# taz.de -- Drohende Hungersnot in Ostafrika: Angst vor der zweiten Plage | |
> Heuschrecken wüten am Horn von Afrika. Jetzt schlüpft die zweite | |
> Generation und frisst zwanzigmal so viel. Corona erschwert die Bekämpfung | |
> zusätzlich. | |
Bild: Sichtbarer als das Coronavirus: Heuschreckenschwarm im Landkreis Isiolo i… | |
NAIROBI taz | Die zweite Generation von Wüstenheuschrecken in Ostafrika | |
dieses Jahr droht eine Plage zu werden, [1][die zwanzigmal so groß ist wie | |
die erste]. Die Eier der ersten Insektengeneration sind geschlüpft und die | |
jugendlichen Tiere sind in dieser Entwicklungsphase gefräßiger als ihre | |
Eltern. Bald werden die jungen Wüstenheuschrecken Flügel bekommen und | |
ausschwärmen. | |
„Es sind bis jetzt keine Wolken wie beim letzten Mal, aber wir sehen sie | |
überall. Sie sind zwar kleiner aber sie haben bereits den Gemüsegarten | |
meiner Eltern angegriffen. Wir wussten nicht, dass dort Eier gelegt | |
wurden“, sagt Lilian Muli am Telefon aus Mbooni, mehr als hundert Kilometer | |
südöstlich der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Es ist ein Gebiet, das | |
regelmäßig von Dürren betroffen ist. Seit 2019 fällt der Regen mehr als | |
reichlich – aber davon profitieren in erster Linie die Heuschrecken. | |
Die Landwirte in Mbooni begannen im März mit der Aussaat, als der erste | |
Regen fiel. Jetzt fürchten sie, dass die Heuschrecken alles zerstören | |
werden. „Meine Eltern haben kein neues Gemüse gepflanzt. Sie wollen ihr | |
Geld nicht verschwenden“, sagt Muli, die ansonsten gebrauchte Kleidung | |
verkauft. | |
Ein Schwarm besteht aus vielen Millionen Tieren und kann pro Tag fressen, | |
was 2.500 Menschen in derselben Zeit verspeisen können. Die erste Welle von | |
Wüstenheuschrecken vor einigen Monaten fraß in Ostafrika Hunderttausende | |
Hektar Acker- und Weideland leer und war die größte seit Jahrzehnten. | |
## Preise stiegen um 50 Prozent | |
Der Schaden war so groß, dass laut FAO (UN-Agrarorganisation) und | |
äthiopischer Regierung mehr als eine Million Menschen zusätzlich [2][allein | |
in Äthiopien Nahrungsmittelhilfe benötigen]. Besonders im Süden von | |
Äthiopien fielen Hirse und Mais den Heuschrecken zum Opfer. Dadurch stiegen | |
die Preise um rund 50 Prozent. | |
[3][Der Regenreichtum seit 2019] schuf die perfekte Situation für die | |
Wüstenheuschrecken, die ihre Eier in den Sand legen. In sonst trockenen | |
Gebieten Äthiopiens und Somalias gab es dank des Regens auf einmal mehr | |
Vegetation – mehr Nahrung für die Larven, um sich zu Erwachsenen zu | |
entwickeln. | |
Am einfachsten sind die Heuschreckenschwärme mit Insektiziden zu bekämpfen, | |
zu Boden oder aus der Luft. „Die Eier der ersten Generation sind geschlüpft | |
und jetzt ist genau die richtige Zeit, um die Insekten zu bekämpfen, weil | |
die noch keine Flügel haben“, sagt Tobias Takavarasha, FAO-Vertreter in | |
Kenia. | |
Doch im südlichen und zentralen Somalia, [4][wo die islamistischem | |
Shabaab-Rebellen das Sagen haben], ist das nicht möglich. Auch Hilfe | |
erreicht die Bewohner dieser Gebiete nicht. Und ein neues Hindernis ist | |
dazugekommen: das Coronavirus. | |
Die meisten afrikanischen Länder haben ihre Grenzen geschlossen, es gibt | |
kaum noch Flugverkehr. Bestellte Insektizidlieferungen kommen nicht an. | |
Außerdem gibt es nicht genügend Flugzeuge, um die riesigen Flächen zu | |
besprühen. Und es steht weniger Geld zur Verfügung. | |
Gideon Makau, pensionierter Universitätslehrer, ist wegen Corona in sein | |
Heimatdorf Matinyani 170 Kilometer östlich von Nairobi zurückgegangen und | |
züchtet heute Ziegen. „Ziegen fressen so ziemlich alles. Ich mache mir | |
normalerweise keine Sorgen um ihr Essen. Aber bei der letzten | |
Heuschreckeninvasion wurden alle Büsche kahlgefressen und vom Gras blieb | |
wenig übrig.“ | |
Makau sagt, dass wegen des fast täglichen Regens auf seinem Grundstück | |
alles grün wird. „Es ist so schön, diese neuen Blätter und das frische | |
grüne Gras, aber ich befürchte, dass es eine unwiderstehliche | |
Anziehungskraft für die Heuschrecken hat.“ | |
In Kenia sind vor allem das Weideland im Norden und der Mitte des Landes | |
betroffen, wo die Hirten mit ihren Viehherden wandern, immer auf der Suche | |
nach Wasser und Gras. Die erste Generation Wüstenheuschrecken hat diese | |
Gebiete noch kaum erreicht. Aber wo wird die zweite Generation hinfliegen? | |
Peter Bahati, Gemüseverkäufer in Nairobi, macht sich Sorgen. „Alles ist | |
schon teurer geworden durch das Coronavirus.“ Transportkosten seien | |
gestiegen, denn Lkw-Fahrer brauchen eine Sondergenehmigung, um in das | |
abgeriegelte Nairobi hinein und wieder hinauszufahren. | |
Als Beispiel gibt Bahati den Preis von Zwiebeln. Vor zwei Monaten kostete | |
ein Kilo Zwiebeln 0,80 Euro – heute 1,50. „Meine Kunden klagen und kaufen | |
immer weniger. Was soll werden, wenn die Heuschrecken unsere Äcker | |
angreifen? Gute Nahrung wie Gemüse ist gerade jetzt in dieser Zeit vom | |
Coronavirus so wichtig.“ | |
21 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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