# taz.de -- Corona und Kontaktregeln für Kinder: Lasst die Kinder frei! | |
> Kinder mit gutem Immunsystem sind trotz Corona füreinander ungefährlich. | |
> Doch die Kontaktverbote treffen sie am härtesten. Zeit, das zu ändern. | |
Bild: Schaukel-Ente auf einem abgesperrten Spielplatz in Leipzig | |
Kinderbetreuung zu, Freunde weg, Oma verboten, Spiel- Sportplätze | |
abgeriegelt, rausgehen nur noch mit Eltern: Die aktuellen Regelungen zur | |
Pandemieprävention treffen Kinder unverhältnismäßig hart, und damit | |
wiederum ihre Angehörigen. Denn Kinder werden nicht nur aus ihren gewohnten | |
Sozialbezügen außerhalb der Kernfamilie gerissen, sie dürfen faktisch auch | |
nicht mehr mit anderen draußen toben und spielen. Damit entfällt für sie | |
jedoch die wichtigste – und auch gesündeste – Beschäftigungs- und | |
Entspannungsmöglichkeit. Das trifft wiederum die Eltern und hier oft die | |
Mütter, die zusehen müssen, wie sie mit ihrem Nachwuchs durch den zähen Tag | |
kommen. | |
Denn oft sind es die Mütter, die [1][ins Homeoffice gehen] (also in die | |
Küche, ins Schlaf- oder Wohnzimmer), während sie gleichzeitig aufräumen, | |
kochen, Kinderstreit schlichten, Lehrer spielen und an der digitalen | |
Technik basteln, um Kommunikations- und Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten. | |
Vor allem für Familien und Alleinerziehende in den Großstädten bedeutet | |
dies Stress und Überforderung, nicht selten auch eine Bedrohung der | |
wirtschaftlichen Existenz, denn einen Acht-Stunden-Tag kann so niemand | |
einhalten. Zu den Großeltern sollen die Kinder aber auch nicht, womit eine | |
wichtige Abwechslung und Betreuungsalternative entfällt. Das erhöht den | |
Druck und Stress für die einen und macht die anderen traurig. | |
Dabei sind Kinder, und in abgeschwächter Form Frauen, allen Statistiken | |
zufolge, die bislang über die Verbreitung des Virus, Krankheitsverläufe und | |
Sterbefälle vorliegen, am wenigsten gefährdet. Kinder scheinen das Virus | |
aber auch nicht in dem Maße zu übertragen, wie es andere | |
Bevölkerungsgruppen tun. Zu Unrecht werden sie derzeit mit der Gruppe | |
junger Erwachsener in einen Gefährdungs“topf“ geworfen, die ganz andere | |
Bewegungsradien und Kontaktbedürfnisse haben. | |
Auch ist nicht nachvollziehbar, warum es erlaubt ist, dass Menschen, die | |
einander nicht kennen, eng gedrängt in Bus und Bahn zur Arbeit fahren, | |
Kinder jedoch nicht einmal ihre besten Freunde sehen dürfen. | |
Die aktuellen Regelungen haben insofern eine große sozial-, gender- und | |
kohortenpolitische Unwucht. Gerade für Kita- und Grundschulkinder bis zu 12 | |
Jahren und für die sie betreuenden Personen sollte es bald zu | |
passgenaueren, sozialverträglicheren und bedürfnisorientierteren Regelungen | |
kommen. Eine zielgruppenorientiertere Risikobetrachtung und -abwägung | |
könnte ermöglichen, Kindern mehr Freiräume zu gewähren und dennoch die | |
Risikogruppen weiter zu schützen. | |
## Große sozialpolitische Unwucht | |
Hier soll dafür auf Basis einer Auswertung der vorliegenden Studien zu | |
nachgewiesenen Infektionen, Krankheitsverläufen und Sterberaten im | |
Zusammenhang mit Covid-19 eine wissensbasierte Diskussionsgrundlage | |
geschaffen werden. In allen Ländern, für die Daten vorliegen, kam es | |
bislang nur zu einer stark unterdurchschnittlichen Zahl von an Covid-19 | |
erkrankten Kindern. | |
Kinder, die sich infizierten, hatten in den allermeisten Fällen keine oder | |
nur leichte Krankheitssymptome. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) | |
bestätigt: „Bisherigen Daten zufolge ist die Symptomatik von COVID-19 bei | |
