# taz.de -- Unterwegs mit Rangern in Hamburg: „Man schützt, was man liebt“ | |
> Seit einigen Monaten patrouillieren Ranger in Hamburgs | |
> Naturschutzgebieten, um die Einhaltung der Regeln zu überwachen. Gelingt | |
> ihnen das? | |
Bild: Arbeitseinsatz mit Schiebermütze und Notizbuch in der Fischbeker Heide: … | |
Hamburg taz | Am Ende ihrer Tour stehen Christian Walte und Anne Jüngst auf | |
einem Hügel, den sie „die Glatze“ nennen, weil er sandig ist und kahl. Sie | |
atmen ein, atmen aus und schauen hinab ins Tal. Auf die Wiesen, die Heide, | |
die Birken. Hinein in die Stille sagt Walte: „Man schützt nur, was man | |
liebt.“ Er schmunzelt, vielleicht, weil es kitschig klingt. Ernst meint er | |
es trotzdem. | |
Christian Walte und Anne Jüngst sind Ranger. Uniformiert in Trekkinghosen | |
und Wanderschuhen patrouillieren sie durch [1][Hamburgs | |
Naturschutzgebiete]. Ihr Auftrag: Flora und Fauna pflegen – und | |
verteidigen. | |
Lange gibt es den Rangerdienst noch nicht. Erst Ende 2021 hatte die | |
Hamburger Umweltbehörde ihr neues Team vorgestellt: sechs Frauen, vier | |
Männer, zuständig für 7.422 Hektar Naturschutzgebiet, für Heide, Moore, | |
Wälder, Dünen. [2][Ein Zehntel von Hamburgs Landesfläche] machen sie aus – | |
so viel wie in keinem anderen Bundesland. Der Naturschutzbund startete auch | |
deshalb 2017 eine Volksinitiative. Die Forderung: „Hamburgs Grün erhalten“. | |
23.000 Menschen unterschrieben, der Senat [3][ließ sich auf Verhandlungen | |
ein]. Eins von vielen Ergebnissen waren die Ranger. Können sie etwas | |
ausrichten? | |
Die Tour von Christian Walte, 52, und Anne Jüngst, 41, beginnt auf einem | |
Parkplatz am Stadtrand. Es ist Freitag, 16 Grad, die Sonne strahlt auf ihre | |
Köpfe. Jüngst und Walte ziehen sich ihre Schiebermützen ins Gesicht. Sie | |
prüfen Hosentaschen und Rucksack: Gebietskarten, Taschenmesser, Notizblock | |
– alles da. | |
Über weichen Boden stiefeln sie in den Wald. Anne Jüngst deutet auf ein | |
Schild zwischen den Kiefern: „Fischbeker Heide“ steht darauf, | |
„[4][Naturschutzgebiet]“, und in gefetteter Schrift: „Bitte helfen Sie mi… | |
die Schönheit und Artenvielfalt dieser Landschaft zu erhalten, indem Sie | |
folgende Regeln beachten“. Dazu zählt: Hunde an der Leine führen, Wege | |
nicht verlassen, Abfälle mitnehmen, kein Feuer machen, keine Pflanzen | |
pflücken. Würden sich alle an diese Regeln halten, wären Walte und Jüngst | |
heute nicht hier. | |
Als er im Oktober seine Ranger vorstellte, sagte Jens Kerstan, Hamburgs | |
grüner Umweltsenator: „Gerade in der Pandemie haben wir erlebt, dass | |
Bürgerinnen und Bürger die Natur der Stadt zu lieben gelernt haben. Wir | |
müssen aber aufpassen, dass diese Gebiete nicht zu Tode geliebt werden.“ | |
Etwa, wenn Menschen querfeldein spazieren, Decken ausrollen, Würstchen | |
grillen. Alles schon passiert, sagen Walte und Jüngst. | |
„Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass sie schon damit dem Gebiet | |
schaden“, sagt Walte. Und erklärt: „Mit jedem Fußabdruck verdichtet sich | |
der Boden. Wasser versickert nicht mehr, Pflanzen wachsen nicht nach. Oder | |
Hunde: Die hinterlassen Duftmarken, die das Wild verschrecken.“ Die | |
wichtigste Aufgabe der Ranger ist deshalb die Kommunikation. „Wir wollen | |
Aufklärer sein, den Leuten ins Gewissen reden“, sagt Walte. Statt zwingen: | |
überzeugen. | |
Nach ein paar Minuten öffnet sich vor ihm und Jüngst ein Tal: sandiger | |
