| # taz.de -- Isolation wegen Schulschließungen: Vernachlässigte Kinder | |
| > Wissenschaftler fordern, in der Krise die Kinder besser zu schützen. Wie | |
| > ist Hamburg diesbezüglich aufgestellt? | |
| Bild: Alleine gelassen: Helfen könnten Lehrer, die Kontakt aufnehmen | |
| Hamburg taz | Seit fast drei Wochen sind Schulen, Spielplätze und Kitas nun | |
| schon geschlossen. Der Ulmer Kinderpsychiater Jörg Fegert warnt in der Zeit | |
| vor den Folgen für die Kinder: Kontaktsperren und häusliche Isolation seien | |
| fatal. Er ist Mitunterzeichner eines Brandbriefs von 100 Wissenschaftlern, | |
| die zu mehr Kinderschutz in der Corona-Krise aufrufen. | |
| Ganz wichtig sei, dass schutzbedürftige Kinder in die Notbetreuung | |
| aufgenommen werden – ein Punkt, den Hamburg im Prinzip schon erfüllt. Hier | |
| ist die Notbetreuung in den Kitas auch für jene Kinder weiter offen, die | |
| einen „dringlichen sozial bedingten oder pädagogischen Bedarf“ haben, auch | |
| „Prio 10“ genannt, zum Beispiel, weil die Hauptbezugsperson eines Kindes | |
| krank ist oder sich nicht richtig kümmern kann. | |
| Die Kitas sind sogar angewiesen, „aktiv mit den Eltern der ‚Prio 10‘-Kind… | |
| Kontakt aufzunehmen und sie zu motivieren, ihre Kinder in die Kita zu | |
| bringen“. Das schreibt die Sozialbehörde auf eine Anfrage der | |
| Linken-Abgeordneten Insa Tietjen. | |
| Doch in der Antwort heißt es weiter, mit Stand vom 31. März seien rund | |
| 2.700 Kinder in den Kindertagesstätten, was nur etwa 3,25 Prozent der rund | |
| 83.000 Kita-Kinder entspricht. „Das sind deutlich zu wenig“, sagt Tietjen, | |
| die neue Kita-politische Sprecherin der Linken. Man müsse bedenken, dass | |
| der Großteil von den 2.700 Kindern jene seien, deren Eltern jetzt | |
| Notbetreuung brauchen, weil sie wichtige Berufe ausüben. Wie viele „Prio | |
| 10“-Kinder insgesamt in Hamburg leben, gibt die Sozialbehörde nicht | |
| bekannt. | |
| ## Nur wenig Kinder in der Notbetreuung | |
| Noch weniger in Anspruch genommen wird die Notbetreuung der Schulen. Dort | |
| kamen in der ersten Woche [1][nur 0,35 Prozent der Schüler an]. Nach | |
| taz-Informationen besteht seit dem 1. April für Schüler aus | |
| Jugendhilfeeinrichtungen und ambulanten Hilfen die Möglichkeit, wieder zur | |
| Schule zu gehen. | |
| Ein Rundschreiben von Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack von Montag | |
| gibt zudem Anweisungen, damit Lehrer während der Schulschließungen die | |
| Kinder im Blick behalten und keine „akuten Gefährdungslagen“ übersehen | |
| werden. Die Schulen sollen zu jedem Schüler oder dessen Eltern mindestens | |
| zwei Mal in der Woche Kontakt aufnehmen. | |
| Gelingt das an zwei aufeinanderfolgenden Tagen nicht, „sollte eine | |
| Rückmeldung an die Schulleitung erfolgen“, steht in der Anweisung. Komme | |
| dann „trotz Postzustellungsauftrag (Einschreiben mit Rückschein) kein | |
| Kontakt mit der Familie zustande“, müsse es eine Konferenz mit der | |
| Schulleitung geben, um Schritte einzuleiten. | |
| Auch ein „Aufsuchen des Wohnortes“ sei in Einzelfällen zu prüfen. Der | |
| Lehrer sollte nicht die Wohnung betreten, aber sich davon überzeugen, dass | |
| „der Schüler wohlauf ist“. Lägen Hinweise auf eine Gefährdung vor, seien | |
| die Jugendbehörden zu informieren. Gebe es keinerlei Information über den | |
