# taz.de -- Getötete Frauen in Lateinamerika: 4.000 Mordfälle | |
> „Ni una más – keine weitere mehr“ heißt die Parole der | |
> lateinamerikanischen Feministinnen. Sie richtet sich gegen die | |
> alltägliche Gewalt an Frauen. | |
Bild: Am Rande einer Performance der feministischen Gruppe „Las Tesis“ in C… | |
„Der Vergewaltiger bist du“ – mit dieser unmissverständlichen Botschaft | |
machten chilenische Feministinnen des Künstlerinnenkollektivs Las Tesis im | |
November auf die machistischen Verhältnisse aufmerksam. Weltweit Frauen | |
kopierten daraufhin Frauen die Performance. | |
Kaum waren die Aktivistinnen in der Hafenstadt Valparaiso und der | |
Hauptstadt Santiago de Chile in Erscheinung getreten, sammelten sich auch | |
in Mexiko-Stadt 3000 Frauen, zeigten mit Fingern auf imaginäre Täter und | |
stellten im Sprechgesang klar: „Es war nicht meine Schuld, egal wo ich war, | |
egal wie ich mich gekleidet habe.“ | |
Auch heute noch begegnet man in den Parks der mexikanischen Hauptstadt | |
Aktivistinnen, die sich die Performance zu eigen machen. Und wer mit der | |
Metro unterwegs ist, trifft auf Feministinnen, die Eingänge blockieren oder | |
mit Plakaten und Parolen an die unzähligen Frauenmorde im Land erinnert. | |
[1][„Ni una más – keine weitere mehr“], skandieren sie und fordern | |
Gerechtigkeit für die jüngst getöteten Ingrid Escamilla und Fátima Cecilia. | |
## Zehn Frauen werden täglich ermordet | |
Zehn Frauen und Mädchen werden in Mexiko täglich ermordet, mindestens jede | |
Vierte aus geschlechtsspezifischen Gründen. Für viele Mexikanerinnen ist es | |
selbstverständlich geworden, mehrmals am Tag Kurzmeldungen an Freundinnen | |
oder Angehörige zu schicken, um sicher zu stellen, dass ihnen nichts | |
passiert ist. Jede ist bedroht. Die grausamen Tode der siebenjährigen | |
Fátima und der 25jährigen Ingrid Escamilla haben dafür gesorgt, dass dieser | |
alltägliche patriarchale Terror wie kaum zuvor im öffentlichen Leben, in | |
den Medien und der Politik, präsent ist. | |
Fátima wurde nach der Schule entführt, Tage später fand man ihre Leiche in | |
einer Plastiktüte. Escamilla wurde von ihrem Freund verstümmelt. | |
Boulevardblätter zeigten davon Fotos, die ermittelnde Beamte am Tatort | |
aufgenommen und an die Redaktionen weitergeleitet hatten. An jedem | |
Zeitungskiosk konnte man am kommenden Tag sehen, wie er sie hergerichtet | |
hatte: gehäutet, ihre Organe im Zimmer verteilt. Nach ihrem Tod wurde die | |
junge Frau so zum zweiten Mal ihrer Würde beraubt. | |
Einige Netzaktivistinnen sorgten dafür, dass die Bilder im Internet schnell | |
in den Hintergrund gerieten. Sie überschwemmten Twitter unter | |
#IngridEscamilla mit Aufnahmen stimmungsvoller Sonnenuntergänge, | |
Schmetterlingen oder Blumenblüten. „Um denen den Spaß zu verderben, die | |
dich aus Sensationslust suchen“, erklärte eine Nutzerin. | |
## Frauenstreik am 9. März | |
Für den 9. März haben Feministinnen nun zu einem Frauengeneralstreik gegen | |
die machistische Gewalt aufgerufen. Vieles deutet darauf hin, dass der | |
Aufruf großen Anklang findet. Hochrangige Politikerinnen wollen sich ebenso | |
beteiligen wie Arbeiterinnen, indigene Zapatistinnen und linksradikale | |
feministische Gruppen. Nach dem Frauentag am 8. März, der auf einen Sonntag | |
fällt, soll am Montag keine im Büro arbeiten, Wäsche waschen oder | |
einkaufen. | |
Das rief auch jene auf den Plan, die hinter jeder nicht von der Regierung | |
kontrollierten Initiative einen Komplott gegen den sich links verstehenden | |
Präsidenten Andrés Manuel López Obrador wittern. So etwa den Publizisten | |
John M. Ackerman, ein Sprachrohr des Staatschefs. | |
Aus der berechtigten Befürchtung, die Frauen würden sich mit ihrer Aktion | |
unsichtbar machen, folgert er, hinter dem Streik steckten rechte Kräfte, | |
die der Regierung einen Schlag versetzen wollten. Er spricht von einer | |
„unverantwortlichen Politisierung der feministischen Sache“. | |
Auch López Obrador warnte vor feindlichen Mächten. Zudem ließ er wissen, | |
die Frauenmorde seien ein Erbe des mittlerweile überwundenen | |
Neoliberalismus und erklärte pastoral: „Nur wenn wir gute Menschen sind, | |
sind wir glücklich“. Die Feministinnen bat er, nicht weiterhin Mauern und | |
Denkmäler mit Parolen zu besprühen. By the way: Der Mann ist seit 15 | |
Monaten im Amt. Seither wurden weit über 4000 Frauen und Mädchen | |
hingerichtet, verstümmelt oder bis zum Tod vergewaltigt. Tendenz steigend. | |
8 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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