Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- CDU-Kandidatur von Friedrich Merz: Biedermeier im Vormerz
> Er gibt sich rebellisch, doch in Wirklichkeit ist Friedrich Merz ein
> echter Reaktionär. Wofür steht der Mann, der CDU-Chef werden will?
Bild: Macht laut seiner Anhängerschaft keine Fehler: der Sauerländer Friedric…
Tosender Applaus, gezückte Smartphones – an einem Oktobertag steht
Friedrich Merz im Anzug mit rosa Krawatte auf der Bühne und hält eine
umjubelte [1][Rede auf dem Deutschlandtag der Jungen Union].
Gleich zu Beginn schießt er gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, gegen die er
Monate zuvor im Rennen um den Parteivorsitz unterlag. Unter Verweis auf die
Kritik an ihr erklärt Merz großzügig: „Ich hätte auch Fehler gemacht wie
jeder andere auch.“ „Nein!“, ruft jemand aus dem Saal. „Doch, doch!“,
erwidert Merz. „Nein“, schallt es ihm aus dem Publikum entgegen. Merz
grinst verschmitzt.
Die Begeisterung für den 64-Jährigen unter dem CDU-Nachwuchs ist riesig.
Viele in der JU wünschen sich Friedrich Merz als Parteivorsitzenden und
Kanzlerkandidaten. Nun könnte das bald Wirklichkeit werden: Am
Mittwochnachmittag wurde bekannt, dass Merz für den Parteivorsitz
kandidieren wolle. Wer ist der Mann, der junge und ältere in der CDU
begeistert?
Mit 17 Jahren trat der gebürtige Sauerländer in die CDU ein und legte eine
steile Karriere hin: Abgeordneter im Europäischen Parlament von 1989 bis
1994, Bundestagsabgeordneter bis 2009, davon zwei Jahre als
Fraktionsvorsitzender.
## Eine Reihe gut bezahlter Posten
Die Grenzen zwischen der politischen Arbeit des Wirtschaftsanwalts und
seinen unternehmerischen Posten waren dabei stets schwimmend: Lobbyist beim
Verband der Chemischen Industrie, mehrere Nebentätigkeiten für Unternehmen
und Interessenorganisationen, Mitglied in zahlreichen Aufsichts- und
Verwaltungsräten, zuletzt beim weltweit größten Vermögensverwalter
Blackrock – die Liste von Merz’ gut dotierten Unternehmensposten ist lang.
Anfang Februar gab dieser nun bekannt, seine Tätigkeit als
Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock in Deutschland beenden zu wollen,
um „die CDU noch stärker bei ihrer Erneuerung zu unterstützen und mich
weiter politisch einzubringen“.
Viele in der CDU wünschen sich eine Abkehr von dem progressiveren Kurs
unter Merkel. „Deutschland braucht einen Kanzler, der nicht bloß
Kuschelpolitik macht, sondern der auch durchgreift“, sagt eine
Merz-Anhängerin am Rande von dessen Auftritt bei einem Treffen des
CDU-Wirtschaftsrats [2][am Dienstag in die Fernsehkamera].
Merz vertritt eine klare Haltung zu vielen Themen: Das Gründungsmitglied
des inzwischen aufgelösten Fördervereins der „Initiative Neue Soziale
Marktwirtschaft“ steht für eine marktradikale Wirtschaftspolitik. [3][In
einem Essay in der Zeit] pries Merz die neoliberale Agenda 2010 und
wetterte über einen „sozialen Überbietungswettbewerb“ zwischen Union und
SPD.
## Markttreue statt Kuscheln
Von dem Grundrenten-Kompromiss der Großen Koalition hält Merz nicht viel.
Auf dem JU-Deutschlandtag polterte er, diese sei ein „Verstoß gegen das
beitragsorientierte, leistungsbasierte Rentensystem in der Bundesrepublik“.
Der Adam-Smith-Fan möchte die Altersvorsorge weiter privatisieren und
träumt von einer „neuen Kultur des Aktiensparens“.
Auch dem Klimaschutz sei laut Merz nur mit marktwirtschaftlichen
Instrumenten beizukommen. Anstatt Verbote oder Vorgaben solle der Staat im
Umweltschutz nur die Rahmenbedingungen stellen, damit Verbraucher und
Unternehmer „die richtigen Wege“ fänden, um die „notwendigen Ziele auch
wirklich zu erreichen“.
