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# taz.de -- Maßnahmen für Mieter in Berlin: Corona verschärft Wohnungsfrage
> Der Berliner Senat hat weitere Regelungen für Mieter beschlossen: Der
> Kündigungsschutz soll ausgeweitet und Räumungen sollen ausgesetzt werden.
Bild: Am Samstag scheppert's: Mieter:innen in Berlin wollen statt Großdemo Kra…
Berlin taz | „Viele Mieter stehen vor dem Nichts und müssen sich jetzt
entscheiden, ob sie Miete bezahlen oder sich noch etwas zu essen kaufen“,
sagt Kim Meyer aus dem Mietenwahnsinn-Bündnis. Kontaktsperren infolge der
Pandemie hätten soziale Ungleichheiten verschärft: „Es ist gerade ein
kritischer Moment und wir können nicht auf die Straße, um zu
demonstrieren.“
Immerhin erkennen Bundesregierung und Senat viele Probleme bereits an:
Nachdem der Bund am Montag Mieterschutzmaßnahmen auf den Weg gebracht hat,
die bereits am Freitag final im Bundesrat beschlossen werden sollen, hat am
Dienstag der Senat nachgezogen. Auf Initiative der Senatsverwaltungen für
Stadtentwicklung und Wohnen sowie für Justiz wurde ein Maßnahmenpaket
beschlossen, um MieterInnen vor existenziellen Nöten infolge der
Coronakrise zu schützen. Berlin stellt sich dabei hinter die Absicht des
Bundes, außerordentliche Kündigungen aufgrund von Mietrückständen
auszusetzen, nach Möglichkeit aber für einen längeren Zeitraum als nur bis
Ende Juni.
Konkrete Maßnahmen hat Berlin für die landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften beschlossen. Diese sollen bei Mietrückständen
„individuelle und kulante Lösungen vereinbaren“ und auf Kündigungen sowohl
für Wohnungen als auch Gewerberäume verzichten. An private Vermieter
appelliert der Senat, „in gleicher Weise zu verfahren“. Die städtischen
Gesellschaften sollen zudem auf Mieterhöhungen, sofern sie ob der
Mietendeckel-Gesetzgebung überhaupt zulässig sind, verzichten. Degewo,
Howoge und Co. sollen „wie eine Eins im Kampf gegen Armut durch Corona
stehen“, sagt die Mietenexpertin der Linksfraktion, Gaby Gottwald, der taz.
Grundsätzlich will der Senat MieterInnen vor Zwangsräumungen schützen. Eine
förmliche Anordnung dazu hätte der Senat nur bei Ausrufung eines Notstandes
erlassen können. Stattdessen wurde im Dialog mit den Amtsgerichten und den
GerichtsvollzieherInnen vereinbart, vorerst keine Zwangsräumungen mehr
durchzuführen.
## Keine Zählersperren
Eine Aussetzung von Zwangsräumungen käme auch Gewerbemietern, wie etwa der
bedrohten Neuköllner Kneipe Syndikat, zugute. Mitarbeiter wurden
angewiesen, auf Kontakte zu Schuldnern und Gläubigern zu verzichten. Dies
gelte bis auf Weiteres, mindestens aber bis zum 19. April. „In diesen
Zeiten darf Solidarität keine leere Worthülse sein. Eventuell drohender
Wohnungsverlust muss vermieden und denjenigen, die durch die Coronakrise
ihre Miete nicht mehr bezahlen können, geholfen werden“, so
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke).
Die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, spricht
von einem „Schutzschirm für MieterInnen“. Diese seien nun zunächst vor
Kündigungen, Wohnraumverlust und Zwangsräumungen geschützt.
MieterInnen, die in Zahlungsrückstände geraten, sollen zudem nicht mit
Strom- oder Gassperren belegt werden. Die Amtsgerichte setzen auch diese
Maßnahmen aus. „Wenn die Menschen in dieser Krisenzeit in Obdachlosigkeit
geraten würden oder bei Nachtfrost plötzlich ohne Heizung leben müssten,
wäre das eine unzumutbare Härte“, so Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne).
Die Gasag kündigte an, auf Zählersperrungen und Versorgungsunterbrechungen
zu verzichten. „Wir wollen die Menschen jetzt von zusätzlichen Problemen
entlasten und damit einen Beitrag leisten, dass unsere Gesellschaft diese
Herausforderung besteht“, so der Vorstandsvorsitzende Gerhard Holtmeier.
## Diskussion über Beschlagnahmung
Auch Koalitionspolitiker von Linken und Grünen diskutieren bereits über
weitere Maßnahme wie die Beschlagnahmung von Wohnraum oder Mieterlasse.
Ebenso mahnt der Berliner Mieterverein Nachsicht bei Vermieter:innen an.
