# taz.de -- Mietstreik in Hamburg: Ein Albtraum für Vermieter | |
> Einkommensausfälle während der Coronakrise stellen Mieter*innen vor | |
> Probleme. In Hamburg ruft eine Gruppe jetzt zum Mietstreik auf | |
Bild: Das Mietenwahnsinn-Problem verschärft sich in Zeiten von Corona | |
HAMBURG taz | Im Internet kursieren viele Witze und Bilder dazu: „Ich, | |
während Corona – liege im Bett, mein Kontostand sinkt. Mein Vermieter | |
während Corona – liegt im Bett, sein Kontostand steigt.“ Dabei ist das | |
Problem mit der Miete für viele überhaupt nicht witzig, sondern | |
existenzbedrohend. Viele Menschen verzeichnen derzeit große | |
Verdienstausfälle oder verlieren gleich ganz ihre Jobs, während die | |
laufenden Kosten natürlich weitergehen – allen voran die Miete. | |
Eine Gruppe Hamburger Mieter*innen ruft deshalb jetzt zum solidarischen | |
Mietstreik auf: Ab dem ersten April sollen Mieter*innen ihre Zahlungen | |
aussetzen. „Selbst wenn du deine Miete für die kommenden Monate bezahlen | |
kannst – andere können es nicht“, schreiben sie in ihrem Aufruf. Der Streik | |
habe nur eine Chance gesellschaftlich als legitim erachtet zu werden, wenn | |
so viele wie möglich mitmachten. | |
Den Initiator*innen geht es nicht nur darum, die Miete zu bestreiken. „Wir | |
wollen auch politischen Druck aufbauen“, sagt Luca N.* Sie selbst wohnt in | |
einer Sechser-WG – alle Sechs haben infolge der Coronakrise ihre Jobs | |
verloren, niemand von ihnen hat noch ein Einkommen. Zwei ihrer | |
Mitbewohner*innen sind nicht sozialleistungsberechtigt. Das Problem ist | |
politisch gemacht, meint N. „Hinter der Wohnraum- und Mietkostenproblematik | |
steht eine neoliberale Politik, die Immobilienspekulation und | |
profitorientiertes Wirtschaften mit Wohnraum nicht nur akzeptiert, sondern | |
aktiv befördert hat.“ | |
Dabei treffen die Bundesregierung und einige Länder gerade Krisenmaßnahmen | |
zum Mieter*innenschutz. Am Montag hat das Bundeskabinett einen | |
Kündigungsschutz für Mieter*innen auf den Weg gebracht, die coronabedingt | |
Schulden anhäufen. Normalerweise sind Rückstände von zwei Monatsmieten ein | |
Kündigungsgrund. Für Mietschulden aus der Zeit vom ersten April bis Juli | |
oder September soll das nicht mehr gelten. Am Freitag soll der Bundesrat | |
dem Gesetz zustimmen. | |
## Zwangsräumungen sind schon ausgesetzt | |
Berlin hat bereits am Montag [1][ein Maßnahmenpaket beschlossen], um | |
Mieter*innen zu schützen und auch Hamburg hat Maßnahmen getroffen. Die | |
Hamburger Justizbehörde und die Amtsgerichte haben sich in der vergangenen | |
Woche darauf geeinigt, Zwangsräumungen bis nach der Krise aufzuschieben und | |
auch niemandem den Strom abzustellen, der coronabedingt nicht zahlt. | |
Das städtische Wohnungsunternehmen Saga hat ebenfalls [2][in der | |
vergangenen Woche verkündet], zunächst auf Mieterhöhungen zu verzichten und | |
Stundungsvereinbarungen zu verlängern. Über weitere Maßnahmen wolle man | |
sich im Laufe der Woche im „Bündnis für das Wohnen“, also zwischen Senat | |
und Wohnungswirtschaft, absprechen, heißt es bei der | |
Stadtentwicklungsbehörde. | |
Der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) hatte schon vor einigen | |
Tagen geäußert, was er von Maßnahmen wie Mietmoratorien hält: gar nichts. | |
Andreas Breitner, der Direktor des VNW, warnte [3][in einer Stellungnahme] | |
vor einer „unheilvollen Kettenreaktion“ und „dramatischen Folgen für die | |
Wohnungsunternehmen und das Baugewerbe“. Viele Mitarbeiter der Branche | |
könnten ihren Job verlieren, sagte er. | |
Für N. und ihre Mitstreiter*innen können die bisher von Bund und Ländern | |
getroffenen Regelungen nicht die Lösung der Mietenfrage in der Krise sein. | |
„Am Ende führt das auch nur zu Privatverschuldungen“, sagt sie. Gerade für | |
Prekärbeschäftigte und Geringverdienende verlagere sich das Problem | |
lediglich in die Zeit nach der Krise. | |
## Keine Umverteilung von unten nach oben | |
Was die Gruppe „Mietstreik jetzt“ aber explizit nicht will, ist, dass der | |