| Verbleib des Schülers, könnte der Lehrer Jugendamt oder Polizei | |
| einschalten. | |
| Wie die taz berichtete, gibt es [2][Familien, die Probleme haben, genug | |
| Essen für die Kinder zu kaufen]. Denn die kostenlosen Mahlzeiten in der | |
| Schule fallen weg. Gleichzeitig sind die Schulcaterer ohne Einnahmen und in | |
| ihrer Existenz bedroht. | |
| Zwar haben in Hamburg über 70.000 Kinder Anspruch auf ein warmes | |
| Mittagsessen in der Schule aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ des | |
| Bundes, doch dieses Geld kann den Familien nach Auskunft der Sozialbehörde | |
| nicht bar ausgezahlt werden. Auch eine Austeilung von Lunchpaketen der | |
| Caterer soll nicht möglich sein. | |
| ## Essenslieferung an die Haustür | |
| In dieser Situation hat eine Gruppe von Familienrichtern eine ungewöhnliche | |
| Aktion namens „Mittagsrakete“ angestoßen. In einem Spendenaufruf, der unter | |
| anderem von der „Yagmur-Gedächtnisstiftung“ verbreitet wurde, heißt es: | |
| „Viele Familien sind aufgrund finanzieller und/oder familiärer Belastungen | |
| auf die tägliche Mittagessensversorgung angewiesen. Wir haben uns das Ziel | |
| gesetzt, ab Ende dieser Woche (14. Kalenderwoche) so vielen bedürftigen | |
| Kindern wie möglich ein Mittagessen an die Haustür zu liefern.“ | |
| Die Initiatoren halten sich mit Öffentlichkeitsarbeit zurück, sie wollten | |
| erst mal mit der Arbeit beginnen. Wie die taz erfuhr, wurden am Donnerstag | |
| schon die ersten 200 Familien beliefert. Für Montag soll es bereits 520 | |
| Anfragen geben. Gekocht wird das Essen vom Schulcaterer „Mamas Canteen“. | |
| „Über das Jugendamt nehmen wir Kontakt zu den Familien auf“, heißt es auf | |
| der [3][Internetseite der „Mittagsrakete“]. Das Angebot richte sich an | |
| Kinder, bei denen die Besorgnis bestehe, dass sie „aufgrund des Wegfalls | |
| des Schul- bzw. Kita-Essens in ihren Familien nicht hinreichend mit | |
| gesundem Essen versorgt werden“. Selbst anfragen könnten die Familien | |
| eigentlich nicht, dies geschehe „auf Vorschlag der Jugendämter“ oder | |
| anderer Träger. | |
| ## Andere Lösungen gefordert | |
| „Dass diese Initiative entstanden ist, zeigt, was für einen großen Bedarf | |
| es hier gibt“, sagt Insa Tietjen. „Aber dies zu finanzieren, ist ganz klar | |
| Aufgabe des Staates.“ Schließlich sei das Essen für diese Kinder in den | |
| Kitas ja auch finanziert. „Die haben einen Rechtsanspruch darauf“, so die | |
| Abgeordnete. | |
| „Die Initiative finde ich erst mal sehr begrüßenswert“, ergänzt die | |
| Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Die Linke). „Aber wenn | |
| Spendenaktionen für staatliche Aufgaben einspringen, ist das immer ein Ritt | |
| auf der Rasierklinge.“ Schulbehörde und Sozialbehörde müssten für eine | |
| andere Lösung sorgen, damit die Kinder während der Corona-Krise versorgt | |
| seien. | |
| Die Sozialbehörde hat die Frage der taz, ob die Essenslieferung ins Haus | |
| nicht vom Staat bezahlt werden könnte, bis Redaktionsschluss nicht | |
| beantwortet. | |
| 3 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schulsenator-wirbt-fuer-Schulbesuch/!5668857 | |
| [2] /Probleme-durch-Wegfall-von-Schulessen/!5672655 | |
| [3] https://www.mittagsrakete.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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