Merz gehörte 2010 zu den Unterzeichnern eines „energiepolitischen Appells“,
in dem mehr als vierzig Vorstandschefs und Politiker vor dem Ausstieg aus
der Atomenergie und einer Absage an die Kohle warnten. Paradoxerweise
äußerte sich Merz im Hinblick auf mögliche Koalitionsoptionen zuletzt
positiv über die Grünen. Diese seien „sehr bürgerlich, sehr offen, sehr
liberal und sicherlich auch partnerfähig“, [4][sagte Merz der Bild am
Sonntag].
Gleichzeitig hat sich Merz zum Ziel gesetzt, verlorene Stimmen von der AfD
zurückzugewinnen. Konservative Wähler seien in den letzten Jahren „geradezu
mit Verachtung am Rande stehengelassen“ worden, sagte er in einem
[5][Interview mit Focus Online].
## AfD: „Antidemokratisch, völkisch und antisemitisch“
Die Migrationspolitik unter Merkel kritisierte Merz und sprach 2018 von
einem „ungeregelten Zuzug“, über den „wir bis heute die Kontrolle nicht
zurückgewonnen haben“. In seiner Rede vor dem CDU-Wirtschaftsrat
bezeichnete er die AfD jedoch als „antidemokratisch, völkisch und zum Teil
offen antisemitisch“. Sie sei eine Partei, die wie die Nationalsozialisten
mit der Demokratie spiele.
Große Unterstützung erfährt Merz von der Werteunion, deren Mitglieder
regelmäßig für ihn die Werbetrommel rühren. Deren Verhältnis zur AfD ist
weniger eindeutig: Zuletzt war bekannt geworden, dass der Vorsitzende der
Werteunion, Alexander Mitsch, die AfD mit Geldspenden unterstützt hatte.
Der CDU-nahe Verein schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht
grundsätzlich aus.
14 Feb 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=4H7tU56YGW4
[2] https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/landespolitik/friedrich-merz-nach-akk-rue…
[3] https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-04/wirtschaftspolitik-deutschland-wohls…
[4] https://www.welt.de/politik/deutschland/article183629248/Kampf-um-CDU-Vorsi…
[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/cdu-politiker-im-focus-online-inte…
## AUTOREN
Georg Sturm
## TAGS
Friedrich Merz
CDU
Lobbyisten
Junge Union
Friedrich Merz
Grundrente
Schwerpunkt Thüringen
Schwerpunkt Thüringen
Werteunion
IG
CDU
CDU
CDU
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bundespressekonferenz und CDU-Vorsitz: Merz, der Konjunktiv-Kanzler
Der CDU-Politiker erklärt, warum er sich als Vorsitzender seiner Partei
bewirbt. Sein breitbeiniger Auftritt ist ein feuchter Traum für
Konservative.
Bundeskabinett beschließt Grundrente: Die Rente hebt ab
Nach langen Diskussionen hat sich die GroKo auf Eckpunkte für das
Rentengesetz geeinigt. Ab 2021 sollen bis zu 1,3 Millionen Menschen
profitieren.
Zukunft der CDU: Kabale und Hiebe
Wie geht es weiter in der CDU? Gewinnt Friedrich Merz? Und was passiert in
Thüringen? Antworten auf die wichtigsten Fragen
Die Berliner CDU nach Thüringen: Lasst sie ruhig nach rechts rücken
Berlins CDU scheint sich nach rechts zu orientieren. Das kann man
beunruhigend finden – aber Bedeutung hat es ohnehin nicht.
Die Werteunion nach Thüringen: Die Brückenschläger
Seit die Werteunion die Thüringen-Wahl bejubelte, steht sie in der CDU
unter Beschuss. Einige wollen eine Kooperation mit der AfD.
Kandidatur von Friedrich Merz: Ein Geschenk mit Schleife
An Friedrich Merz knüpfen sich Hoffnungen: Er soll die CDU zu neuem Ruhm
führen. Profitieren würden andere.
Nachfolge von AKK: Zügige Entscheidung gefordert
Unionspolitiker drängen auf eine rasche Klärung der Machtfrage. Offenbar
hat Friedrich Merz bereits seine Kandidatur für den Vorsitz angekündigt.
Anwärter auf den CDU-Vorsitz: Drei nach Merkel
Nach dem Verzicht von AKK auf den CDU-Parteivorsitz stehen drei Kandidaten
in den Startlöchern. Wir stellen das Trio vor.
CDU nach dem Rücktritt von AKK: Die Stunde der Jungs
Gleich drei Männer aus Nordrhein-Westfalen bringen sich in Stellung für
Kramp-Karrenbauers Nachfolge. Die Zeit der starken CDU-Frauen geht zu Ende.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.