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# taz.de -- Interview mit Ferat Kocak: „Zeigen, dass wir viele sind“
> Vor zwei Jahren verübten Rechte einen Brandanschlag am Haus des
> Linken-Politikers Ferat Kocak. Wie lebt er mit der Angst nach dem
> Attentat?
Bild: Ferat Kocak auf einer Demo in Berlin Neukölln gegen rechten Terror (Deze…
taz: Ferat Kocak, vor gut zwei Jahren verübten Rechte einen Brandschlag auf
Sie und Ihre Familien an Ihrem Neuköllner Wohnhaus. Wie leben Sie seither
mit dieser Erfahrung?
Ferat Kocak: Sehr beweglich! (lacht) Eigentlich habe ich immer noch nicht
wirklich wieder ein Zuhause. Ich schlafe an unterschiedlichen Orten, und
wenn ich mich irgendwo schlafen lege, sind die Alarmglocken immer an.
Manchmal bin ich so übermüdet, dass ich einfach umfalle und wie ein Stein
schlafe, und manchmal bleibe ich wach, gucke, horche, schaue aus dem
Fenster, gehe zur Tür und schaue durchs Guckloch, ob jemand davor steht,
weil die Erinnerung daran, dass halt alles passieren kann, so stark ist.
Auf einer Trauerkundgebung für die Opfer des Attentats in Hanau sagten Sie
vergangene Woche, Ihre Angst wachse von Tag zu Tag. Wie können Sie trotzdem
weiter so aktiv bleiben?
Ich habe mir nach dem Anschlag auf meine Familie fest vorgenommen, dass ich
das Thema niemals ruhen lassen werde, weil ich wollte, dass die, die mir
das angetan haben, das irgendwann bereuen. Ich sehe das als eine
Verpflichtung, auch jetzt nach Hanau, nach Halle, dass jemand, der wie ich
selbst betroffen ist, auch aus einer persönlichen Perspektive immer wieder
darüber berichtet.
Warum?
Um Menschen zu erreichen, die weniger Berührung mit politischen Themen,
weniger Berührung mit dem Kampf gegen Rassismus haben, auch wenn sie selber
von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind. Ja, die Angst ist da, das
belastet meinen Körper, das belastet meinen Kopf, aber es ist wichtig,
aktiv zu sein, um in diesen Zeiten zu überleben. Um stark bleiben zu
können.
Sie sind auf Veranstaltungen und in den sozialen Medien sehr präsent, Sie
könnten überall erkannt werden – und müssten eigentlich überall Angst
haben.
Habe ich auch. Bevor ich irgendwohin gehe, überlege ich mir: Wie komme ich
dahin? Wie sicher bin ich dort? Ich versuche, mich nicht einschränken zu
lassen, aber ich überlege mir jeden Schritt vorher und versuche, jede
Gefahr mitzudenken. Natürlich ist es trotzdem nie hundertprozentig sicher.
Es kann immer jemand um die Ecke kommen. Aber das ist dann halt so.
Gibt es für Sie einen sicheren Ort?
Ich fühle mich da sicher, wo viele sind, die sich mit mir solidarisieren
und mit mir zusammen diesen Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus
führen. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum ich so aktiv bin. Auf der
Kundgebung auf dem Hermannplatz nach dem Anschlag in Hanau vergangene Woche
habe ich mich sicher und wohl gefühlt, obwohl das eine unübersichtliche
Menschenmenge war. Sobald ich alleine zu Hause bin oder auch nur auf dem
Weg nach Hause, sind bei mir schon wieder die Alarmglocken an und ich kann
mich nicht wirklich entspannen.
Wie wirkt sich die Angst aus?
Mein Blutdruck, mein Herzrhythmus, da gibt es Probleme, da zeigt die Angst
sich körperlich. Und wenn ich Nächte nicht schlafe, bereitet mir das
Kopfschmerzen. Das wirkt sich auch auf meine Partnerschaft aus, ich habe ja
kaum Zeit und Kraft, mit meiner Lebenspartnerin etwas aufzubauen. Wenn wir
es schaffen, am Wochenende mal einen Ausflug zu machen, fällt es mir oft
schwer, abzuschalten und das zu genießen, zu entspannen. Das geht an meiner
Partnerin nicht spurlos vorbei. Sie hat ja auch viel Kraft investiert, um
mich aufzufangen und zu unterstützen.
Wo finden Sie Entspannung?
Um ehrlich zu sein, finde ich am meisten Entspannung, wenn ich ein Mikrofon
in der Hand habe und sagen kann, was mir am Herzen liegt, wenn ich die
richtigen Worte treffe, um die Menschen zu erreichen. Dann bin ich meistens
sehr entspannt und glücklich. Das fängt mich auf: Leute, die mich
unterstützen.
Helfen die politischen Reaktionen, die jetzt auch nach dem Attentat von
Hanau kamen?
Es ist sicher wichtig, wenn Politiker sich jetzt mit
Migrantenorganisationen treffen oder der Polizeischutz vor bestimmten
Einrichtungen wie Moscheen verstärkt wird. Jede Maßnahme gegen rechts ist
wichtig. Aber ich finde es noch wichtiger, sich viel stärker um die
Betroffenen zu kümmern und auch mal darauf zu hören, was sie brauchen und
fordern: zum Beispiel die Familien der in Hanau Getöteten auch mal zu Hause
zu besuchen.
Wer hat Ihnen damals geholfen?
Als der Anschlag auf uns verübt wurde, war ich danach erst mal völlig
fertig und meine Eltern auch. Es waren vor allem Opferberatungsstellen, die
uns dann geholfen haben, wieder im Leben anzukommen, durch praktische
Unterstützung und psychologische Beratung und Betreuung. Das waren vor
allem die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und die
Opferberatungsstelle Reachout. Die waren für uns jederzeit ansprechbar. Das
muss man auch den Menschen in Hanau anbieten, und das hätte man den
Hinterbliebenen der Opfer des NSU anbieten müssen.
Und die Behörden, die Polizei?
Die Polizei ist gekommen und hat uns erklärt, welche
Sicherheitsvorkehrungen jetzt eingebaut werden müssen, damit wir in unserem
Haus wieder sicher schlafen könnten. Das mussten wir dann alles selbst
bezahlen, finanzielle Unterstützung gab es nicht.
Was können Bürger*innen tun, um Opfern und Bedrohten mehr Sicherheit zu
geben
Auf die Menschen zugehen! Solidarität zeigen. Einfach mal den Nachbarn –
zum Beispiel – auf der Sonnenallee sagen, dass man auf ihrer Seite ist. Wir
brauchen jetzt ein Klima der Solidarität, und so können wir auch zeigen,
dass wir viele sind, dass es die Mehrheit ist, die sich gegen Rechte
stellt.
1 Mar 2020
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Ferat Koçak
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Ferat Koçak
Schwerpunkt Rassismus
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Polizei Berlin
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