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# taz.de -- Expertin zu Entwicklungshilfe und Corona: „Schädlicher als Coron…
> Corona sei für die Ärmsten verheerend, sagt die Präsidentin von Brot für
> die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel. Auch Hilfsprojekte seien betroffen.
Bild: Das einzige Beatmungsgerät im Krankenhaus von Koyom in Tschad wird im OP…
taz: Frau Füllkrug-Weitzel, etwa 11 Prozent der Menschen auf der Welt
hungern. Hat sich diese Zahl wegen der [1][Coronapandemie] erhöht?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Ja, die Zahl der Hungernden nimmt aufgrund von
Corona zu. Die Ausgangsperren haben vielen Menschen von einem Tag auf den
anderen ihr Auskommen genommen: Bauern und Bäuerinnen kommen nicht mehr
aufs Feld, Tagelöhner, Straßenverkäuferinnen und viele andere, die im
informellen Sektor arbeiten, verdienen nichts mehr und können sich kein
Essen mehr kaufen.
Lässt sich bereits grob beziffern, wie sich diese Zusammenhänge auf die
globale Hungersituation durchschlagen könnten?
Mehr als 300 Millionen Kinder bekommen wegen der Schulschließungen kein
Schulessen mehr, oft war das die einzige Mahlzeit des Tages. Die
Welternährungsorganisation geht davon aus, dass die Zahl der weltweit
Hungernden um 80 Millionen Menschen zunehmen wird.
Wo entstehen derzeit die größten Notlagen?
Die größten Probleme entstehen derzeit – leider – als Folge der wichtigen
Schutzmaßnahmen. Die Ausgangssperren und Grenzschließungen sollen dazu
dienen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Das ist gut und richtig,
weil die Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern [2][unterfinanziert sind
und schon im Normalfall bei Infektionen und chronischen Erkrankungen an
ihre Grenzen stoßen.] Zugleich führen die Schutzmaßnahmen jedoch dazu, dass
große Teile der Bevölkerung unmittelbar in ihrer Existenz bedroht sind,
weil sie über keinerlei soziale Absicherung verfügen und es für sie kein
Kurzarbeitergeld oder eine andere Ersatzzahlung gibt.
In welchem Verhältnis steht die gesundheitliche Bedrohung zu diesen
indirekten Folgen für die ärmsten Bevölkerungsgruppen?
Wir gehen davon aus, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Folgen mehr Schaden anrichten und auch mehr Menschenleben fordern werden
als die Krankheit selbst. Besonders dramatisch wird sich die Krise dort
auswirken, wo bewaffnete Konflikte herrschen.
Wie trifft Corona die Hilfsorganisationen?
Weltweit kommt es zu Einschränkungen wie Ausgangssperren oder
Grenzschließungen, deshalb sind unsere Projektpartner in allen 90 Ländern
betroffen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Auflagen genauso
zu befolgen wie alle anderen. Wo jetzt nicht geerntet beziehungsweise
ausgesät werden kann, wo Märkte geschlossen sind, werden Wege gesucht, die
Zeit bis zum Wiederbeginn der geplanten Maßnahmen zu überbrücken und nach
kreativen Möglichkeiten zu suchen, der Bevölkerung gegenwärtig beizustehen.
Passen Sie Hilfsprogramme derzeit also akuten Problemen vor Ort an?
Das hat für uns Priorität, denn gerade die Schwächsten, also Kinder und
Frauen, alte Menschen, Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten und alle,
die in Armut leben, brauchen jetzt dringend Hilfe.
Lässt sich diese dramatische Lage aktuell überhaupt noch abfedern?
Ja, die dramatische Lage lässt sich abfedern, wenn die wohlhabenden Länder,
und dazu zählen Deutschland und die EU, jetzt auch einen Schutzschirm für
die Entwicklungsländer aufspannen. Die Corona-Krise ist global und kann
deshalb auch nur global bewältigt werden. Je eher wir das begreifen, desto
besser. Wir müssen etwa unbedingt alles Notwendige tun, um eine
Ernährungskrise größeren Ausmaßes abzuwenden, wir dürfen nicht zusehen und
abwarten.
Könnte Corona neben akuten Problemen auch dazu führen, das bereits
erreichte Fortschritte in der Entwicklunsghilfe wieder zunichte gemacht
werden?
Es ist absehbar, dass es Rückschläge geben wird. In vielen Projekte kommt
es zu Verzögerungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer
Partnerorganisationen unterliegen ja auch den Ausgangssperren.
Was muss passieren, damit die Rückschläge nicht zu gravierend ausfallen?
Entscheidend wird neben der Frage der Mittel sein, ob und wie schnell
zivilgesellschaftliche Organisationen weiterarbeiten können. Sie spielen
eine wesentliche Rolle dabei, Menschen zu versorgen, die von staatlichen
Maßnahmen nicht erreicht werden. Sie arbeiten mit Menschen, die im
informellen Sektor tätig sind, in Slums leben oder als Minderheiten
benachteiligt werden, wie etwa Indigene. Dort, wo Regierungen jetzt die
Krise nutzen, um unliebsame Kritiker zum Verstummen zu bringen und die
Zivilgesellschaft in ihrer Handlungsfreiheit – und damit auch
Hilfefähigkeit – weiter einzuschränken, wird es mit Sicherheit Rückschläge
geben.
Lassen sich aus der aktuellen Krise auch allgemeine Forderungen ableiten,
um derartige Notlagen künftig besser abfedern zu können?
Generell sei gesagt: Es gibt kein besseres Mittel dagegen, dass solche
Krisen sich global ausbreiten und dass sie Menschen in Armut stürzen, als
mehr Mittel in die Basisgesundheitsversorgung und in die öffentliche
Daseinsvorsorge weltweit zu investieren. Wir sehen das ja auch im eigenen
Land!
3 May 2020
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## AUTOREN
Selmar schülein
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