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# taz.de -- Streit um Hamburger Hof: Kuh oder Pferd
> In Hamburg an der Grenze zu Schleswig-Holstein wird um einen Hof
> gestritten. Es geht auch um die Frage, was überhaupt Landwirtschaft ist.
Bild: Die Kühe auf dem umstrittenen Hof, das Pferd nur ein paar Felder weg
Hamburg taz | Die Kühe wissen nichts von dem Streit, der über ihren Ställen
hängt wie der Nebel über den Feldern. Sie graben ihre feuchten Schnauzen
ins Futter, malmen Silage, der Mist dampft. In Gummistiefeln streift Hauke
Jaacks, 58, zwischen den Traktoren herum. Die Nase rot, die Haut rissig von
der Kälte. Noch ist alles wie immer, an diesem Morgen im März.
Dabei dürfte Jaacks gar nicht mehr hier sein. Seine Pacht ist 2021
ausgelaufen. 17 Jahre war er Milchbauer auf dem Moorhof in Hamburg-Rissen.
Doch die Hofstelle mit ihren 16 Hektar wurde 2019 verkauft. Nicht an ihn,
sondern an ein Ehepaar, beide Nichtlandwirte. Die wollen aus dem
Viehbetrieb eine Pferdepension machen. Jaacks findet das falsch. Also
bleibt er.
Seit fast drei Jahren wird um den Moorhof gestritten. Am Anfang war der
Streit überschaubar, ein Zerren und Ringen zwischen Bauer, Verpächterin und
Käufern. Mit den Medien schwoll der Streit an, schwappte über auf Politik
und Bauernverbände, auf Rissen und das Internet. [1][Dort fordert eine
Petition]: Der Hof soll bleiben. 129.260 Menschen haben bis heute
unterschrieben.
Längst geht es in dem Streit um mehr als um Hauke Jaacks und seine 300
Rinder. Es geht darum, was Landwirtschaft ist und was nicht. Darum, ob das
Land einigen mehr zusteht und anderen weniger.
Einen Waldspaziergang vom Moorhof entfernt tritt Dorit Schön, 52, in die
Nachmittagssonne. Sie hat Feierabend, zumindest hier, im Kinderhospiz
Sternbrücke. Schön ist eine Art Sprecherin für Hauke Jaacks geworden und
eine der drei Frauen, die im November die Petition gestartet haben.
„Irgendetwas mussten wir tun“, sagt sie. „Es kann nicht sein, dass einfach
so eine Existenz vernichtet wird.“
Dorit Schön lebt seit über 20 Jahren in Rissen. Ihr Sohn jobbt auf dem
Moorhof, seit er 14 ist. Füttert Kühe, pflügt Äcker, repariert Traktoren.
„Der Hof gehört hierher“, sagt Schön und hebt die Schultern, als sei damit
die Diskussion beendet. Sie will ihrem Sohn helfen, natürlich, und sie will
Hauke Jaacks und seiner Familie helfen. „Vor allem aber geht es mir um die
Sache an sich.“
## Andere Bewerber
Um die zu verstehen, muss man zurückschauen ins Jahr 2004. Damals gehörte
der Hof Cord Ladiges. Er starb. Seine Frau Silke blieb zurück mit zwei
Schulkindern, den Ställen, den Rindern und einer Arthrose im Knie, die
operiert werden musste. Sie beerdigte ihren Mann und verpachtete den Hof:
an Hauke Jaacks. Befristet auf 15 Jahre, bis ihre Tochter alt genug sein
würde, um ihr Erbe anzutreten.
