# taz.de -- Zukunft der Großen Koalition: Regierung der Angst | |
> Die SPD war lange die Dramaqueen in der Großen Koalition. Die Union läuft | |
> ihr diesen Rang nun ab. Muss die Groko wirklich noch durchhalten? | |
Bild: Abstimmung beim SPD-Bundesparteitag gegen den Ausstieg aus der Groko im D… | |
Als die Große Koalition vor zwei Jahren gebildet wurde, musste die Spitze | |
der Sozialdemokratie einen schwindelerregenden Argumentionsslalom | |
absolvieren, um die widerwillige Basis zu überreden. Kritiker um [1][Kevin | |
Kühnert] fürchteten, dass der SPD genau das Gleiche blühen würde wie in den | |
Merkel-Regierungen zuvor: Die SPD macht solide Arbeit und verliert Wahlen. | |
So ist es gekommen. | |
Weniger bekannt ist, dass auch in der Union manche warnten. Wolfgang | |
Schäuble, noch immer ihr strategischer Kopf, versuchte Merkel vergeblich | |
eine Minderheitsregierung nahezulegen. Noch eine Große Koalition, die nur | |
eine Notoperation sei und die weder Union noch die SPD wirklich wollten, | |
würde die SPD vollends auszehren. Volksparteien funktionierten nur im Duo, | |
als Mitte-rechts- und Mitte-links-Pole. [2][Die Große Koalition, die 2018 | |
von der Ausnahme zum Normalfall wurde], würde den Niedergang der | |
Volksparteien beschleunigen. Schäuble hatte recht. Doch Merkel, die es eher | |
mit dem Situativen als mit dem Strategischen hat, hielt es mit Adenauer: | |
keine Experimente. | |
Kaum eine Regierung seit 1949 hat derart viel Personal verschlissen wie die | |
gegenwärtige. Zuerst musste Martin Schulz als SPD-Chef gehen, der den | |
Reißschwenk vom Nein zum Ja politisch nicht überlebte. Volker Kauder wurde | |
als Unions-Fraktionschef abgewählt, ein erstes Zeichen der | |
Merkel-Dämmerung. Dann trat die SPD-Partei- und -Fraktionschefin Andrea | |
Nahles zurück. Nun geht die Merkel-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer. | |
Und die SPD hat, aus verständlichem Widerwillen gegen die Groko, nicht Olaf | |
Scholz zu ihrem Chef gewählt, sondern zwei eher Unbekannte, die an der | |
Regierung kein gutes Haar ließen – bis sie zur neuen SPD Spitze gewählt | |
wurden. Neuerdings klingen sie fast wie Nahles früher. Dass bei all den | |
Rücktritten der unfähigste Minister im Kabinett, Andreas Scheuer, jeden | |
Skandal übersteht, ist eine ironische Pointe. | |
## Wie im Slapstickfilm | |
Diese Regierung hat etwas von einem Slapstickfilm, in dem ein Auto erst den | |
Kotflügel verliert, dann die Fahrertür verlustig geht, ehe sich schließlich | |
ein Rad selbstständig macht. Am Steuer sitzt Angela Merkel und tut so, als | |
wäre alles wie immer. | |
Die Hartwährung bundesdeutscher Politik ist: Stabilität. Das ist ein | |
[3][Echo der Weimar Republik], die in der hierzulande gängigen Lesart an | |
einem Mangel an Stabilität und Mitte zugrunde gegangen ist. Die Große | |
Koalition kam wegen des verführerischen Versprechen zustande, dass alles so | |
verlässlich wie immer sein würde. Doch das Stabilitätsversprechen ist | |
längst in sein Gegenteil umgeschlagen: Diese Koalition beschleunigt die | |
Auflösung der Mitte. Die Groko ist das Korsett, das der SPD, die zum ersten | |
Mal seit Langem wirklich nach links will, die Luft zum Atmen nimmt, und | |
auch die Union einzwängt, die der SPD gerade ihren hart erarbeiten Ruf als | |
Dramaqueen deutscher Politik streitig macht. Das Liberale, das Soziale und | |
das Konservative, die grundlegenden Richtungen demokratischer Politik, sind | |
bis zur Unkenntlichkeit verschwommen. | |
Dabei braucht die Union dringend eine neue Mischung aus liberalen und | |
konservativen Elementen. Erst dann wird sie, wenn überhaupt, etwas | |
souveräner mit den [4][Provokationen der AfD] klarkommen. Union und SPD | |
werden als politische Mitte nur überleben, wenn sie wieder als Alternativen | |
sichtbar werden. | |
Die Bilanz der Regierung ist, wie meist, gemischt. Die SPD hat | |
sozialpolitisch einiges erreicht, von der Rückkehr zur paritätischen | |
Finanzierung des Gesundheitssystems über Jobs für Langzeitarbeitslose bis | |
zu mehr Geld für Kitas und Pflege. Nichts davon ist geringzuschätzen. | |
Allerdings zahlt sich dies für die SPD nicht aus. Denn der SPD und dieser | |
