# taz.de -- Scheuer vor dem Untersuchungsausschuss: Schöner Kollateralnutzen | |
> Am Donnerstag beginnt der U-Ausschuss zum Maut-Desaster. Verkehrsminister | |
> Scheuer steht unter Druck. Für Bahn- und Radverkehr ist das gut. | |
Bild: Hamburg, Regen: Der Helm sitzt. Andi Scheuer allzeit bereit | |
Ex-Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU) hat als erster Politiker im | |
RTL-Dschungel-Camp Pionierarbeit geleistet, auch wenn er schon nach einem | |
Tag das Lager verließ. | |
Die Assoziation zum derzeitigen Amtsinhaber liegt nahe. „Will sein | |
Preisgeld dem deutschen Steuerzahler spenden, um die Mautschulden zu | |
begleichen: [1][Dschungelcamper Andreas Scheuer]“, spottet die konservative | |
Tageszeitung Welt in einer Satire. | |
Der neunte Verkehrsminister nach Günther Krause, der gebürtige Passauer | |
Andreas Scheuer (CSU), befindet sich in schwerem Fahrwasser. An diesem | |
Donnerstag wird der Untersuchungsausschuss zum Scheitern der Pkw-Maut mit | |
der Anhörung von Sachverständigen beginnen, nachdem er sich im Dezember | |
konstituiert hat. | |
Scheuer wird nicht anwesend sein. Und doch ist er die Person, um die sich | |
alles dreht. Schließlich war es seine vorzeitige Vertragsunterzeichnung, | |
die dem Bund eine [2][Schadenersatzforderung vonseiten der Mautbetreiber | |
von gewaltigen 560 Millionen Euro] eingebracht hat. | |
## CSU-Prestigeprojekt | |
Der Untersuchungsausschuss soll das gesamte Geschehen rund um das Projekt | |
aufklären – die dubiosen Umstände, unter denen die für die Betreiber | |
ausgesprochen günstigen Verträge zustande kamen, warum sie trotz eines | |
anhängigen Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) | |
unterschrieben und nach dem [3][Urteil zum Maut-Stopp] überstürzt gekündigt | |
wurden. | |
Die Pkw-Straßenabgabe für Ausländer war ein Prestigeprojekt der CSU im | |
Bundestagswahlkampf 2013, das die Große Koalition nur sehr widerwillig | |
umgesetzt hat. „Außer der CSU wollte niemand die Maut“, betont der | |
[4][Linksfraktions-Abgeordnete Jörg Cezanne], der Mitglied des Ausschusses | |
ist. Das ist nicht unerheblich. Denn Scheuer verteidigt sich unter anderem | |
damit, dass er den erklärten Willen der Mehrheit im Bundestag umgesetzt | |
hat. | |
Die österreichische Regierung hatte gegen die Maut geklagt. Sie sah es als | |
diskriminierend an, dass ihre BürgerInnen in Deutschland eine Maut für die | |
Autobahnbenutzung zahlen sollten, während hierzulande gemeldete | |
AutohalterInnen über die Kfz-Steuer entlastet werden sollten. | |
Trotz des Verfahrens begann das Bundesverkehrsministerium, die Einführung | |
der Maut vorzubereiten. Das war offenbar gar nicht so einfach, denn die | |
dafür vorgesehenen Kosten hatte der Bundestag begrenzt. Es gibt Hinweise, | |
dass den Betreibern die Unterzeichnung schmackhaft gemacht wurde, indem | |
darüber hinausgehende Kosten auf die SteuerzahlerInnen verlagert wurden. | |
## Tricksereien oder Pflichtverletzung | |
Die Betreiber sollen Medienberichten zufolge angeboten haben, mit der | |
Vertragsunterzeichnung bis nach dem Urteil des EuGH zu warten – was Scheuer | |
ebenso bestreitet wie Tricksereien bei der Vergabe oder die Angemessenheit | |
der Schadenersatzforderung. | |
Kurz nach dem Urteil des EuGH im vergangenen Juni hatte Scheuer „maximal | |
mögliche Transparenz“ angekündigt, um die Vorgänge aufzuklären. | |
Medienwirksam hatte er dazu auf einem kleinen Wagen einen Berg von Akten | |
aus seinem Ministerium in den Verkehrsausschuss rollen lassen. Doch dann | |
hat er einen großen Teil davon in der Geheimhaltung hochgestuft. | |
Das hat Folgen für die Arbeit des Untersuchungsausschusses, der im Februar | |
mit der Befragung von ZeugInnen beginnen will. „Ich fürchte, bei der | |
Mehrzahl der relevanten Zeugen werden wir schnell die Öffentlichkeit | |
ausschließen müssen“, sagt der Bundestagsabgeordnete [5][Stephan Kühn], der | |
für die Grünen Mitglied des Untersuchungsausschusses ist. | |
Die Grünen wollen gegen die Geheimerklärung klagen. Für Scheuer wird das | |
nicht gut ausgehen: Hat die Klage Erfolg, werden die ZeugInnen | |
