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# taz.de -- Trendgetränk Hafermilch: Schäumt, schmeckt und schont
> Kuhmilch? Von vorgestern! Jetzt gießt man eine Emulsion aus Wasser und
> Haferflocken in den Kaffee. Ein Plädoyer mit einfachem Rezept.
Bild: Hafer, Wasser – fertig ist die Hafermilch
In den letzten Monaten fühlt es sich im Supermarkt häufig so an, als sei
ich Jäger eines seltenen Rohstoffs. Wenn ich nach Feierabend das Regal mit
den Pflanzendrinks erreiche und mich die Kartons, in denen Hafermilch
stehen sollte, nur leer angähnen. Jemand war vor mir da. Und das war auch
schon vor [1][den Zeiten der Corona-Hamsterkäufe] so.
Dann wird mir bei Instagram ein gesponsertes Video über eine neue
Coffee-Bar in die Timeline gespült. Zwischen Siebträgermaschine und
spartanisch designtem Innenraum hantieren die tätowierten Unterarme eines
Baristas ganz selbstverständlich mit Hafermilch-Tetrapacks. Andere
Zielgruppe, aber gleiches Bild im Küchenzelt [2][des
Fridays-for-Future-Camps in Köln] im letzten Sommer. Gekocht wird nur
vegan, getrunken wird: Hafermilch.
Natürlich handelt es sich hierbei um anekdotische Evidenz. Was dahinter
steht, passt aber: Hafermilch ist der Milchersatz der Stunde – und das zu
Recht.
Denn tatsächlich ist Hafermilch einfach lecker. Sie schmeckt fein und
leicht und hat eine gewisse Süße. Ihre nicht zu leugnende, aber auch nicht
zu dominante Hafernote passt gut zum Kaffee. Doch das ist nicht alles. Sie
wird nicht sauer, sie schmeckt bloß irgendwann nicht mehr so gut. Sie
bildet keine Haut, wenn man sie kocht, lässt sich problemlos zu Milchschaum
verarbeiten und pappt später nicht an, wenn man den Rest stehen lässt.
## Kein Methan, weniger Anbaufläche
Ein weiterer Vorteil: Um Hafermilch herzustellen, müssen keine künstlich
besamten Kühe zur Milchproduktion gezwungen werden. Man braucht tatsächlich
überhaupt gar keine Kühe – dementsprechend entsteht auch kein Methan, und
es wird bedeutend weniger Anbaufläche pro Liter benötigt, wenn der Hafer
getrunken und nicht verfüttert wird. Ihre Ökobilanz ist damit um Längen
besser als die von Kuhmilch.
Auch [3][im Vergleich zu anderen Milchalternativen] steht Hafermilch laut
mehreren Studien gut da. Ihre Herstellung verbraucht deutlich weniger
Wasser als die von Reis- und Mandelmilch, und ihre Produktion verursacht
weniger Treibhausemissionen als die von Sojamilch. Beim Flächenverbrauch
schneidet Hafermilch allerdings ein wenig schlechter als die anderen
genannten ab. Dafür wächst Hafer auch in Europa gut, die Transportwege sind
also kurz.
Nach vier Jahren Pflanzendrink-Konsum schmeckt mir ein Schluck Kuhmilch
merkwürdig unangenehm. Eine dünne Schleimschicht mit leicht beißendem
Geschmack bildet sich im Mundraum. Auch merke ich ein leichtes Grummeln im
Magen – oder zumindest bilde ich mir das ein.
So abwegig ist mein Geschmackserlebnis nicht, denn eigentlich sind Menschen
gar nicht dafür gemacht, Kuhmilch zu trinken. Zwar entwickeln Neugeborene
das Enzym Laktase, das man braucht, um Milchzucker aufspalten und verdauen
zu können. Nach der Stillzeit fährt der Körper die Laktaseproduktion aber
deutlich runter. Ungespaltener Milchzucker kann jetzt Bauchschmerzen,
Durchfall und andere unangenehme Symptome auslösen.
Nur dort, [4][wo Menschen seit langer Zeit Milchwirtschaft betreiben] – vor
allem in Europa – hat eine Mutation dazu geführt, dass auch Erwachsene noch
Laktase produzieren. Weltweit aber sind 75 Prozent der Bevölkerung quasi by
default laktoseintolerant.
## Hipsterdrink statt Ökoplörre
Diesen Gedanken hat die schwedische Hafermilchmarke Oatly konsequent in
einen cleveren Marketingslogan gegossen und an die Hauswände großer Städte
plakatiert: „It's like milk, but made for humans“.
Oatly wirbt auf Englisch und hat es geschafft, die Emulsion aus Hafer und
Wasser aus der Öko-Ecke zu holen und mit Selbstironie als Hipsterdrink zu
vermarkten, der zudem ein gutes Gewissen macht. Denn seit einiger Zeit ist
auf den zeitgemäß designten Oatly-Milchkartons auch der ökologische
Fußabdruck des Inhalts abgedruckt.
Doch diese Umweltfreundlichkeit darf man auch hinterfragen. Ich gebe zu:
Auch ich ziehe aus dem Konsum von Hafermilch bisweilen einen
Distinktionsgewinn, fühle mich beim Trinken nachhaltig und klimaachtsam –
und verdränge dabei, dass sich in meinem Müll die zusammengefalteten
Hafermilch-Tetrapaks stapeln.
Zudem ist Hafermilch nicht günstig. Die Hausmarken von Supermärkten,
Discountern und Drogerien liegen preislich irgendwo zwischen 1 Euro und
1,50 Euro. Bei Oatly bezahlt man bis zu 2,50 Euro für einen Liter.
Hafermilch muss man sich leisten können – Klassismus in der Müslischale?
## Selbermachen geht ganz einfach
Unter den schrägen Decken der Küche ihrer Dachgeschosswohnung in
Köln-Nippes hat eine Freundin von mir eine Antwort auf die Fragen nach
Kosten und Müll von Hafermilch gefunden: Nora macht sie einfach selbst.
Und das geht erstaunlich einfach. Man weicht 50 Gramm Haferflocken zehn
Minuten lang in einem halben Liter Wasser ein. Die dann schon relativ
milchig aussehende Mischung wird anschließend mit einem Stab oder Mixer
püriert. Jetzt muss der Brei nur noch gefiltert werden. Nora hat dafür
einen speziellen Nussmilchbeutel, genauso gut kann man aber auch ein
Baumwolltuch, ein altes Hemd oder eine aussortierte Gardine verwenden.
Beim Milchmachen dreht Nora ihr Tuch langsam ein, presst und wringt es über
einer Schüssel aus, bis nur noch die Kleie übrig bleibt. Die kratzt sie aus
dem Beutel und stellt sie in einem Glas in den Kühlschrank. Kann man gut im
Müsli essen, sagt sie.
Die selbst produzierte Hafermilch sieht aus wie die gekaufte. Sie schmeckt
etwas getreidiger, nicht ganz so süß und lässt sich ganz passabel
aufschäumen. Mit Spülen dauert die Zubereitung rund dreißig Minuten. Und
den enttäuschenden Gang vor leere Supermarktregale, den spart man sich
damit auch.
20 Mar 2020
## LINKS
[1] /Hamsterkaeufe-und-Corona/!5668075
[2] /Fuenf-Tage-Streik-fuer-das-Klima-in-Koeln/!5611356
[3] https://www.bbc.com/news/science-environment-46654042
[4] /Kleine-Kulturgeschichte-der-Milch/!5015831
## AUTOREN
Benjamin Weber
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