Kindern deutlich geringer ausgeprägt ist als bei Erwachsenen“. Warum Kinder | |
weniger gefährdet sind als Erwachsene, ist bislang unklar. In medizinischen | |
Fachkreisen wird vermutet, dass das angeborene Immunsystem von Kindern die | |
Viren effektiver und damit auch schneller bekämpft. | |
Das heißt, Eltern brauchen keine Angst zu haben, dass ihre Kinder von | |
schweren Krankheitsverläufen oder gar dem Tod bedroht sind, wenn sie sich | |
infizieren (außer das Kind hat bestimmte Vorerkrankungen). Das heißt aber | |
auch, Kinder stellen in Zusammenhang mit Covid-19 keine Belastung für das | |
Gesundheitssystem dar, da sie in aller Regel nicht hospitalisiert werden | |
müssen. | |
Auch Frauen sind allen bislang vorliegenden Statistiken zufolge signifikant | |
weniger gefährdet als Männer. Im chinesischen Wuhan, für das bislang die | |
umfangreichsten Auswertungen vorliegen, gab es zwar mehr infizierte Frauen | |
als Männer. Frauen erkrankten jedoch seltener schwer oder gar tödlich: Dem | |
chinesischen Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten | |
zufolge lag die Sterberate von Frauen bei 1,7 Prozent gegenüber 2,8 Prozent | |
bei Männern. Den bisherigen Studien zufolge, die auch das RKI zitiert, sind | |
vor allem ältere Männer und Personen mit Vorerkrankungen gefährdet. Am | |
höchsten ist das Sterblichkeitsrisiko bei Männern über 79 Jahren und bei | |
Erwachsenen ab 50 mit Herz-/Kreislauferkrankungen, Diabetes, | |
Atemwegserkrankungen, Bluthochdruck und Krebs, davon wiederum bei Männern | |
stärker als bei Frauen. | |
## Kinder können nicht alleine joggen | |
Als medizinisch erwiesen gilt, dass sich das Risiko durch eine | |
Diabetes-Erkrankung ebenso wie durch Herzkreislauferkrankungen und | |
Bluthochdruck erhöhen. Dass Frauen ein insgesamt stärkeres Immunsystem | |
haben, wird auch darauf zurückgeführt, dass sie in der Regel mehr und | |
engere Kontakte mit Kindern haben. Sich wenig bewegen und Kontakte | |
herunterzufahren, scheint jedenfalls auf Dauer nicht die beste Lösung zu | |
sein. | |
Trotz der unterschiedlichen Risiken für die verschiedenen | |
Bevölkerungsgruppen unterliegen derzeit alle Altersgruppen, Männer wie | |
Frauen, Gesunde und chronisch Kranke, Arme und Reiche, Menschen in der | |
Stadt und auf dem Land, denselben Beschränkungen. Dabei wird weder nach dem | |
Risiko, schwer zu erkranken oder zu sterben, noch nach sozialen oder | |
emotionalen Bedürfnissen unterschieden. | |
Die aktuellen Maßnahmen gelten für alle gleich – wirken aber nicht für alle | |
gleich. Mit hochgezogenem Halstuch alleine durch den Park zu joggen, ist | |
für Kinder keine Lösung. Spiel- und Sportplätze sollten daher schnellstens | |
wieder geöffnet werden. | |
Es sollte nach sozial intelligenten Wegen gesucht werden, wie | |
Sozialkontakte, die guttun und damit auch für ein gesundes Immunsystem | |
wichtig sind, mit möglichst viel Abstand vollzogen werden können. Da für | |
Kinder ein Abstand von 1,50 Metern nicht zielgruppengerecht ist, Kinder | |
aber auch kaum gefährdet sind, sollten Treffen und Aktivitäten in stabilen | |
Kleingruppen schnellstens wieder erlaubt werden. | |
Ziel sollte es sein, den Personenkreis, der über die Kinder in einen | |
möglichen „Virenaustausch“ miteinander trifft, begrenzt zu halten. Das | |
schafft mehr Freiheit für die Kinder und wichtige Betreuungsalternativen | |
und Entlastung für Eltern, vor allem Alleinerziehende, die sich gezwungen | |
sehen, im Home- beziehungsweite treffender: im Familienoffice zu arbeiten. | |
8 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sandra Reuse | |
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