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# taz.de -- Homeoffice-Rechte für Arbeitende: Arbeitnehmer allein zu Haus
> Arbeitsminister Heil möchte ein Recht auf Homeoffice gesetzlich
> verankern. Das könnte auf Kosten der Freizeit von Angestellten gehen.
Bild: Manchmal auf der sonnigen Seite: Homeoffice
Berlin taz | Homeoffice für alle! Das ist der Claim, mit dem der
sozialdemokratische Arbeitsminister Hubertus Heil mitten in der Pandemie in
die Offensive geht. „Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz
zulässt, soll im [1][Homeoffice] arbeiten können – auch wenn die
Coronapandemie wieder vorbei ist“, [2][sagte Heil der Bild am Sonntag]. Er
arbeite derzeit an einem neuen Gesetz „für ein Recht auf Homeoffice“, das
er bis Herbst vorlegen werde. Wenn die Art der Beschäftigung es zulasse,
solle es Arbeitnehmer*innen dann möglich sein, entweder ganz oder tageweise
auf Homeoffice umzustellen.
Das klingt für die zeitgenössische Sozialdemokratie ungewohnt proaktiv und
selbstbewusst. Ja, zunächst klingt das auch so, als würde Heil mit seinem
Vorstoß irgendwie an alte Zeiten anknüpfen wollen,
Arbeitnehmer*innenrechte und so. Die Zahl der Arbeitnehmer*innen im
Homeoffice sei in der Coronakrise „ersten vorsichtigen Schätzungen zufolge“
von 12 auf 25 Prozent gestiegen, so Heil, der Arbeitsminister, der in
diesem krisenbedingten Trend vielleicht eine Chance für die endgültige
Emanzipation der Arbeitnehmer*innen von der Arbeitgeber*innen-Gewalt
wittert.
Ja, was wäre das für eine schöne Freiheit, wenn nach Corona einfach alles
so bliebe wie währenddessen: täglich ein bisschen mehr Schlaf, da kein
Arbeitsweg, keine nervigen Staus, vielleicht ein Hemd für die morgendliche
Videokonferenz, aber dafür keinen Zwang zu adretter Hose, frühstücken und
konferieren zur gleichen Zeit und so weiter. So gesehen klingt Heils „Recht
auf Homeoffice“ nach so etwas wie dem Achtstundentag des 21. Jahrhunderts.
Schön wär’s, aber Heils Formulierung trügt. Denn im Homeoffice wird aus
„Recht“ schnell mal Pflicht, manchmal sogar Zwang, auch wenn die oder der
Vorgesetzte nicht im selben Haus sitzt: In der heutigen Arbeitswelt ist man
sich selbst oft der härteste Chef; vor allem wenn Lohnarbeit zunehmend im
privaten Bereich, also zu Hause abgeleistet wird.
## Entgrenzte Welt
Denn wenn sich Lohnarbeit und Freizeit zunehmend vermischen, dann findet
diese Vermischung tendenziell zugunsten der Arbeit statt: Was ist schon
dabei, gerade mal noch eine Mail vor dem Schlafengehen zu beantworten?
Außerdem: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!
Diese Entwicklung ist nicht neu, die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit
verschwimmt spätestens, seit sich Arbeitswelten digitalisieren.
Corona und Heils Vorstoß scheinen der ohnehin bedrängten menschlichen
Freizeit nun aber den letzten Stoß zu geben – auch wenn der Arbeitsminister
sagt, er wolle mit fairen „Regeln“ verhindern, „dass sich die Arbeit zu
sehr ins Private frisst“ (wer kontrolliert wie, dass das nicht passiert?)
und es auch im Homeoffice einen Feierabend gebe – „und zwar nicht erst um
22 Uhr“ (aber 21 Uhr?).
Aus Arbeitnehmersicht ist dieser Kritikpunkt am Homeoffice vielleicht der
wesentlichste, würde eine nachhaltige und dauerhafte räumliche
Zusammenführung von Arbeit und Freizeit den Alltag doch grundsätzlich
verändern. Aber er ist nicht der einzige: Was ist mit berufstätigen
Menschen mit Kindern?
Was ist mit der physischen, unmittelbar sozialen Interaktion, die keine
Videokonferenz ersetzen kann? Was ist mit eigentlich gemeinschaftlichen
Arbeitsprozessen, denen gegenüber ein allgemeines Homeoffice die
Individualisierung weiter vorantriebe, und zwar nicht im Sinne persönlicher
Freiheiten, sondern von Vereinzelung?
Flexibilisierung der Arbeit ist kein neutraler Prozess, sondern spielt
sich, wie so viele vermeintlich technische Fragen der Arbeitsorganisation,
im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen ab.
Das zeigen auch die Reaktionen auf Heils Vorschlag: Der Bundesverband der
mittelständischen Wirtschaft hat ihn bereits abgelehnt (wegen steigender
Arbeitskosten und zusätzlicher Bürokratie), die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände ist auch nicht angetan (wegen „Vorgaben, die
Wachstum und Flexibilität beschränken“). Die Gewerkschaft Verdi hingegen
zeigte sich (unter bestimmten Bedingungen jedenfalls) offen.
## Profitpotenzial erkannt
Andere haben indes längst das profitmaximierende Potenzial der
Totalisierung von Lohnarbeit angesichts der Coronakrise verstanden. Im
Spiegel forderte Dieter Spath, Präsident der Deutschen Akademie der
Technikwissenschaften, [3][Arbeit auch auf das Wochenende auszudehnen]. So
könnten Arbeitszeit entzerrt und Kontakte verringert werden. Und der
arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP, Johannes Vogel [4][(„Lasst den
Markt in Frieden!“)], fordert gleich eine entsprechende „Modernisierung“
des Arbeitszeitgesetzes. Erst vor wenigen Wochen [5][hatte Arbeitsminister
Heil eine Verfügung unterschrieben,] die es erlaubt, die tägliche
Arbeitszeit in bestimmten Branchen temporär auf 12 Stunden auszudehnen.
Die Krise zeige doch, so wird der FDP-Politiker Vogel [6][im Handelsblatt
zitiert], dass vieles gehe, was vorher angeblich nicht möglich war. Ob man
diese Möglichkeiten als Chance begreift, hängt aber davon ab, auf welcher
Seite man steht: auf der der Arbeitnehmer*in oder der der Chef*in.
28 Apr 2020
## LINKS
[1] /Soziologin-zu-Rollenbildern-in-der-Krise/!5680130
[2] https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/spd-politiker-h…
[3] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/corona-krise-in-betrieben-for…
[4] https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-04/soziale-marktwirtschaft-kapitalismus…
[5] /Aenderung-des-Arbeitszeitgesetzes/!5674680
[6] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/kein-rechtsanspruch-arbeit…
## AUTOREN
Volkan Ağar
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