# taz.de -- Heuschreckenplage in Ostafrika: Wie eine Feuerwalze | |
> In Somalia, Kenia und Äthiopien sind die Auswirkungen des Klimawandels | |
> real. Das zeigt eine Heuschreckenplage, die zur Hungernot führen wird. | |
Bild: Ein Heuschreckengeschwader besteht aus Hunderten Millionen bis über eine… | |
Wo ist das Insektensterben, wenn man’s mal braucht? Ostafrika leidet | |
derzeit unter der schlimmsten Heuschreckenplage seit Jahrzehnten. Was für | |
Mitteleuropäer zunächst vergleichsweise harmlos klingt, weil man eher an | |
die Mottenplage in der eigenen Küche denkt, ist in Wahrheit eine | |
existenzielle Bedrohung. | |
Denn so ein Heuschreckengeschwader wirkt wie eine Feuerwalze. Es besteht | |
aus mehreren Hundert Millionen bis über eine Milliarde Tieren. Allein die | |
Insekten, die sich auf einem Quadratkilometer tummeln, verputzen so viel | |
wie 35.000 bis 80.000 Menschen pro Tag! Dabei sind die Wirbellosen | |
erstaunlich mobil – sie können 150 Kilometer täglich zurücklegen. | |
Und fallen über Flächen her, die man nur noch mit Saarlandvergleichen | |
beschreiben kann: Laut der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO nimmt ein | |
einzelner Schwarm in Kenia satte 2.400 Quadratkilometer ein – eine Fläche | |
„fast so groß wie das Saarland“, wie die „Tagesschau“ entsetzt vermeld… | |
Aber bevor uns nun Henryk M. Broder, Dieter Nuhr und Harald Martenstein | |
erklären, dass das ja wohl der ultimative Beweis gegen eine | |
Biodiversitätskrise sei, weil offenbar ja noch genug Tiere übrig sind, | |
wollen wir kurz einen Blick auf die Zusammenhänge werfen. | |
## Wüstenheuschrecke Schistocerca gregaria | |
Das aktuelle Problem ist eine einzelne Art, die Wüstenheuschrecke | |
Schistocerca gregaria. Die hübsch beige-gelblich gefärbten Insekten | |
erreichen eine Länge von sechs bis neun Zentimetern und sind an eher karge, | |
halbwüstenartige Lebensräume angepasst, wo sie sich von allerlei Blättern | |
und Gräsern ernähren. Normalerweise leben sie dort als Einzelgänger | |
unauffällig vor sich hin. Ihr Fortpflanzungserfolg hängt vom Wetter ab. | |
Unter normalen Bedingungen bleibt die Population im Gleichgewicht. In | |
besonders feuchten Jahren aber treten sich die Larven bald auf die sechs | |
Füße, das zunächst überreichlich sprießende Futter wird knapper, und jetzt | |
setzt eine erstaunliche Umwandlung ein: Die Tiere verändern Verhalten und | |
Aussehen. Sie rotten sich zusammen, verfärben sich rosa und entwickeln | |
verlängerte Flügel. Atmosphärische Bedingungen wirken wie ein Startschuss, | |
auf den hin die Tiere zeitgleich in dieselbe Richtung losfliegen. Auf | |
andere Heuschrecken wirkt das wie ein Magnet, der immer mehr Tiere anzieht. | |
Jedes der Insekten frisst täglich so viel, wie es selbst wiegt. | |
Heuschreckenplagen begleiten den Menschen schon immer – man denke nur an | |
die Bibel. Ökologisch ergibt das Verhalten aus Sicht der Tiere natürlich | |
Sinn, denn es ermöglicht ihnen, Nahrungsressourcen zu nutzen, die sie sonst | |
nicht erreichen, weil es dort zu trocken für sie ist. Deswegen sind | |
Heuschreckenschwärme eng mit dem Klimasystem verknüpft. Es ist kein Zufall, | |
dass die Plage in Kenia, Somalia und Äthiopien mit den [1][Buschbränden in | |
Australien] zusammenfällt: Beides wird von den Wassertemperaturen im | |
Indischen Ozean beeinflusst, die periodisch schwanken. | |
## Die Verantwortlichen | |
Zwar ist dieses Phänomen natürlich, seine Auswirkungen werden aber durch | |
den Klimawandel verstärkt. Denn der führt mittels einfachster Physik – | |
warme Luft nimmt mehr Wasser auf – dazu, dass die Niederschläge punktuell | |
stärker ausfallen. Was [2][dramatische Überschwemmungen verursacht] – die | |
im Dezember, von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert, die Region | |
bereits heimgesucht hatten – und in der Folge eben Heuschreckenplagen. | |
Die gehören zwar zum normalen ökologischen Kreislauf. Aber der Mensch | |
verstärkt ihr Ausmaß durch Landwirtschaft, die eine perfekte | |
Nahrungsgrundlage für die Tierchen schafft, und durch vom Klimawandel | |
verursachte Extremwetterereignisse, die die Fortpflanzungsfähigkeit und | |
Wanderbereitschaft der Heuschrecken erhöhen. | |
Nun droht als nächste Eskalationsstufe eine Hungersnot in Ostafrika. Dann | |
ziehen nach den Heuschrecken womöglich bald die Menschen los. Und dürfen | |
sich schließlich von exakt den Leuten, die stets vor übertriebenem | |
Alarmismus in der Klimafrage warnen, aus den Ländern, die das Desaster | |
hauptverantwortlich verursacht haben, als Wirtschaftsflüchtlinge | |
denunzieren lassen. | |
23 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Buschbraende-in-Australien/!5652261 | |
[2] /Schaeden-durch-Unwetter-in-Ostafrika/!5647999 | |
## AUTOREN | |
Heiko Werning | |
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