Boden, vereinzelte Birken, Heidekraut. Mountainbiker rollen über die Hügel, | |
in der Ferne wandern ein paar Menschen. „Relativ ruhig für einen Freitag“, | |
sagt Walte. Umso mehr Zeit bleibt zum Staunen. Ständig halten die zwei an, | |
ständig gibt es etwas zu entdecken: das Wurzelgeflecht einer umgestürzten | |
Kiefer, die Knospen einer Eiche, Spechtlöcher, Meisengezwitscher, zwei | |
Mauersegler am Himmel. Anne Jüngst verschwindet hinter ihrem Fernglas und | |
legt den Kopf in den Nacken: „Da, ein Mäusebussard!“ | |
Jüngst ist Hobby-Ornithologin und Wildtierpflegerin. Wie die meisten Ranger | |
hat sie also einen „grünen Beruf“ gelernt. Anders als Christian Walte: | |
Früher war er Sporttrainer, heute leitet er das Team. Aber auch er ist ein | |
Outdoor-Typ. Wandert, klettert, joggt. Immer in der Natur. | |
Unten im Tal erspäht Anne Jüngst dann doch noch einen Regelbrecher: Ein | |
kleiner Junge trottet mit seinem Hund durch die Heide, über einen | |
Trampelpfad. Im Laufschritt holt Jüngst ihn ein: „Moooin! Stadt Hamburg, | |
Umweltbehörde.“ | |
Der Junge macht große Augen. „Ich weiß: Das hier sieht aus wie ein Weg“, | |
sagt Jüngst und geht in die Hocke. „Es ist aber keiner. Es ist wichtig, | |
dass du die Hauptwege benutzt. Wir haben Brut- und Setzzeit. Wenn immer | |
mehr Leute hier durchspazieren, gehen die Pflanzen kaputt. Und die Fläche | |
für die Tiere wird immer kleiner.“ | |
„Oh. Achso. Okay.“ | |
„Soll ich dir eine Gebietskarte mitgeben? Da sind alle Wege eingezeichnet.“ | |
Der Junge nickt. Die Rangerin kehrt zufrieden zurück. | |
„Ich würde 20 Euro wetten, dass der nächstes Mal wieder da lang geht“, sa… | |
Walte. | |
„Ich weiß nicht.“ Jüngst schaut dem Jungen hinterher. „Der war in einem | |
Alter, in dem ihm das unangenehm war, angesprochen zu werden.“ | |
„Weitererzählen wird er es bestimmt“, sagt Walte, „seinen Kumpels oder | |
Eltern.“ | |
Jüngst nickt: „Ja, das ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Er | |
schlägt Wellen. Irgendwohin.“ Was die Ranger bewirken können – messbar ist | |
es kaum. | |
Nach dem Vorfall macht Anne Jüngst einen Strich in ihr Notizbuch. Bei jeder | |
Tour führt sie eine Liste: für Hunde, Fahrräder – und eben „Austritte“, | |
also Menschen, die abseits der Wege gehen, wie der Junge. Denn die Ranger | |
sind nicht nur als Aufpasser unterwegs. Sie dokumentieren auch: Wie viele | |
Besucher ihre Wege kreuzen, welche Arten sie wann und wo finden. Sie | |
pflegen außerdem die Natur: indem sie Müll sammeln, Bäume zurückschneiden, | |
Wiesen mähen. Sie sperren Trampelpfade ab und wischen Schmierereien von | |
Schildern. Nicht alles davon machen sie immer. „Für jede Begehung setzen | |
wir uns ein Thema“, erklärt Christian Walte. | |
Bis zum Ende der Tour zählt Anne Jüngst 81 Menschen. Vier von ihnen müssen | |
sie und Walte verwarnen: den Jungen in der Heide. Einen Herrn mit | |
freilaufendem Dackel. Zwei plaudernde Freundinnen auf einer Picknickdecke. | |
Theoretisch könnten sie für solche Verstöße Knöllchen verteilen, wie das | |
Ordnungsamt. „In den ersten Monaten haben wir uns bewusst zurückgehalten“, | |
sagt Walte. „Wenn wir jetzt aber immer wieder dieselben Leute treffen, dann | |
ist ein schärferes Schwert gefordert.“ | |
Die Sonne steht tief, als die beiden „die Glatze“ erklimmen. Von hier oben, | |
mit Blick auf die Heide, macht es Sinn: Man schützt nur, was man liebt. | |
26 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anaïs Kaluza | |
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