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# taz.de -- Die Werteunion nach Thüringen: Die Brückenschläger
> Seit die Werteunion die Thüringen-Wahl bejubelte, steht sie in der CDU
> unter Beschuss. Einige wollen eine Kooperation mit der AfD.
Bild: Eine Anhängerin der Werteunion bei einer CDU-Gedenkveranstaltung zum Fal…
Seit Tagen führt Christian Sitter Gespräche in seinem CDU-Verband, tippt
Mitteilungen, gibt Interviews. Er hat eine Mission: Verhindern, dass Bodo
Ramelow in Thüringen doch noch mit CDU-Stimmen Ministerpräsident wird. „Das
würde die CDU spalten.“ Am Samstag wird Sitter nach Frankfurt am Main
reisen. Der Vorstand der Werteunion, das Sammelbecken erzkonservativer
CDU-PolitikerInnen, trifft sich dort. Sitter ist Thüringens Landeschef der
Werteunion.
Als vor anderthalb Wochen in Thüringen der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit
den Stimmen von CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde,
erlebte Sitter das als einen großen Moment: „Ich habe mich gefreut, dass
wir einen bürgerlichen Ministerpräsidenten bekommen.“ Wen die AfD wähle,
bleibe ihr überlassen.
Auch der Bundesvorstand der Werteunion begrüßte die Abwahl des bislang
amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow: Thüringen werde wieder
„freiheitlich-demokratisch“ regiert. Dass dies nur mit Stimmen der AfD
gelang – dazu kein Wort.
## „Eine Beleidigung für CDU-Mitglieder“
Für andere war diese Wahl ein Dammbruch – [1][auch in der CDU]. Seit
Monaten wird dort mit Argwohn beobachtet, wie die Werteunion die Partei in
Richtung AfD ziehen will, obwohl ein Parteitagsbeschluss eine
Zusammenarbeit ausschließt. Nun nennt Saarlands Ministerpräsident Tobias
Hans die Truppe „eine Beleidigung für CDU-Mitglieder“, Elmar Brok vom
Bundesvorstand spricht von einem „Krebsgeschwür“. Der Arbeitnehmerflügel
CDA fordert einen Beschluss zur Unvereinbarkeit: Wer Mitglied der
Werteunion ist, dürfe keines der CDU mehr sein.
Alexander Mitsch, Bundeschef der Werteunion, an die AfD gespendet zu haben:
2014 einen Betrag von 20 Euro, zwei Jahre später 100. Da hatte AfD-Gründer
Bernd Lucke die sich radikalisierende Partei längst verlassen. Er habe
damals einen Beitritt erwogen, später aber stattdessen die Werteunion
gegründet.
Zwei andere Mitglieder des Bundesvorstands hatten wohl noch engere Kontakte
zur AfD: Sie waren Mitglieder. Klaus-Dieter Kurt war bis zum Sommer 2015
AfD-Kreisprecher in Tübingen. Nachdem die AfD Lucke abservierte, trat er
aus. Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Werteunion, Hinrich
Rohbohm, der auch für die Junge Freiheit schreibt, soll nach Informationen
der Zeit 2013 kurze Zeit in der AfD gewesen sein.
Mitsch wiederum beklagt eine „konzertierte Aktion“ gegen seinen Verein.
Auch der Thüringens CDU-Chef Sitter – dreifacher Vater, Anwalt, Katholik –
findet die Anwürfe „schlimm“. „Es gibt nichts Radikales in der Werteunio…
Ist das wirklich so?
Die Werteunion plädiert seit langem für einen Dialog mit der AfD: Die CDU
solle sich abgrenzen, die Rechtsaußen aber nicht ausgrenzen. Einige
Mitglieder wollen noch mehr.
Mitsch, Finanzdirektor aus Baden-Württemberg, hat die Werteunion 2017 mit
anderen rechtskonservativen Unions-Anhängern gegründet. In ihrem Manifest
fordern sie, die „ungesteuerte Zuwanderung“ zu beenden und „ideologische�…
Klimapolitik abzulehnen. Migranten und Muslime müssten sich „assimilieren“.
