# taz.de -- Aktivismus in der Coronakrise: Besetzen per Livestream | |
> In Berlin werden Wohnungen besetzt, um sie Obdachlosen zur Verfügung zu | |
> stellen. Das Bündnis #besetzen überträgt die Aktion ins Netz. | |
Bild: BesetzerInnen in der Wohnung | |
BERLIN taz | „Fühlt Euch wie zuhause“, sagt der junge Aktivist zu seinen | |
zwei Mitstreiterinnen nachdem er soeben die Tür zu einer Wohnung im | |
Berliner Schillerkiez aufgeschlossen hat. Zwei Zimmer, Küche, Bad, ein | |
sonnendurchfluteter Traum für jeden leidgeplagten Wohnungssuchenden. Die | |
weißen Wände riechen noch nach Farbe; neue Mieter können hier sofort | |
einziehen. Doch die drei Linken haben andere Pläne als die | |
Briefkastenfirma, der das Haus gehört: Sie erklären die Wohnung für | |
besetzt. Das Schloss hatten sie bereits zuvor ausgetauscht. | |
Ähnliche Szenen spielen sich derweil an etwa einem halben Dutzend weiterer | |
Orte in der Stadt ab. Die genaue Zahl war am Nachmittag noch nicht bekannt. | |
Sicher ist aber: Das Bündnis #besetzen ist wieder da. Anders als in den | |
vergangenen zwei Jahren, als immer wieder, sichtbar für alle, Häuser | |
besetzt wurden, handelt es sich an diesem Samstag um stille, also heimliche | |
Besetzungen, ganz ohne Fenster-Transparente und Polizeikontakt. | |
Die AktivistInnen öffnen die Wohnungen, um sie an Obdachlose weiterzugeben. | |
„Die Coronakrise zeigt nochmals viel deutlicher die Verletzlichkeit von | |
Obdachlosen und Menschen in Lagern.“ Diese hätten „keine Privatsphäre, | |
keine Hygiene, keinen Schutz“, sagt der Besetzer, der sich Kim Schmitz | |
nennt, zu ihrer Motivation. Für mehrere Wohnungen stünden Obdachlose | |
bereit. Sie würden von den AktivistInnen umfassend unterstützt, auch mit | |
Anwälten und dem Versprechen Geldstrafen zu übernehmen, falls die Aktion | |
auffliegt. | |
Wirklich still gehen die Besetzungen dennoch nicht vonstatten. Die | |
AktivistInnen haben angekündigt, die Aktionen live zu übertragen. Ab dem | |
Nachmittag sollen auf [1][Twitch] Streams aus den Wohnungen laufen. | |
Thematisiert werden sollen dabei unterschiedliche soziale Probleme im | |
Lichte der Coronakrise, es geht um Flüchtlinge und Wohnungslose, um | |
Menschen, die jetzt kein Geld mehr für ihre Mieter haben oder auch um | |
Ferienwohnungen. | |
Leerstehende Wohnungen hätten sie viele gefunden, sagt Schmitz. „Durch dem | |
Mietendeckel halten VermieterInnen Wohnungen zurück und AirBnB-Wohnungen | |
sind jetzt nicht nur falsch sondern werden gar nicht mehr genutzt.“ Es sei | |
„zynisch, dass gleichzeitig Leute auf der Straße leben“. | |
## Aktivismus neu vermittelt | |
In Zeiten von Demonstrationsverboten ist diese Verbindung von handfestem | |
Aktivismus und der Online-Vermittlung via Livestreaming ein neuer Ansatz. | |
Zum Beginn des Streams ist eine Texttafel zu sehen: „Kontaktverbot. | |
Versammlungsverbot. Scharfe Ausgangsbeschränkungen. Es scheint, als müssten | |
wir in Zeiten von Corona all unseren politischen Aktiveismus zurückfahren. | |
Aber das muss nicht so sein.“ Schmitz spricht von einem „Medienspektakel“, | |
und sagt auch: „Wir sind nur in Zweier- und Dreier-Teams unterwegs für | |
unsere eigene Sicherheit.“ | |
Die Besetzungsaktionen sind Teil des Housing Action Day. Ursprünglich | |
wollte ein breites Bündnis mietenpolitischer AkteurInnen an diesem Samstag | |
zehntausende Menschen für eine solidarische Stadtentwicklung ohne | |
Vertreibungen und Zwangsräumungen auf die Straße bringen. Aufgrund des | |
Verbots der Demo, riefen die OrganisatorInnen [2][zu Online-Protesten und | |
einem Lärmkonzert von Balkonen und aus Fenstern auf]. | |
Das Bündnis #besetzen hatte vor knapp zwei Jahren erstmals ein | |
leerstehendes Wohnhaus in Neukölln besetzt. Bei der bislang letzten Aktion | |
Ende September waren die AktivistInnen in ein [3][leerstehendens Gebäude in | |
der Frankfurter Allee] eingedrungen und hatten erwirkt, über die künftige | |
Nutzung des Hauses zu verhandeln. | |
Diskussionen über Besetzungen oder Beschlagnahmungen haben in den | |
vergangenen Wochen in der Coronakrise an Dynamik gewonnen. In Berlin | |
forderten mietenpolitische Organisationen in einem Offenen Brief, dass | |
Obdachlose in Hotels und Ferienwohnungen untergebracht werden sollen. | |
Rückendeckung erhielten die MietenaktivistInnen von Seiten des Kapitals. | |
H&M, Adidas und Deichmann haben angekündigt, für ihre geschlossenen Läden | |
keine Miete mehr zu bezahlen. Auch sie gehören nun zu den BesetzerInnen. | |
28 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.twitch.tv/hashtagbesetzen | |
[2] /Mieten-Demo-in-Berlin-trotz-Corona/!5671034 | |
[3] /Hausbesetzungen-in-Berlin/!5625327 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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