medienwirksam öffentlich angehört. „Wenn er die Akten aber zu Recht | |
hochgestuft hat, hat er eine Pflichtverletzung begangen, als er sie in den | |
Verkehrsausschuss gebracht hat“, erklärt Kühn. | |
## Mit Radpolitik punkten | |
Für Scheuer geht es um viel. Andererseits: Es muss schon etwas von | |
erheblicher Durchschlagskraft sein, was der Untersuchungsausschuss zutage | |
fördert, damit es für den 45-Jährigen gefährlich wird. Denn seinen | |
Rücktritt fordern Linkspartei, Grüne und FDP jetzt schon. Brenzliger wird | |
es für ihn wegen der verheerenden Umfragewerte. Bei [6][einer Umfrage für | |
den Sender Sat.1] unterstützten zwei Drittel der Befragten die Forderung, | |
auch 60 Prozent der befragten CSU-Anhänger. | |
Dass der Verkehrsminister unter enormem Druck steht, hat Folgen. Er muss | |
sich auf anderen Gebieten profilieren, damit der bayerische | |
Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder weiter seinen Verbleib | |
im Amt rechtfertigen kann. | |
Selbst politische GegnerInnen bescheinigen Scheuer einen großen | |
Gestaltungswillen und erhebliche Sachkenntnis. Scheuer ist keineswegs so | |
unbedarft, wie er aufgrund seiner Selbstinszenierung mit spektakulären | |
Fotos und Videobotschaften via Twitter erscheint. | |
Von 2009 bis 2013 war der Bayer, der erst auf Lehramt und dann | |
Politikwissenschaft studierte, bereits Parlamentarischer Staatssekretär | |
unter dem damaligen Verkehrsminister Ramsauer (CSU). Er vertritt allerdings | |
die Interessen der Autobranche mit Verve, sperrt sich etwa gegen ein | |
Tempolimit auf deutschen Autobahnen. | |
## Andi, Retter der Bahn | |
Aber er hat in anderen Bereichen sehr viel mehr in Bewegung gesetzt als | |
seine Vorgänger. „Andreas Scheuer macht eine bessere Bahn- und eine besser | |
Radpolitik als seine Vorgänger“, stellt Philipp Kosok fest, Bahnexperte des | |
[7][ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD)]. | |
Der Grund: „Er setzt auf Gewinnerthemen.“ Die Menschen wollten mehr und | |
besser Bahn und Rad fahren. 900 Millionen Euro stellt der Bund in den | |
kommenden Jahren für die Radinfrastruktur, vor allem für Radwege zur | |
Verfügung, so viel wie noch nie. | |
Auch wenn OppositionspolitikerInnen es schon lange gefordert hatten, war es | |
erst Scheuer, der die Mehrwertsteuer auf Fernverkehrtickets gesenkt hat. | |
Nie zuvor hat ein Verkehrsminister so viel Geld für die Bahn lockergemacht. | |
86 Milliarden Euro kann die Bahn in den kommenden Jahren ausgeben. | |
Das bereitgestellte Geld reicht nach Kosoks Meinung jedoch nur, um den | |
Verfall der Bahn aufzuhalten und nicht für den nötigen Ausbau des | |
Schienennetzes. | |
## Nicht da, wo es wehtut | |
Vor allem: Scheuer ist bereit, die Bahn-Struktur infrage zu stellen, die | |
sein Vorgänger Krause bis zu seinem Rückzug 1993 mit der Bahnreform | |
vorbereitet hat und mit der der Konzern zur AG mit Gewinnauftrag wurde. | |
Scheuer hat die Opposition eingeladen, über eine große Bahn-Reform „ohne | |
Denkverbote“ zu sprechen. | |
Die Gewinnerorientierung des Ministers hat allerdings auch ein Problem. | |
„Der Minister setzt nicht da an, wo es wehtut“, sagt Kosok. Dazu müsste er | |
im Flug- und Straßenverkehr für Kostenehrlichkeit sorgen, indem etwa die | |
Klimaschäden eingepreist würden. „Das wäre eine echte Verkehrswende“, sa… | |
er. „Aber das Wort ‚Verkehrswende‘ nimmt Andreas Scheuer nicht in den | |
Mund.“ | |
15 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welt.de/satire/article204977694/Dschungelcamp-RTL-nominiert-And… | |
[2] /Schadenersatz-fuer-Mautdesaster/!5651835/ | |
[3] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&… | |
[4] https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/C/518870-518870 | |
[5] https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien18/K/kuehn_stephan-258638 | |
[6] https://www.sat1.de/regional/bayern/waehlercheck/waehlercheck-januar-verhee… | |
[7] https://www.vcd.org/startseite/ | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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