Staat die Mieten übernimmt. „Wenn auf diesem Weg Steuergelder an die | |
Privatwirtschaft fließen, befeuert das nur eine Umverteilung nach oben. Wir | |
wollen ja nicht durch die öffentliche Hand Vermieter*innen alimentieren. | |
Profite mit der Miete lehnen wir grundsätzlich ab.“ Vermieter*innen sollten | |
stattdessen auf Renditen verzichten, Mietschulden erlassen und von | |
Mieterhöhungen absehen. | |
Der Mietstreik sei eine Möglichkeit, in der Zeit, wo man kaum etwas | |
unternehmen kann, handlungsfähig zu bleiben, sagt N. Die Gesetzesinitiative | |
zum Mieterschutz biete eine gute Basis für den Streik. Einen | |
Kündigungsschutz, wenn Mieter*innen die Zahlung aus politischen Gründen | |
verweigern, bietet sie aber natürlich nicht. N. weiß das. „Ein Streik ist | |
immer eine riskante Maßnahme“, sagt sie, „egal ob Arbeits- oder | |
Mietstreik“. | |
Die Gruppe „Mietstreik jetzt“ rät deshalb jeder und jedem dazu, mit | |
Augenmaß vorzugehen und Rücksprache mit Mietervereinen und Anwält*innen zu | |
halten. Es gehe ihnen auch nicht darum, kleine Vermieter*innen in den Ruin | |
zu treiben. „Wir wollen vielmehr große Immobilienkonzerne daran hindern, | |
von Mieten zu profitieren, die wir nicht mehr bezahlen können“, sagt N. | |
Auch in anderen Städten werden dieser Tage Forderungen laut, die Mieten | |
während der Coronakrise zu sparen. Über 9.000 Menschen haben bereits eine | |
entsprechende [4][Online-Petition] unterschrieben. Das Bündnis | |
„Mietenwahnsinn Stoppen“ und andere rufen für den kommenden Samstag, an dem | |
ein globaler „[5][Housing Action Day]“, also ein Protesttag zum Thema | |
Wohnen geplant war, zu einer Internet- und Fenster-Demonstration auf. | |
*Name geändert | |
26 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Massnahmen-fuer-Mieter-in-Berlin/!5670684/ | |
[2] https://www.saga.hamburg/pressemitteilung/Corona-Krise | |
[3] https://www.vnw.de/presse/meldungen/mietenmoratorium-ist-falsch/ | |
[4] https://www.openpetition.de/petition/online/mieten-pausieren-waehrend-der-c… | |
[5] https://www.housing-action-day.net/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
## TAGS | |
Mieten Hamburg | |
Wohnen | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Streik | |
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mietstreik in Berlin: Da streikt sich was zusammen | |
Das Bündnis „Wir zahlen nicht“ wirbt für die Beteiligung an einem | |
Mietstreik. Die Coronahilfen von Bund und Senat reichten nicht. | |
Mietenprotest in Berlin: Mit Tweet und Topfdeckel | |
Nach Absage der großen Mietendemo wegen Corona demonstrieren Aktivist*innen | |
und Betroffene am Samstag mit vielen Einzelaktionen – on- und offline. | |
Aktivismus in der Coronakrise: Besetzen per Livestream | |
In Berlin werden Wohnungen besetzt, um sie Obdachlosen zur Verfügung zu | |
stellen. Das Bündnis #besetzen überträgt die Aktion ins Netz. | |
Mieten-Demo in Berlin trotz Corona: „Lärmkonzert um 18 Uhr“ | |
Am Samstag sollten bundesweit Mietendemos stattfinden. Sie werden ins Haus | |
verlagert. Die Enteignungs-Initiative hält Protest für wichtiger denn je. | |
Fiktive Kanzlerinnenrede: Neustart Deutschland | |
Wenn die Coronakrise überwunden ist, wird Kanzlerin Merkel wieder eine | |
Ansprache an die Bundesbürger:innen halten. Hier schon mal ein Vorschlag. | |
Coronakrise und Ferienwohnungen: Airbnb geht in die Knie | |
Ein großer Verlierer der Krise ist Airbnb. Ohne Touristen flüchten die | |
Anbieter. In Berlin sind bereits 10 Prozent der Inserate verschwunden. | |
Hilfe für Flüchtlingslager: „Das Virus ist eine Atombombe“ | |
Im überfüllten Flüchtlingslager von Chios wäre auch nur ein Corona-Fall ein | |
Desaster, sagt ein Helfer. Berliner sammeln Geld für die einzige „Klinik“. | |
Maßnahmen für Mieter in Berlin: Corona verschärft Wohnungsfrage | |
Der Berliner Senat hat weitere Regelungen für Mieter beschlossen: Der | |
Kündigungsschutz soll ausgeweitet und Räumungen sollen ausgesetzt werden. |