# taz.de -- Neue Besetzungen in Berlin angekündigt: Besetzen jetzt mit Ansage | |
> Das Bündnis #besetzen kündigt an, Ende September Häuser zu besetzen. | |
> Schon jetzt laufen 130 Ermittlungsverfahren wegen vorheriger Aktionen. | |
Bild: Reale Aktion und mediale Verwertung gehen bei #besetzen zusammen | |
BERLIN taz | Berlin steht vor einer Zuspitzung der staatspolitischen | |
Kämpfe. Am Mittwoch kündigte eine Gruppe aus dem Bündnis #besetzen eine | |
Aktion in diesem Herbst an, konkreter und offensiver als je zuvor: „Wir (…) | |
kündigen an, am 28. 9. erneut Häuser zu besetzen“, heißt es im Schreiben. | |
Die Organisatoren wollen an diesem Tag zu öffentlichen Treffpunkten | |
einladen. Es gehe darum, so viele Menschen zusammenzubringen, „dass wir | |
nicht zu räumen sind“. | |
Die Aktivisten begründen ihren Plan mit der „Verdrängung von Mieter*innen | |
und emanzipatorischen Projekten“. Bereits im Herbst droht dem queeren | |
Hausprojekt [1][Liebigstraße 34] und der Neuköllner Kiezkneipe | |
[2][Syndikat] das Aus, weitere politische Projekte sind akut gefährdet. | |
Aktionssprecherin Luca Wilmers kritisiert, dass „Profitinteressen“ darüber | |
entscheiden, „wofür Räume genutzt werden“. Die Besetzer wollen einen | |
selbstverwalteten „unkommerziellen Ort“ schaffen. | |
Besetzt werden soll im Rahmen der [3][Aktionstage „Tu mal wat – reclaim the | |
city“] vom 26. bis 29. September, die unter anderem vom Bündnis #besetzen, | |
verschiedenen bedrohten Projekten und Zwangsräumung verhindern organisiert | |
werden. An den vier Tagen soll es etwa um die Reglementierung des | |
öffentlichen Raums und Vertreibung von Obdachlosen, Auswirkungen des | |
Tourismus und die Eigentumsfrage gehen. | |
Die Ankündigung einer massenhaften Aktion des zivilen Ungehorsams dürfte | |
Nervosität verursachen. Zumindest an den Treffpunkten dürfte die Polizei | |
darum bemüht sein, einer sich anbahnenden Besetzung nicht tatenlos | |
zuzusehen. Und im Senat könnte abermals die Frage nach der [4][Berliner | |
Linie] – Hausbesetzungen innerhalb von 24 Stunden räumen zu lassen – | |
aufkommen. Wiederholt hatten sich Politiker der Regierungsfraktionen gegen | |
diese Praxis gestellt. Bislang ist eine Änderung an Innensenator Andreas | |
Geisel (SPD) gescheitert. | |
## Frühlings- und Herbst-Besetzungen | |
Das Bündnis #besetzen hatte im Mai vergangenen Jahres erstmals ein | |
[5][leerstehendes Wohnhaus in Neukölln besetzt]. 56 Aktivisten wurden von | |
der Polizei geräumt, nachdem es zuvor Verhandlungen gegeben hatte – alle | |
erhielten Anzeigen. Eine Besetzung mit deutlich mehr Menschen wird dem | |
Senat die Frage aufzwingen, ob eine alleinige polizeiliche Reaktion noch | |
vermittelbar ist. | |
Im vergangenen Herbst folgten die Besetzungen einer Wohnung in der | |
[6][Großbeerenstraße], des geplanten [7][Google Campus], eines ehemaligen | |
Wohnungslosenheims in der [8][Berlichingenstraße] und von Kellerräumen in | |
der Skalitzer Straße. Im April folgte am Rande der Mietenwahnsinn-Demo der | |
ehemalige Gemüseladen [9][Bizim Bakkal in der Wrangelstraße]. #besetzen | |
spricht auf Anfrage der taz von etwa 130 Strafverfahren, die die Justiz | |
aufgrund dieser Aktionen eingeleitet hat. Ein Prozess am kommenden Dienstag | |
könnte der Auftakt für eine ganze Welle an Gerichtsverfahren sein. | |
Angeklagt ist ein junger Mann, Simon, der im Oktober als Unterstützer vor | |
dem Laden in der Skalitzer Straße stand. Für die Kundgebung von etwa 80 | |
Menschen gab es die Auflage, den Hauseingang freizuhalten. Als die Polizei | |
dies nicht gewährleistet sah, versuchte sie die Menge abzudrängen, die | |
Aktivisten drückten dagegen. Acht Menschen wurden festgenommen. Der Vorwurf | |
gegen den nicht vorbestraften Simon: Er sei Teil dieser Menge gewesen. Für | |
die Justiz ein Fall von gemeinschaftlichem Widerstand gegen | |
Vollstreckungsbeamte. | |
## Hohe Strafen wegen Schubsgesetz | |
Seit einer [10][Gesetzesverschärfung 2017 wird Widerstand in Form des | |
tätlichen Angriffs mit Haft von mindestens drei Monaten geahndet], aus | |
einer Gruppe, wie bei einem Demonstrationsgeschehen, gar mit mindestens | |
sechs Monaten. Simon bekam einen Strafbefehl über acht Monate Gefängnis auf | |
Bewährung. Per Strafbefehl üblich seien eigentlich nur Geldstrafen, sagt | |
seine Anwältin Britta Eder. | |
Sie kritisiert die Gesetzesneufassung, die die „Strafmaße unendlich nach | |
oben“ getrieben habe. Im Fall von Simon wäre bei einer Verurteilung früher | |
ein Strafmaß zur Anwendung gekommen, „das bei einer kleinen Geldstrafe | |
begonnen hätte“, sagt sie. Die jetzt drohende Freiheitsstrafe nennt sie | |
„unverhältnismäßig hoch“. Simon selbst spricht von „großer Akzeptanz�… | |
der Bevölkerung fürs Besetzen. „Darauf reagiert der Staat mit dem | |
Polizeiknüppel.“ | |
Auch mehreren Besetzern der Neuköllner Bornsdorfer Straße wird mehr als der | |
übliche Hausfriedensbruch vorgeworfen. Laut Polizeibeamten sollen sie sich | |
ihrer Räumung aus dem für die Öffentlichkeit nicht einsehbaren Haus | |
widersetzt haben, durch Unterhaken, ruckartige Bewegungen und Tritte. Ein | |
Betroffener sagte der taz: „Das ist komplett erlogen.“ Ebenso bewertet das | |
Bündnis die Ermittlungen wegen eines angeblichen Messerangriffs am Rande | |
der Bizim-Bakkal-Besetzung. Die Polizei war dort für ihren brutalen Einsatz | |
kritisiert worden. Den Besetzern im Laden warf sie später „schweren | |
Hausfriedensbruch“ vor. | |
Die Aktivisten wollen sich nicht einschüchtern lassen: „Bis wir so viele | |
sind, dass wir nicht mehr geräumt werden können, ist es ein notwendiges | |
Übel, diese Repression auf uns zu nehmen.“ | |
14 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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