# taz.de -- Kita-Versorgung in Hamburg: Ein leeres Versprechen | |
> Jedem Kind steht ein Kita-Gutschein zu, doch die Plätze sind rar. Ein | |
> vierjähriges Mädchen, das kein Deutsch spricht, wartet seit einem Jahr. | |
Bild: In der Kita haben Kinder Spaß, wie hier beim Besuch von Familienminister… | |
HAMBURG taz | Azra Melek* ist Dolmetscherin und begleitet Familien in | |
Schnelsen bei Behördengängen. Der taz berichtet sie von einem Fall, in dem | |
sie nicht helfen konnte. Trotz großer Bemühungen gelang es ihr nicht, für | |
die vierjährige Tochter einer Nachbarin einen Kita-Platz zu bekommen, | |
obwohl die darauf ein Anrecht hat. „Das Mädchen ist grade vier geworden, | |
sitzt den ganzen Tag Zuhause und kann kein Deutsch“, sagt Melek. | |
In Hamburg hat jedes Kind ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf | |
mindestens fünf Stunden Kita-Besuch täglich. Doch die Eltern erhalten nur | |
die Gutscheine dafür, den Platz müssen sie selbst finden. | |
Melek, die anonym bleiben möchte, war mit der Nachbarin gleich zu drei | |
Kitas gegangen, als diese voriges Jahr nach Schnelsen zog. Alle drei | |
sagten, es sei nichts frei. „Vor zwei Wochen waren wir wieder dort. Es | |
hieß, sie steht noch auf der Warteliste. Wir sollten uns gedulden.“ | |
Dabei spricht die Familie zuhause nur Türkisch. „Das Kind möchte Deutsch | |
lernen und mit anderen Kindern spielen“, so die Übersetzerin. Von einer | |
Beratungsstelle hörte sie, man könne sich ans Jugendamt wenden. „Aber das | |
wollte die Mutter nicht. Sie sagte ‚nein, nein, nein‘. Ausländische | |
Familien haben Angst vor dem Jugendamt.“ | |
## Enquete-Kommission warnt vor Ausgrenzung | |
Ein Teil des Problems: Die Familie hat nur einen 5-Stunden-Gutschein. Der | |
steht Kindern zu, deren Eltern nicht beide arbeiten. Doch die Plätze sind | |
rar, weil Träger wirtschaften müssen und lieber Kinder berufstätiger Eltern | |
mit Acht- oder Zehn-Stunden-Gutscheinen aufnehmen. Bereits in der | |
Enquête-Kommission „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“, die si… | |
vor zwei Jahren mit dem Aufwachsen von Kindern in Hamburg beschäftigte, kam | |
das zur Sprache. „Kinder erwerbsloser Eltern werden durch die reduzierte | |
Betreuungszeit ausgrenzt“, heißt es im Kapitel „Soziale Rahmungen“ im | |
[1][Anhang des Abschlussberichts]. | |
Dort steht auch, dass die Kinderzahl wächst und zwar schneller als die | |
Kita-Fläche. Bot zum Beispiel Harburg 2010 noch 77 Prozent aller Kinder von | |
null bis sieben einen Platz, waren es 2015 nur noch 62 Prozent. Harburg | |
hatte mehr Kinder mit Anrecht auf fünf Stunden und war für neue Träger | |
wenig attraktiv. | |
Die Sozialbehörde vertritt, dass alle Gutscheine „voll auskömmlich“ | |
finanziert seien. Plätze für fünf Stunden könnten genauso wirtschaftlich | |
angeboten werden wie jene für acht Stunden, sagt Sprecherin Anja Segert. | |
Sie räumt aber ein, es könne für Kitas „personalorganisatorische Gründe“ | |
geben, Kinder mit höherem Zeitumfang zu nehmen. Hamburgweit hat etwa jedes | |
dritte Kind nur den Fünf-Stunden-Platz. Gar keine Betreuung hatten im März | |
2019 rund 950 Kinder. | |
Für die Vierjährige aus Schnelsen gibt es zwei Lösungen. Die Mutter könnte | |
[2][beim Jugendamt um einen sogenannten „Prio 10“-Schein bitten]. Der | |
besagt, dass das Kind Entwicklungsverzögerungen hat oder andere Probleme, | |
die einen Ganztagsplatz erfordern. Selbst Jugendamtsmitarbeiter warnen | |
aber, dies könne ein „Stigma“ bedeuten. | |
Der andere Weg: die Mutter könnte zur Kita-Abteilung im Bezirk gehen und | |
bitten, dass ihr Plätze nachgewiesen werden. Dafür müssen Eltern aber fünf | |
Absagen von Kitas vorweisen, wie auch der für Schnelsen zuständige Bezirk | |
Eimsbüttel auf taz-Nachfrage mitteilt. | |
Die CDU spürte dem Kita-Mangel in Harburg mit mehreren Anfragen nach. Im | |
März 2018 gab es dort in Unterkünften rund 400 Flüchtlingskinder, aber nur | |
135 waren in einer Kita. Der Bezirk suchte in 34 Nachweisverfahren einen | |
Kita-Platz für ein Kind. Im November 2019 führte der Bezirk bereits 65 | |
solcher Verfahren und gab die Hälfte davon an die Sozialbehörde weiter, | |
weil sich kein Platz fand. Sogar bei den Kitas der Stadt gab es Wartezeiten | |
von zwei Jahren. | |
Das Problem der 5-Stunden-Gutscheine bestehe schon lange, „daran hat auch | |
das Nachweisverfahren wenig verändert“, sagt Insa Tietjen, Kita-Politikerin | |
der Linken. Sie fordert eine höhere Bewertung dieser Gutscheine und | |
langfristig Ganztagsplätze für alle. Als ersten Schritt sollten nach | |
Vorbild Berlins sechs Stunden Regelangebot sein. | |
„Es ist nicht hinnehmbar, dass Kinder so lange auf einen Platz warten“, | |
sagt die CDU-Familienpolitikerin Silke Seif. Zumal wenn es Kinder treffe, | |
in deren Elternhaus wenig Deutsch gesprochen werde. Der Weg zum Kitaplatz | |
über das Nachweisverfahren sei zudem lang und „hochschwellig“. | |
Der Bezirk Eimsbüttel allerdings erklärt, man habe seit 2019 alle | |
Nachweisverfahren mit einem Platz abschließen können. Nur hat sich diese | |
Lösung dort wohl nicht herumgesprochen. Melek erfuhr erst durch die taz | |
davon. „In keiner der drei Kitas hat man uns davon etwas gesagt“, berichtet | |
sie. „Es hieß nur, habt Geduld.“ Sie will nun mit ihrer Nachbarin losziehen | |
und bei Kitas Absagen sammeln. | |
*Name geändert | |
7 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/65251/bericht_der_enquete_… | |
[2] /Vergabe-von-Kita-Plaetzen/!5081296/ | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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