gibt? | |
Santos: Es ist ein antifaschistischer Gedenktag, deswegen sehe ich das | |
Datum definitiv nicht als Konkurrenz, weil wir uns solidarisch mit den | |
Menschen erklären, die diskriminiert werden. Ich glaube, es ist allen | |
selbst überlassen, wie sie an dem Tag gedenken. Aber für uns gab es keine | |
richtige Befreiung, weil Faschismus nicht Geschichte ist. | |
Sahab: Für uns ist die Bedrohung durch den Faschismus wieder da, es gibt | |
also für uns nichts zu feiern. Deswegen ist der 8. Mai für uns ein Tag des | |
Zorns. | |
Gibt ’s Probleme mit dem gesellschaftlichen und medialen Umgang mit rechtem | |
Terror? | |
Santos: Definitiv ja. Das Problem ist, dass rechte Gewalt und Rassismus | |
nicht als Kontinuität gesehen werden. Aber [2][migrantische und geflüchtete | |
Menschen] spüren diese Kontinuitäten alltäglich. Die Mehrheitsgesellschaft | |
sieht immer nur die Eisbergspitzen, wie die Welle rassistischer | |
Ausschreitungen in den 90ern, die Morde des NSU oder eben der Anschlag in | |
Hanau. | |
Auch in Neukölln gibt es immer wieder rassistische Angriffe. Glaubt ihr, | |
dass zu wenig von staatlicher Seite getan wird? | |
Santos: Ich frage mich, ob da überhaupt was passiert. | |
Sahab: Man sieht das ja auch an dem Fall Ferat Kocak … | |
… dem Neuköllner Politiker der Linken, dessen Auto mutmaßlich von Nazis | |
angezündet worden ist. | |
Sahab: Ja, es gab konkrete Hinweise beim LKA, dafür dass er ein | |
Angriffsziel ist, trotzdem wurde nichts getan. Dass das alles nur Zufall | |
ist, würde ich nicht sagen. Es wird immer wieder aufgedeckt, dass | |
[3][staatliche Apparate, wie die Polizei, die Bundeswehr oder der | |
Verfassungsschutz,] verstrickt sind in rechtsextreme Strukturen. Jedoch | |
fehlt politischer Wille zu gucken, was eigentlich innerhalb dieser | |
Institutionen passiert. | |
Ursprünglich war ein bundesweiter Generalstreik ausgerufen, der | |
coronabedingt leider ausfällt. Welche Aktionen wird es stattdessen in | |
Berlin geben? | |
Santos: Wir haben eine Kundgebung am Hermannplatz angemeldet und | |
gleichzeitig mehrere Kundgebungen an der Spree auf dem Protestboot | |
„Anarche“, die über einen Livestream verfolgt werden können. Wir planen | |
Aktionen, den Kiez mit Plakaten und Sprühkreide zu verschönern. Am Abend | |
gibt es eine Gedenkaktion für Opfer rassistischer Gewalt. | |
Kann der Tag auch als Versuch verstanden werden, dass Problem wieder | |
präsenter zu machen? | |
Santos: Ich glaube, für migrantische und geflüchtete Menschen muss das | |
Thema nicht auf die Agenda gesetzt werden. Das ist eher für die | |
Mehrheitsgesellschaft, die größtenteils weiß ist. Aber es ist auch ein | |
Versuch, ein kollektives Momentum zu schaffen, sich untereinander | |
solidarisch zu zeigen und gemeinsam in eine kämpferische Stimmung zu | |
kommen, weil es klar ist, dass wir uns selbst organisieren und uns im | |
schlimmsten Fall auch selbst verteidigen müssen. | |
Die Interviewpartnerinnen nutzen ein Pseudonym für dieses Interview. | |
6 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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Ferat Kocak | |
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