Und: „Wir stehen zu unserer Heimat.“
Ein Programm, das an die AfD andockt. Heute zählt die Werteunion gut 4.000
Mitglieder, in einer Partei von 400.000 ist das nicht viel. Doch mit ihren
schrillen Äußerungen ist der Verein, eine offizielle Parteiorganisation ist
er nicht, medial extrem präsent.
Die Werteunion ist Ausdruck der Zerreißprobe, in der die CDU gerade steckt.
Soll sie nach Merkel ihren Mitte-Kurs halten – oder wieder nach rechts
rücken?
Hans-Georg Maaßen, der nach rechts abgedriftete Ex-Verfassungsschutzchef,
ist Mitglied der Werteunion – und ihr prominentestes Mitglied. Am Wahltag
in Thüringen sagte er der taz, er sei „sehr zufrieden, da die
sozialistische Regierung abgewählt worden ist“. Kemmerich werde „gute
liberale und konservative Politik machen“. Und die AfD-Kooperation? Dazu
schwieg er.
Noch als Verfassungsschutzchef hatte Maaßen sich gegen die Beschäftigung
seiner Behörde mit der AfD gesträubt. Als er im Frühjahr 2019 der
Werteunion beitrat, diskutierte er eine mögliche Zusammenarbeit mit der
AfD. Später warnte Maaßen, Teile der AfD seien zu radikal. Aber in
Thüringen bekundete er, die Wahl eines CDU-Mannes mithilfe der AfD sei
legitim.
In Thüringen wurde diese Aufweichung zuletzt ganz praktisch vollzogen. Als
CDU-Landeschef Mike Mohring nach der Landtagswahl Gespräche mit der Linken
führen wollte, forderte die Werteunion, dies „umgehend einzustellen“. Zur
AfD schrieb Sitter: „Warum Dialog verweigern, wenn wir die besseren
Argumente haben?“ Ein Zusammentun mit der AfD war kein Tabu mehr: Warum
solle man eine „abgehalfterte“ Linksregierung unterstützen, fragte die
Werteunion.
Sitter hatte kurz zuvor bereits mit 16 weiteren Thüringer CDU-Leuten,
darunter ein Landtagsabgeordneter, einen Appell veröffentlicht: Es brauche
einen Gesprächsprozess mit „allen“ Parteien im Landtag. Es könne nicht
sein, „dass fast ein Viertel der Wählerstimmen bei diesen Gesprächen außen
vor bleiben sollen“.
Man könne mit einer AfD unter Björn Höcke nicht koalieren, sagt Sitter,
aber über einzelne Projekte reden. Sitter ist mit dieser Position nicht
allein. Zwar sei unter den Thüringer Landtagsabgeordneten kein Mitglied der
Werteunion, aber ein halbes Dutzend Sympathisanten.
Auch Teile des Spitzenpersonals der Werteunion scheuen den Kontakt zur AfD
nicht. Ihr Pressesprecher, der Medienrechtler Ralf Höcker, in dessen
Kanzlei auch Maaßen arbeitet, vertritt die AfD und referierte im Mai 2019
bei einer AfD-Veranstaltung im Bundestag. Am Donnerstag trat Höcker
plötzlich aus der Werteunion aus. Seine Begründung: Bedrohungen.
Auch andere Bundesvorstände äußerten sich zuletzt einschlägig. Einer pries
in einem Mitgliederschreiben als Vorbild für die Union den Kurs der
österreichischen ÖVP in der Koalition mit der radikal rechten FPÖ. Ein
zweiter ätzt auf Twitter über eine „Demokratur“ in Deutschland, nennt
Politiker „Dreckspack“. Ein dritter plädierte schon im November für ein A…
der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt und eine Minderheitsregierung mit
„bürgerlich-konservativer Politik“. Mehrheitsbeschaffer wäre auch hier: d…
AfD.