„Wir müssen dafür Sorge tragen, dass aufgrund der Coronakrise nicht die
ohnehin finanziell benachteiligten Haushalte die schwerste Last aus den
wirtschaftlichen Folgen tragen“, sagt Geschäftsführer Reiner Wild. Er rät,
neben einer großzügigen Stundung von Mietrückständen auch einen Verzicht
von Zahlungen zu prüfen, „insoweit die ordnungsgemäße Bewirtschaftung nicht
gefährdet ist“. Ebenso müssten laufende Vollstreckungen und Räumungen
gestoppt werden.
Eine ganz andere Antwort auf die verschärfte Mietenfrage haben
Mietaktivist:innen. Derzeit wird in sozialen Bewegungen viel über
Mietstreiks oder auch Mietenpausen diskutiert – also das komplette
Aussetzen von Mietzahlungen für die Dauer der Coronakrise.
## Internationaler Mietenstreik
Das weltweit wohl erste Vorbild dafür dürfte ein international bekanntes
Wohnkollektiv, Station 40 aus San Francisco, sein. Das Projekt hat dazu
aufgerufen, während der Coronakrise kollektiv keine Miete zu zahlen. In
Nordamerika nimmt die Forderung an Fahrt auf und auch [1][in Spanien]
wollen sich viele Gruppen anschließen.
In Berlin ist diese Diskussion angekommen. Das Mietenwahnsinn-Bündnis hat
bereits auf die Möglichkeit einer Mietenpause aufmerksam gemacht. Ebenso
gibt es schon eine [2][Berliner Petition] mit dem Titel „suspend the rent“
(auf Deutsch: „Setzt die Miete aus“), die Stand Dienstag bereits an die
9.000 Mitzeichner:innen hat.
Darin fordern die Urheber:innen, „Mieten und Kredite ab sofort bis zum Ende
der Coronakrise auszusetzen“. So könne vielen Menschen Sorgen vor
Wohnungsverlust und Verschuldung genommen werden. Niemand sollte in dieser
Krise die Wohnung verlieren oder nicht genug zu essen haben, weil das Geld
nicht mehr für Miete und Supermarkt reiche, heißt es dort.
Die Aussetzung der Mieten kann man laut Petition einfach durch ein
Parlamentsgesetz anordnen, sodass Sozialverwaltungen und Gerichte entlastet
würden. Und weiter: „Sollten durch die Aussetzung der Miete einzelne
Vermieter bedürftig werden, weil sie für einige Zeit keine Miete erhalten,
kann ihnen von den Wohnungs- oder Sozialämtern die notwendige finanzielle
Unterstützung gewährt werden.“
## „Alles würde den Bach runter gehen“
Vermieter werden das erwartungsgemäß anders sehen. David Eberhard vom BBU
sagt zur Mietenpause: „Das würde einen Flächenbrand auslösen. Sie können
nicht bei der Wohnungswirtschaft, dem größten Kreditnehmer des Landes,
Zahlungen aufschieben. Davon wären auch die Banken betroffen und alles
würde den Bach runtergehen.“
Eberhard sagt: „Maximalforderungen helfen im Moment nicht.“ Es gebe ja bei
Arbeitslosigkeit und finanzieller Knappheit herkömmliche Schutzinstrumente
wie Hartz IV und Wohngeld. Er finde aber, dass es einen Übergangsfonds für
Mieter:innen geben müsste, der unkompliziert Kredite gewährt und
unbürokratisch Mietzahlungen übernimmt, wenn die Verwaltungen und Ämter
nicht mit möglichen Genehmigungen von Anträgen hinterherkommen sollten.
Dass man zu einer Mietpause auch als Vermieter anders stehen kann, zeigt
derweil [3][ein Beispiel aus Saarbrücken]: Dort hat ein Vermieter sich
wegen Corona bereit erklärt, bis auf Weiteres auf zwei Monatsmieten zu
verzichten, wenngleich das hier Gewerbe betrifft.
Und auch das Mietenwahnsinn-Bündnis gibt nicht kampflos auf: Am Samstag hat
das breite Bündnis trotzdem zum Protest aufgerufen: zu einer Fenster- und
Online-Demonstration. Transparente und Plakaten sollen an die Häuser
gehängt werden und um 18 Uhr mit Töpfen und Deckeln zehn Minuten lang Lärm
gemacht werden, dabei soll man gelbe Handschuhe tragen.
Und auch eine Online-Demo soll es geben: Unter den Hashtags
#housingactionday2020 und #togetheagainstcorona sollen alle, die sonst am
Samstag demonstrieren gegangen wären, Bilder, Videos und Texte teilen, die
zeigen, warum sie heute auf die Straße wollten. So könne man auch bei einem
Kontaktverbot handeln. Im Aufruf heißt es: „Die Wohnungskrise verschärft
sich gerade und wir lassen in unserem Protest nicht nach!“
24 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.elsaltodiario.com/coronavirus/200-colectivos-llaman-huelga-alqu…
[2] https://www.openpetition.de/petition/online/mieten-pausieren-waehrend-der-c…
[3] https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/unternehmer-bekom…
## AUTOREN
Erik Peter
Gareth Joswig
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