Was sie nicht tat. Stattdessen entschied Ladiges Tochter, die 16 Hektar
ihrer Kindheit zu verkaufen. Hauke Jaacks reichte ein Angebot ein, doch
Ladiges wählte andere Bewerber: die Breuers. Er Immobilienberater, sie
Hausfrau. Drei Kinder, fünf Pferde, leidenschaftliche Reiter. „Es fühlte
sich richtig an“, erklärt Silke Ladiges am Telefon, „alles stimmte. Das
Alter, der Familienstand, die Finanzen.“
Wenn Dorit Schön aber von „der Sache an sich“ spricht, meint sie, was
danach geschah. Im Spätsommer 2019 prüfte die Hamburger Wirtschaftsbehörde
den Verkauf des Moorhofs – wie es das Grundstücksverkehrsgesetz in
Deutschland vorsieht. Denn Agrarland darf nicht einfach verkauft werden. Es
soll Agrarland bleiben. Vorzug für Landwirte.
## Anderes Betriebskonzept
Die Neuen, die Breuers, mussten deshalb ein Betriebskonzept vorlegen. Das
ist nicht öffentlich, klar ist aber: Einen Teil des Pferdefutters wollen
sie auf den 16 Hektar selbst anbauen. Die Behörde befand: „Der Käufer ist
einem Landwirt gleichzustellen.“ Und stimmte dem Verkauf zu.
Das sehen viele anders. Hauke Jaacks legte Widerspruch ein. Eine
Pferdepension sei kein landwirtschaftlicher Betrieb, sagte sein Anwalt vor
dem Verwaltungsgericht. „Sonst könnte aus jedem Golfplatz, der gemäht wird,
ein Bauernhof werden.“ Das Gericht lehnte die Klage ab. Auch die grün-rote
Bezirksversammlung Altona forderte die Behörde auf, „die Sachlage erneut zu
überprüfen“. Ohne Erfolg.
Aus Protest fuhr Jaacks mit seiner Jersey-Kuh Savira auf den Rathausmarkt.
Savira blinzelte in der Sonne, hinter ihr prangte auf einem Banner: „Bauern
vor Investoren“. Ein Bündnis von Agrarvereinen unterstützte Jaacks. [2][Es
schrieb in einem Aufruf]: „Die Hamburger Politik greift nicht entschieden
ein, obwohl der aktive Landwirt Vorrang haben sollte.“ Die Kritik gipfelte
in der Onlinepetition.
Dorit Schön klappt vor dem Hospiz ihr Tablet auf, ihre Finger fliegen über
das Display. „Ich glaube, bei der Entscheidung gab es Verfahrensfehler“,
sagt sie. „Für mich ist das noch nicht abgeschlossen.“ Wie eine Detektivin
hat sie Material gesammelt: Screenshots, Drucksachen, eine Tabelle mit
Daten und Gesetzestexten. Alles Hinweise. Vielleicht Belege. Geführt haben
sie bisher: zu nichts. Hat die Behörde einen Fehler gemacht?
## Keine Definition
Der „Landwirt“ ist kein rechtlich geschützter Beruf, eine einheitliche
Definition existiert nicht. „Damit sollen sich Juristen auseinandersetzen“,
sagt eine Mitarbeiterin der Hamburger Landwirtschaftskammer. Schaut man ins
Grundstücksverkehrsgesetz, steht da: „Landwirtschaft ist
Bodenbewirtschaftung.“ Kein Unterschied zwischen aktiven und zukünftigen
Landwirten, zwischen denen, die Menschen mit Milch ernähren oder Pferde mit
Heu.
Landwirtschaft bedeute nicht Nahrungsproduktion, sagt auch Carsten
Bargmann, Geschäftsführer des Hamburger Bauernverbands. „Es bedeutet, Land
zu bestellen. Das tun Pferdehalter. Sie ernten Stroh und Heu von Äckern und
Weiden. Sie pflegen die Natur mit Blühstreifen und Flachlandmähwiesen.“
In Hamburg grasen mehr als doppelt so viele Pferde wie Milchkühe. 2020
beherbergte jeder achte Landwirtschaftsbetrieb Reitpferde – als
Nebeneinkommen. Weil es lukrativ ist in einem Stadtstaat wie Hamburg, wo
zwischen Landidylle und Großstadtstress nur ein paar Autobahnkilometer
liegen. Viele Landwirte sind darauf angewiesen.
