# taz.de -- Corona und die Kulturlandschaft: Eine Stadt ohne Kultur | |
> Die Gesundheitsverwaltung untersagt wegen des Virus Großveranstaltungen. | |
> An landeseigenen Bühnen wird laut Kulturverwaltung ab 500 Plätzen | |
> abgesagt. | |
Bild: Vorhang zu und alle Fragen offen | |
BERLIN taz | Das gab es noch nie: Die Kulturhauptstadt dieses Landes | |
verordnet sich angesichts der rascheren Ausbreitung des Coronavirus eine | |
drastische [1][Einschränkung des kulturellen Lebens]. Die Berliner | |
Gesundheitsverwaltung hat am Mittwoch ab sofort Veranstaltungen mit 1.000 | |
Personen aufwärts bis Ende der Osterferien am 19. April untersagt. „Gerade | |
am Anfang einer Epidemie ist so eine Einschränkung von Bedeutung“, teilte | |
[2][Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD)] mit. | |
Bereits am Dienstagnachmittag hatte die Kulturverwaltung an den | |
landeseigenen Theater-, Opern- und Konzerthäusern in den großen Sälen vom | |
heutigen Mittwoch an bis 19. April alle Veranstaltungen abgesagt. Betroffen | |
sind der Friedrichstadtpalast, die Deutsche Oper Berlin, die Staatsoper | |
unter den Linden, die Komische Oper, das Deutsche Theater, die Schaubühne, | |
das Maxim Gorki Theater, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, die | |
Philharmonie, das Staatsballett Berlin, das Theater an der Parkaue, die | |
Volksbühne. | |
Allerdings hat Lederer eine andere Grenze gezogen als Kalayci: Nur für | |
Veranstaltungen in kleineren Häusern und Sälen mit bis zu 500 Teilnehmenden | |
gelte zunächst weiterhin, dass die Risikobewertung durch die Einrichtungen | |
gemäß den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vorgenommen werde. Auf | |
dieser Basis müsse eigenverantwortlich entschieden werden, ob | |
Veranstaltungen durchgeführt werden können. Soll heißen: Auf landeseigenen | |
Bühnen werden keine Veranstaltungen mit mehr als 500 Zuschauern | |
stattfinden, kleinere jedoch nach Gutdünken. „Natürlich ist diese Zahl nur | |
willkürlich“, so Lederers Sprecher Daniel Bartsch, allerdings gebe es schon | |
Parameter des RKI wie Altersstruktur, Raumbelüftung und „Niesweite“ | |
zwischen den Besuchern, die bei der Festlegung auf diese Zahl eine Rolle | |
gespielt hätten. | |
## Unterschiedliche Vorgehensweisen | |
So kommt es, dass an einigen Häusern der Spielbetrieb wenigstens auf den | |
Nebenbühnen fortgesetzt wird. Bei der Deutschen Oper, im DT und im Maxim | |
Gorki Theater etwa: Dort wurden alle Vorstellungen in den großen Sälen | |
gecancelt, die im Foyer und in der Tischlerei (Deutsche Oper), in den | |
Kammerspielen und der DT-Box und im Container (Maxim Gorki) finden bis auf | |
Weiteres wie geplant statt. Und im Berliner Ensemble wird die | |
Zuschauerkapazität im Großen Haus auf maximal 480 Teilnehmende beschränkt, | |
die Vorstellungen im Neuen Haus sowie im Werkraum finden ebenfalls zunächst | |
wie geplant statt. | |
In anderen Häusern wie der Volksbühne wurde hingegen der Spielbetrieb auch | |
auf den Nebenbühnen abgesagt. Sprecherin Stefanie Eue erklärte, die | |
Gefährdungssituation durch das Virus ändere sich stetig, weshalb man sich | |
dazu entschieden habe, „konsequent alle Vorstellungen zunächst bis zum 1. | |
April abzusagen“. Das betreffe deshalb Repertoirevorstellungen ebenso wie | |
die Sonderveranstaltungen in allen Spielstätten. Nun würden mögliche | |
Szenarien für die Termine ab dem 2. April durchgespielt, klar sei aber, | |
dass man nun vor einer „großen dispositionellen Herausforderung für alle | |
Abteilungen“ stehe. Unklar sei, ob ab dem 2. April überhaupt Vorstellungen | |
