# taz.de -- Mietenprotest in Berlin: Mit Tweet und Topfdeckel | |
> Nach Absage der großen Mietendemo wegen Corona demonstrieren | |
> Aktivist*innen und Betroffene am Samstag mit vielen Einzelaktionen – on- | |
> und offline. | |
Bild: Protest mit Sicherheitsabstand: Unangemeldete Demo am Kottbusser Tor am S… | |
Punkt 18 Uhr wird es plötzlich laut in der Lenaustraße in Neukölln. | |
Menschen stehen an den Fenstern ihrer Wohnungen: Zwei Kinder trommeln mit | |
Löffeln auf einen Topf, eine ältere Frau rasselt im schnellen Takt, | |
Trillerpfeifen ertönen. Zackig biegen auf der sonst leeren Straße drei | |
junge Menschen um die Ecke und rufen: „Hopp, hopp, hopp – Mietenstopp!“ | |
Was eine Großdemonstration zum Schlagwort #Mietenwahnsinn hätte werden | |
sollen, wurde ein dezentraler Aktionstag: im Netz, an Fenstern, vereinzelt | |
auf den Straßen – und via besetzter Wohnungen. | |
Ein breites Bündnis mietenpolitischer Akteur*innen hatte an diesem Samstag | |
unter dem Motto „Wohnen für Menschen statt Profite“ ursprünglich | |
zehntausende Menschen zu einer Großdemo auf die Straßen bringen wollen. Im | |
vergangenen Jahr hatten daran in Berlin laut Veranstalter [1][etwa 40.000 | |
Menschen] teilgenommen, weitere 15.000 in 19 anderen deutschen Städten. | |
Weil die Demo aufgrund der Eindämmungsbestimmungen gegen das Coronavirus in | |
diesem Jahr verboten wurde, stampften die Organisator*innen kurzfristig | |
neue Pläne aus dem Boden: [2][Onlineproteste] zum #HousingActionDay2020 und | |
ein zehnminütiges Lärmkonzert von Balkonen und Fenstern aus. Zu dem Protest | |
gegen steigende Mieten und Verdrängung riefen europaweit Initiativen aus 54 | |
Städten auf. | |
„Wenn alle zu Hause bleiben sollen, brauchen alle ein Zuhause!“, lautete | |
der den Umständen angepasste Aufruf des Mietenbündnisses. Damit die | |
verschiedenen Mieten-Initiativen mit ihren geplanten Redebeiträgen trotz | |
ausgefallener Demo zu Wort kommen, organisiert das Bündnis eine | |
Video-Pressekonferenz im Internet. | |
„Corona verschärft die Situation obdachloser Menschen. Pfandflaschen können | |
kaum mehr gesammelt, Zeitungen nicht mehr verkauft werden. Viele sind | |
besonders gefährdet, sich anzustecken, und haben ein geschwächtes | |
Immunsystem“, sagt dabei Frieder Krauß von der Berliner Obdachlosenhilfe. | |
„Aber die Situation ließe sich lösen: Berlin sollte leere Hotelzimmer für | |
Obdachlose zur Verfügung stellen.“ Zeitgleich [3][besetzt das Bündnis | |
#besetzen] mehrere leere Wohnungen, um sie Obdachlosen bereitzustellen. | |
Neben der Beschlagnahmung leerstehender Ferienwohnungen fordert das | |
Mietenbündnis eine Aussetzung von Mietzahlungen. Die Maßnahmen zum | |
Mieterschutz, die vergangene Woche im Eiltempo von Bundestag und Bundesrat | |
durchgewunken wurden sowie das vom Senat beschlossene Maßnahmenpaket gehen | |
dem Bündnis nicht weit genug: „Das kann einigen Mieter*innen zwar erst mal | |
helfen, aber der Staat ist nicht dafür da, die Gewinne von | |
Immobilienkonzernen zu garantieren“, sagt Kim Meyer, eine Sprecherin des | |
bundesweiten Mietenwahnsinn-Bündnis der taz. | |
## Forderung nach einem Mietenstott | |
Der Berliner Senat hat am Dienstag [4][ebenfalls ein Maßnahmenpaket] für | |
Berlin beschlossen. Um Mieter*innen zu schützen, sollen außerordentliche | |
Kündigungen aufgrund von Mietrückständen ausgesetzt werden, nach | |
Möglichkeit für einen längeren Zeitraum als nur bis Ende Juni. Mieten | |