Regierung fehlen der Rahmen, in dem Erfolge erst wahrgenommen werden und zu | |
funkeln beginnen. Dieser Regierung fehlt eine einleuchtende, stimmige und | |
sinnvolle Erzählung, warum es sie gibt. | |
## Für Europa und den Klimaschutz nur das Nötigste | |
Zudem tut die Groko bei den großen komplexen Themen Klimaschutz und Europa | |
nur das Nötigste. Im Jahr 2018 waren die Krise der EU und Macrons | |
Reformversuche ein zentrales Argument, um mit der Groko gegen alle Zweifel | |
eine endlich handlungsfähige Regierung zu bilden. Auf eine inspirierte | |
Europapolitik und mutige Angebote an Macron wartet man seitdem vergebens. | |
Diese Regierung hält nichts mehr zusammen außer der administrative | |
Selbstlauf der Ministerien und die Angst, bei Neuwahlen zu verlieren. Diese | |
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Je länger Merkel im Kanzleramt ihren | |
eigenen Abgang verwaltet, desto mehr herrschen Stillstand und | |
Konfliktvermeidung. Der Glaube, dass die Lage in eineinhalb Jahren sich | |
wundersamerweise aufhellen wird, weil man jene Stabilität verkörpert, die | |
das Publikum so schätzt, ist zur Lebenslüge dieser Koalition geworden. Das | |
Auto wird noch Dach und Windschutzscheibe verlieren. Und das Publikum | |
schaut dem Ganzen mit einer Mischung aus Überdruss und Müdigkeit zu – und | |
mit ein wenig Ängstlichkeit, weil man nicht weiß, was kommt, wenn das Auto | |
endgültig im Graben liegt. | |
Die Große Koalition sollte also besser früher als später enden. Doch | |
wahrscheinlich ist das trotz der Tumulte in der Union nicht. Sogar die | |
Opposition, jedenfalls Linkspartei und FDP, sind insgeheim froh, wenn die | |
Wahl erst im Herbst 2021 stattfindet. Die Groko wird wohl, gerade weil die | |
Lage so mies ist, einfach weitermachen. Einleuchtende Gründe dafür gibt es | |
immer. Wären Neuwahlen nicht gerade jetzt falsch, weil man nach dem | |
Thüringen-Desaster damit die AfD bedeutender machen würde, als sie es ist? | |
Zudem muss noch die Grundrente durch das parlamentarische Verfahren | |
gebracht werden. Ab Sommer hat Deutschland bis zum Ende des Jahres die | |
EU-Ratspräsidentschaft inne – dafür braucht man natürlich eine stabile | |
Regierung. Außerdem haben weder SPD noch Union einen Kanzlerkandidaten. | |
Alles bleibt, wie es ist. Stabil bis zur Verkrustung. | |
12 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Kevin-Kuehnert-ueber-Verantwortung/!5645159 | |
[2] /Die-Zukunft-der-Groko/!5648936 | |
[3] /Tabubruch-in-Thueringen/!5658850 | |
[4] /Thueringens-neuer-Ministerpraesident/!5662136 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
SPD | |
Schwarz-rote Koalition | |
CDU/CSU | |
Grundrente | |
Politikerinnen | |
Annalena Baerbock | |
CDU | |
Schwerpunkt AfD | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bundeskabinett beschließt Grundrente: Die Rente hebt ab | |
Nach langen Diskussionen hat sich die GroKo auf Eckpunkte für das | |
Rentengesetz geeinigt. Ab 2021 sollen bis zu 1,3 Millionen Menschen | |
profitieren. | |
Vizevorsitzende der SPD Serpil Midyatli: Nicht schnacken, sondern anpacken | |
Als 16-Jährige verdiente Serpil Midyatli ihr erstes Geld in der Pizzeria | |
ihres Onkels. Heute ist sie Vizevorsitzende der SPD. Was treibt sie an? | |
Grüne und Union: Bereit für Größeres | |
Merz? Spahn? Oder doch lieber Laschet? Die Grünen beobachten aufmerksam den | |
Machtkampf in der CDU – und ziehen ihre Schlüsse für Schwarz-Grün. | |
Anwärter auf den CDU-Vorsitz: Drei nach Merkel | |
Nach dem Verzicht von AKK auf den CDU-Parteivorsitz stehen drei Kandidaten | |
in den Startlöchern. Wir stellen das Trio vor. | |
Tabubruch in Thüringen: Babylon Erfurt | |
Gefährlich wird es, wenn das bürgerliche Zentrum Richtung extremer Rechter | |
kippt. Ein erster Versuch in Thüringen ist aber gescheitert. | |
Thüringens neuer Ministerpräsident: Fassungslosigkeit in Berlin | |
Der Dammbruch in Thüringen wird zur Belastung für die Groko. Vizekanzler | |
Olaf Scholz hat „ernste Fragen“ an die Spitze der CDU. | |
Die Zukunft der Groko: Zäher als gedacht | |
Es ist eine nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung: Ein schnelles Ende der großen | |
Koalition würde im Moment nur den Grünen nützen. |