stattfinden können. | |
Bereits gekaufte Tickets für abgesagte Veranstaltungen werden übrigens in | |
allen genannten Institutionen zurückerstattet – die Deutsche Oper | |
beispielsweise hat am späten Mittwochnachmittag entschieden, dass man sich | |
sowohl das Geld zurück erstatten als auch gut schreiben lassen kann, aber | |
auch eine Spende ist möglich. Welche ökonomischen Folgen dies für die | |
Berliner Kulturlandschaft haben wird, kann bisher wohl nur Klaus Lederer | |
für die landeseigenen Bühnen ausrechnen: Sie werden mit insgesamt 15 | |
Millionen Euro Verlust monatlich zu rechnen haben. Allerdings berichten | |
einige Bühnen wie das Hebbel am Ufer (HAU), dass Ticketinhaber angekündigt | |
hätten, für ihre Karten kein Geld zurückhaben, sondern lieber spenden zu | |
wollen. | |
## Die Alternative ist digital | |
Am HAU wird ausprobiert, mit den Absagen von Kulturveranstaltungen anders | |
umzugehen: So wurde im HAU am Dienstagmorgen entschieden, die Vorstellung | |
„‚El estado opresor es un macho violador‘ – Von Chile über Indien bis | |
Deutschland – Geschichten von Frauen und Gewalt“ ohne Publikum stattfinden | |
zu lassen und stattdessen auf der Website einen Livestream einzurichten. | |
Annika Frahm, HAU-Pressereferentin, erklärt, ein Ausfall der angesetzten | |
Vorstellung käme nicht infrage, aufgrund des großen Interesses an dem extra | |
angereisten Kollektiv. So entschied man sich kurzfristig für einen – | |
vorerst einmaligen – Livestream. Für das mit 520 Plätzen ausgestattete HAU1 | |
werde es nun „massive Programmänderungen geben“, ein „bitterer“ Umstan… | |
großen Einnahmeeinbußen. | |
Aber auch die Staatsoper Unter den Linden weicht nach der Schließung aller | |
großen Aufführungsstätten in Berlin auf das Internet aus. Die Vorstellung | |
der Oper „Carmen“ mit Generalmusikdirektor Daniel Barenboim werde an diesem | |
Donnerstag vor leeren Rängen aufgeführt und über die Internet-Plattformen | |
der Staatsoper und des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) kostenlos | |
gestreamt, kündigte Intendant Matthias Schulz am Mittwoch an. Auch im | |
RBB-Hörfunk soll die Vorstellung ausgestrahlt werden. | |
## Berliner Clubkultur leidet besonders | |
Die Auswirkungen der Absage von Veranstaltungen mit mehr als 1.000 | |
Besuchern durch die Gesundheitsverwaltung auf die private Berliner Konzert- | |
und Clublandschaft werden noch fataler sein. In einer Pressemitteilung der | |
Berliner Clubcommission vom Mittwoch heißt es, es sei absehbar, dass die | |
Verbreitung des Coronavirus viele Clubkulturbetreiber*innen in den | |
wirtschaftlichen Ruin führen werde. Vor allem „privatwirtschaftlich | |
agierende Musikspielstätten“ seinen ohne Erlöse „nicht überlebensfähig�… | |
Noch am Dienstag hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) | |
verkündet, dass man sich im Senat zunächst darauf geeinigt hätte, | |
Veranstaltungen nicht pauschal abzusagen. Stattdessen wollte man eine | |
bundeseinheitliche Abstimmung aller Ministerpräsidenten im Rahmen der heute | |
stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenz abwarten. Dass man 24 Stunden | |
später wieder davon abweiche, wollte Müller nicht als uneinheitliches | |
Vorgehen des Senats verstanden haben. Vielmehr kritisierte er das | |
Vorpreschen einzelner Bundesländer. „Dieser Flickenteppich ist eine | |
unhaltbare Situation“, so Müller am Mittwoch. Außer Berlin haben inzwischen | |
vier weitere Bundesländer pauschale Regelungen für den Umgang mit größeren | |
Veranstaltungen getroffen. | |