müssen nachträglich gezahlt werden. „Besser wäre es, Wohnungskonzerne zu | |
vergesellschaften. Es braucht einen Mietenstopp“, so Meyer. | |
„Abstand von Profiten statt Stundung der Mieten“, twitterte dazu der | |
block89, ein Zusammenschluss von Mieter*innen aus sechs Kreuzberger Häusern | |
des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen. Die Initiative Deutsche Wohnen | |
enteignen, die einen Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnkonzerne | |
anstrebt, twitterte derweil Fotos von mehreren Dutzend Schuhen, die sich | |
stellvertretend für Demonstrierende auf einer Brücke reihen: „Demo läuft! | |
Wir sind heute (im Herz) Zehntausende auf den Straßen Berlins.“ | |
„Die alte Diskussion, Mieten zu bestreiken, gewinnt coronabedingt wieder an | |
Fahrt“, sagt eine Sprecherin des Bündnisses Zwangsräumung Verhindern bei | |
der Pressekonferenz. „Ein Mietstreik birgt Risiken für Mieter*innen und | |
muss politisch organisiert werden. Damit es ein gemeinsamer Kampf ist und | |
nicht einzelne Menschen ihre Wohnung verlieren.“ | |
Besonderen Schutz bräuchten nun Geflüchtete, fügt William Michel von | |
Corasol hinzu, einer Gruppe von Menschen mit und ohne Flucht- oder | |
Migrationserfahrung, die sich in Berlin und Brandenburg für Geflüchtete | |
einsetzt. „Die Geflüchteten in Berlin leben häufig auf engem Raum“, so | |
William. „Die Ansteckungsgefahr ist sehr hoch.“ | |
Wie hoch Berlins Mieten sind, belegte jüngst der [5][Wohnungsmarktbericht | |
2019] der Investitionsbank Berlin IBB. Demnach zahlten rund 40 Prozent der | |
Berliner Haushalte im vergangenen Jahr mehr als 30 Prozent ihres | |
Nettoeinkommens für Kaltmiete inklusive Betriebskosten. Im Speckgürtel | |
Berlins wuchsen die Mieten besonders stark. In den vergangenen zehn Jahren | |
haben sich die Mieten in Berlin mehr als verdoppelt. Auch die | |
Bestandsmieten sind trotz Mietpreisbremse stark gestiegen. Das Einkommen | |
steigt im Schnitt weitaus langsamer. | |
## Viel los bei Twitter und Facebook | |
Rege beteiligten sich denn auch betroffene Mieter*innen und | |
Netzaktivist*innen bei Twitter, Facebook und Instagram an den Aktionen. | |
„H&M zahlt keine Mieten mehr – warum sollten wir?“, fragte ein Tweet mit | |
dem Hashtag HousingActionDay2020. | |
Eine andere Person twitterte: „Mieter*innen sollten sich ein Bsp. an | |
#adidas, @Deichmann & Co nehmen und einfach keine Miete zahlen. Sicher | |
springt die Bundesregierung auch hier ein.“ Vergangene Woche hatten einige | |
Firmen wie Adidas, H&M und Deichmann angekündigt, keine Miete mehr zahlen | |
zu wollen. | |
„Es hat Spaß gemacht zu sehen, wie viele Leute Lust hatten, in Text und | |
Bild dafür zu sorgen, dass am 28. März eben doch gegen Mietenwahnsinn | |
protestiert wird“, zog Kim Meyer vom Mietenwahnsinn-Bündnis am Ende des | |
Tages im Telefonat mit der taz Bilanz. „Mit unserem dezentralen Aktionstag | |
haben wir nicht so eine große Teilnehmer*innenzahl wie letztes Jahr auf die | |
Straße gebracht. Aber wir waren mit unseren Nachbarn von nebenan und | |
überall in Europa gemeinsam dabei. Und das zählt vielleicht noch mehr.“ | |
29 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-gegen-Immobilienkonzerne/!5586044/ | |
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[3] /Aktivismus-in-der-Coronakrise/!5675015/ | |
[4] /Massnahmen-fuer-Mieter-in-Berlin/!5670684/ | |
[5] /Neuer-Wohnungsmarktbericht/!5670819 | |
## AUTOREN | |
Sophie Schmalz | |
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