Von einer regionalen Selbstversorgung mit Milch ist Hamburg außerdem weit
entfernt: Heute gibt es noch 12 Milchviehbetriebe. Etwa 5 Kilogramm Milch
pro Person geben Hamburgs Kühe im Jahr ab – ein Bruchteil von den 118 Kilo,
die ein Durchschnittsdeutscher pro Jahr verbraucht, inklusive Käse, Sahne,
Butter.
Die Konkurrenz zwischen Pferd und Kuh: In Hamburg ist sie unvermeidbar.
Zumindest steht im Agrarpolitischen Konzept vom Hamburger Senat: „Aus der
Stadtnähe resultieren Nutzungskonflikte.“ Der Senat will die regionale
Produktion fördern. Genauso wie „landwirtschaftliche Dienstleistungen“.
Milchhöfe und Reitställe – für beides gibt es eine Nachfrage, beide sind
politisch gewollt.
In der Pony-Waldschänke nippt Lars Breuer, 51, an seinem Cappuccino. Die
Gaststätte mit Ponyhof gehört ihm und seiner Frau Melanie. Genau wie der
Moorhof „ein Herzensprojekt“, wie er sagt. Die Breuers hatten viel
Gegenwind in letzter Zeit. Die Petition, die Presse. Sogar zwei Drohbriefe
landeten in der Post.
„Die Petition hätte ich auch unterschrieben“, sagt Breuer, „wenn ich les…
was da steht.“ Er ist darin der „Immobilienmakler“, der „Investor“, d…
einen „Deal“ mit der Stadt abschloss. Man erwartet einen Mann in
Nadelstreifen. Und bekommt einen in Sweatshirtjacke, mit Brille, fast
unscheinbar. Neben Breuer liegt ein Papierstapel: ein Bauplan, ausgedruckte
Mails, Anwaltsbriefe, Verträge, Zertifikate. Wie Dorit Schön hat er
Dokumente gesammelt. Hinweise, Belege, dass er im Recht ist, dass seine
Absichten gut sind.
Seit Jahren, erzählt er, verfolgen er und seine Frau den Plan, einen Hof zu
kaufen. Sie besichtigten Betriebe, besuchten Seminare, Melanie Breuer
belegte per Fernstudium Kurse in Pferdewirtschaft. Mit dem Inserat des
Moorhofs wurde ihr Traum greifbar: ein Stall für 45 Pferde, inmitten von
Reitwegen, Weiden, Naturschutzgebiet. Lars Breuer spricht von Heuschnitten
und Blühstreifen, von Fuhrwerken und Dünger, von großen Boxen fürs Tierwohl
und Solarzellen für die Umwelt, als hätte er nie etwas anderes getan. „Wir
machen das nicht aus Spaß. Uns ist die Verantwortung klar und, dass das
Projekt viel Arbeit bedeutet“, sagt Breuer. „Man muss sich schon fragen,
warum wir so vorgeführt werden.“ Er hat auch schon eine Antwort: „Wir
passen nicht in deren Bild von Landwirtschaft.“
Mitte März wies die Behörde die Forderungen der Petition zurück. Hauke
Jaacks erklärte im Februar, er wolle nun doch gehen und suche nach einem
Ersatz. Dorit Schön wird ihm helfen. Sie sagt aber auch: „Ich bin total
kaputt von diesem Streit.“
21 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.change.org/p/jenskerstan-senator-der-beh%C3%B6rde-f%C3%BCr-umwe…
[2] https://www.abl-ev.de/apendix/news/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=3461&amp…
## AUTOREN
Anaïs Kaluza
## TAGS
Milchkühe
Hamburg
Milchproduktion
Pferde
Schwerpunkt Stadtland
Naturschutzgebiet
Integration
Hafermilch
Schwerpunkt Klimawandel
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