Die aktuelle Vorgabe des Senats, so Gesundheitssenatorin Kalayci, sei | |
rechtssicher auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes getroffen worden. | |
Sollten sich einzelne Bezirke nicht daran halten, gebe es weitere | |
Durchgriffsmöglichkeiten des Senats. Ob sich aus den von oben verordneten | |
Absagen Entschädigungsansprüche für die Veranstalter ergeben, werde derzeit | |
noch geklärt, so Kalayci. Eine [3][Wirtschaftshilfe für den Kulturbetrieb] | |
– das stellte wiederum Müller klar – müsse aber aus Bundesmitteln zur | |
Verfügung gestellt werden. | |
11 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Coronavirus-in-Berlin/!5671263&s=kulturveranstaltungen+corona/ | |
[2] /Coronavirus-in-Berlin/!5671300&s=dilek+kalayci/ | |
[3] /Wirtschaftshilfen-wegen-Corona/!5671297&s=robert+koch+institut/ | |
## AUTOREN | |
Alissa Geffert | |
Susanne Messmer | |
Manuela Heim | |
## TAGS | |
Kultur in Berlin | |
Berlin Kultur | |
Dilek Kalayci | |
Klaus Lederer | |
Oper | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Klaus Lederer | |
Staatsoper Unter den Linden | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Theater Berlin | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Opernhäuser in Corona-Krise: Klagelied über „höhere Gewalt“ | |
„Das System ist eindeutig kaputt, und zwar seit Jahren.“ Bariton Seth | |
Carico und Tim Ribchester, Coach und Dirigent, über die Lage für | |
Freiberufler. | |
Grüne Fraktionschefin Antje Kapek: „Dem Parlament steht einiges bevor“ | |
Wie wirken sich die Corona-Hilfen auf den Haushalt aus? Antje Kapek über | |
die Kanzlerin, einen Senat ohne Streit und was die Grünen wirklich bewegt. | |
Corona und die Kultur in Berlin: Ein Schritt, der schmerzt | |
Auf Berlins Bühnen passiert nichts mehr: Senat untersagt fast alle | |
Kulturveranstaltungen, Clubs und Konzertveranstalter fürchten ihr Aus. | |
Kultur in Zeiten des Coronavirus: Was für eine Geisteroper! | |
Weil in Berlin alle Opern und Theater dicht sind, überträgt der rbb | |
„Carmen“ auf youtube. Das irritiert – und bringt zugleich ganz neue | |
Einsichten. | |
Berlin schließt alle Kultureinrichtungen: Auch die Museen machen dicht | |
Bislang waren nur die großen Häuser betroffen: Jetzt hat Kultursenator | |
Lederer entschieden, alle Landeseinrichtungen zu schließen. | |
Theater in Zeiten von Corona: „Wir heulen“ | |
Ein abgesagtes internationales Festival und eine Premiere in der Schaubühne | |
in Berlin: Ein trauriger Rahmen um ein trauriges Stück Dystopie. | |
Kulturbetriebe fordern Rettungspaket: Corona bedroht die Berliner Clubs | |
Die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern hat höchste Priorität, sagen | |
die Berliner Clubs. Sie fühlen sich aber in ihrer Existenz bedroht. | |
Corona-Krise in Berlin: Der Tag: Appell an Solidarität | |
BVG zählt nicht weniger Fahrgäste wegen Corona-Virus. Überlegungen zu | |
Einschränkung des Fernverkehrs. Fridays for Future sagen Streiks ab. | |
Berliner Clubs im Zeichen von Corona: „Wir sind alle am Zittern“ | |
Wenn der Besucherrückgang so weiter geht, sind viele Clubs ohne sofortige | |
Hilfen in drei Monaten pleite, sagt Tresor-Chef Dimitri Hegemann. | |
Corona-Management in Deutschland: Hort der Krisenverschleppung | |
Nach zähem Entscheidungsprozess kommt es zu einem so genannten | |
Geisterspieltag in der Bundesliga. Ein paar Gedanken zum Umgang mit dem | |
Corona-Virus. | |
Wirtschaftshilfen wegen Corona: Die Krise in der Krise | |
Führende Ökonomen empfehlen Hilfen für Einzelhändler und Restaurants, die | |
wegen des Corona-Virus in Bedrängnis geraten. |