Von dort kommen offene Avancen. Wiederholt lud AfD-Fraktionschef Alexander
Gauland Werteunion-Anhänger zum Übertritt ein. In der „weichgespülten
Mainstream-CDU“ hätten sie keinen Platz mehr.
Einer, der in der Werteunion diesen Brückenschlag bereits umsetzt, ist Max
Otte. Der CDU-Mann aus Nordrhein-Westfalen, Ökonom und Fondsmanager,
verkündete bereits vor der jüngsten Bundestagswahl, die AfD wählen zu
wollen. Inzwischen steht Otte auch dem Kuratorium der AfD-nahen
Desiderius-Erasmus-Stiftung vor. Schon 2018 richtete er das „Neue Hambacher
Fest“ aus, auf dem Thilo Sarrazin und AfD-Chef Jörg Meuthen sprachen. Vor
der Europawahl verfasste Otte das Vorwort für ein Büchlein, mit dem Meuthen
und andere AfD-KandidatInnen für sich warben.
Ottes Einschätzung des Thüringer Wahlakts ist klar: „Das war eine
Glanzstunde der Demokratie.“ Er ist es auch, der dem Werteunion-Chef offen
widerspricht, es gebe im Verein kein Streben zur AfD: „Ich kenne etliche,
auch hochrangige Mitglieder, die gerne mit der AfD zusammenarbeiten würden.
Die trauen sich aber nur, das privat auszusprechen.“
Es sind solche Aussagen, die in der CDU-Spitze sehr aufmerksam wahrgenommen
werden. Die Chancen aber, Werteunion-Mitglieder tatsächlich aus der Partei
zu schmeißen, sind sehr gering. „Wir haben zuletzt ja bei Sarrazin und der
SPD gesehen, wie schwer Parteiausschlüsse durchzusetzen sind“, sagt die
Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger.
Laut Gesetz müsse man einen erheblichen Verstoß gegen die Grundsätze der
Partei und zudem einen schweren Schaden für diese nachweisen. Das sei, wenn
überhaupt, bei einzelnen Mitgliedern möglich – etwa bei Mitsch wegen seiner
Spende an die AfD. Kollektiv aber sei das nicht nur schwierig, sondern im
Sinne der Demokratie auch nicht wünschenswert, so die Parteienrechtlerin.
„Es geht hier ja um einen Richtungsstreit in der Union, der muss politisch
geklärt werden.“
Tatsächlich ist selbst Max Otte bis heute Mitglied der CDU, wie eine
Parteisprecherin bestätigt. Obwohl sogar die Werteunion für einen
Parteiausschluss plädierte, nachdem Otte nach dem Lübcke-Mord einen
relativierenden Tweet veröffentlichte. Otte aber weiß weder von einem
Versuch, ihn aus der Werteunion auszuschließen, noch von konkreten
Schritten zu einem Parteiausschluss.
Die Spitze der Werteunion fühlte sich [2][ob der laufenden Debatte]
bemüßigt, diese Woche eine „Klarstellung“ zu veröffentlichen: Man lehne
eine Zusammenarbeit mit der AfD „entschieden“ ab. Es gehe vielmehr darum,
zu der Partei Abgewanderte wieder für die Union zurückzugewinnen.
Eine „Klarstellung“, die nicht für alle gilt. Max Otte jedenfalls erhob
just am gleichen Tag eine andere Forderung: Er könne zwar nicht für die
Werteunion sprechen. „Rein persönlich aber bin ich der Ansicht, dass die
CDU die Möglichkeit für bürgerliche Koalitionen mit der AfD auf allen
Ebenen ausloten sollte.“
14 Feb 2020
## LINKS
[1] /CDU-Kandidatur-von-Friedrich-Merz/!5660044
[2] /Ruprecht-Polenz-zur-CDU-nach-Thueringen/!5662243
## AUTOREN
Sabine am Orde
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