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# taz.de -- Streit über Lebensmittelpreise: Lobbyisten fürs Essen
> Die Kanzlerin weist Forderungen nach staatlicher Preisregulierung zurück.
> Ihre Landwirtschaftsministerin droht mit Bußgeldern.
Bild: Protest vor dem Bundeskanzleramt: AbL-Geschäftsführer Georg Janßen mit…
Berlin taz | Zwei Traktoren der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
Landwirtschaft (AbL) und ein gutes Dutzend Greenpeace-Aktivisten
protestierten vor dem Kanzleramt gegen die Preispolitik der
Lebensmittelketten. „Handel muss Billigfleisch aus dem Sortiment nehmen“,
stand auf einem Transparent der Umweltorganisation. In der
Regierungszentrale stritten unterdessen Handelsverbände und Vertreter der
vier größten Filialisten über faire Lieferbeziehungen zwischen den
Konzernen, Erzeugern und Verarbeitern der Nahrungsmittel. Die anhaltenden
Klagen der Landwirte über den Preisdruck des Handels zeigen Wirkung.
[1][Angela Merkel macht das Thema zu ihrer Sache].
Das Ergebnis des Spitzentreffens, an dem auch Landwirtschaftsministerin
Julia Klöckner (CDU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
teilnahmen, ist allerdings dürftig. Merkel stellte klar, dass es keine von
der Politik verordneten Mindestpreise für Lebensmittel geben wird. Das
hatten Politiker der Linken gefordert. Stattdessen setzte die Kanzlerin auf
„faire Beziehungen“ zwischen Lieferanten und Verkäufern. Das soll die
EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen
zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette, die sogenannte
UTP-Richtlinie, sicherstellen. Sie müsste zwar erst im kommenden Jahr in
deutsches Recht umgesetzt werden, doch Klöckner drückt aufs Tempo. „Ich
will das sehr schnell umsetzen“, kündigte sie an.
Die vier großen Handelsunternehmen Edeka, Lidl, Rewe und Aldi beherrschen
85 Prozent des Lebensmittelhandels in Deutschland. Die Marktmacht nutzen
sie nach Einschätzung Klöckners unredlich aus, um die Erzeuger unter Druck
zu setzen. Zu den Praktiken gehört, Ladungen von Frischware kurzfristig zu
stornieren, ohne die Landwirte dafür zu entschädigen. Auch mit der
Bezahlung der Ware dauert es schon mal drei Monate. Erwartet wird von den
Handelsketten auch, dass sich Erzeuger und Industrie an Werbeaktionen oder
Sonderangeboten beteiligen. Wer nicht spurt, wird von den Einkäufern
mitunter nicht mehr berücksichtigt. Derlei Praktiken werden mit der
Umsetzung der UTP-Richtlinie verboten oder nur noch erlaubt, wenn dies die
beiden Vertragsparteien vereinbaren.
Klöckner kündigte Sanktionen für Verstöße gegen die Regelung an. Dann gebe
es Bußgelder für die Unternehmen. Damit den Behörden unlautere Methoden
bekannt werden, will sie eine Beschwerdestelle für die Lieferanten
einrichten, an die sich betroffene Lieferanten wenden können, ohne Angst
vor einer Auslistung ihrer Produkte. Auch eine weitere Sektoruntersuchung
über die Konzentration im Lebensmittelhandel sei geplant. „Wir machen keine
Preise in der Politik“, sagte die CDU-Politikerin. Gleichwohl hält sie die
gängigen Rabattaktionen für falsch. „Zwei Kilogramm Äpfel für 1,11 Euro�…
fragte sie, „wie soll das funktionieren?“
## Lockangebote für die Kunden
Die Debatte um den Preiswettbewerb im Handel kocht seit vielen Jahren immer
wieder hoch, ohne dass sich an der Billigstrategie der Ketten etwas
geändert hätte. Ein Grund dafür sind die Verbraucher, die bei
Rabattaktionen kräftig zugreifen. Wer auf Sonderangebote verzichtet,
verliert Kunden. So mahnt der Chef des Bundesverbands der
Verbraucherzentrale (vzbv), Klaus Müller, die Interessen der Verbraucher an
preiswerten Lebensmitteln nicht außer Acht zu lassen. Viele Kunden seien
bereit, für mehr Qualität mehr zu bezahlen. Doch laut Müller können sie die
Qualität anhand des Preises gar nicht einschätzen.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch sieht es ähnlich. „Ein höheres
Preisschild an Lebensmitteln ist eben kein verlässlicher Indikator für eine
höhere Qualität, eine bessere Tierhaltung oder eine faire Bezahlung der
Landwirtinnen und Landwirte“, sagt Geschäftsführer Martin Rücker. Foodwatch
macht ein Versagen in der Agrar- und Kartellpolitik für die Missstände
verantwortlich. [2][Grünen-Chef Robert Habeck] fordert derweil einen
Fleisch-Cent Aufschlag, mit dessen Einnahmen Investitionen der Landwirte
ins Tierwohl gefördert werden könnten. Das lehnte Klöckner prompt ab.
Rewe-Chef Lionel Souque verteidigte dagegen die Preisgestaltung des
Handels. „In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an
der Armutsgrenze“, sagte er der dpa. „Günstige Lebensmittelpreise
ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung.“
Die Debatte ist zwar in vollem Gange, tritt aber inhaltlich bisher auf der
Stelle. „Es ist der Start eines Prozesses“, räumte Klöckner nach dem
Spitzentreffen auch ein. Im Dezember hatte sich Merkel bereits mit
Vertretern der Landwirte getroffen. Die Bundesregierung bemüht sich
sichtlich um eine Moderation des Konfliktes zwischen der konventionellen
Nahrungsmittelwirtschaft und Klimaschützern nebst Biobranche sowie den
Verbraucherinteressen. Sehr viel näher gekommen, das zeigte der neuerliche
Gipfel, sind sich die Beteiligten bisher noch nicht.
3 Feb 2020
## LINKS
[1] /Gipfel-zu-Lebensmittelpreisen-bei-Merkel/!5657811
[2] /CO2-Steuer-auf-Fleisch/!5646394
## AUTOREN
Wolfgang Mulke
## TAGS
Agrarpolitik
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Landwirtschaft
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