# taz.de -- Nabu-Chef Krüger über Bauernproteste: „Wir müssen dringend red… | |
> Deutschlands größter Umweltverband Nabu geht auf die Bauern zu. | |
> Jörg-Andreas Krüger über Umweltvorschriften, Diskrepanzen und | |
> Naturschutz. | |
Bild: Bauern mit ihren Traktoren an einem Autobahnkreuz in Bayern (Oktober 2019) | |
taz: Herr Krüger, das Klima zwischen Naturschützern und Bauernvertretern | |
ist so schlecht wie nie, seit in den vergangenen Monaten zehntausende | |
Landwirte [1][gegen Umweltvorschriften demonstriert] haben. Wie wollen Sie | |
darauf reagieren? | |
Jörg-Andreas Krüger: Wir müssen dringend reden. Wir müssen gemeinsam nach | |
Lösungen für Probleme wie die Belastung des Wassers mit dem potenziell | |
umwelt- und gesundheitsschädlichen Nitrat aus Düngern suchen. Es reicht | |
nicht, einfach nur neue Vorschriften anzuordnen. Wir wollen auch um | |
Akzeptanz für Landwirte werben. | |
Das sind ja ganz neue Töne. Ihr Vorgänger Olaf Tschimpke hat den | |
Bauernverband gern scharf kritisiert, 2017 verlieh er dessen Chef sogar den | |
„[2][Dinosaurier des Jahres]“ für besonders rückschrittliche Vorstellungen | |
in Sachen Umweltschutz. Sie sind seit November Nabu-Präsident. Werden Sie | |
so weitermachen? | |
2019 haben wir niemandem den „Dino“ verliehen, weil es nach einem | |
Vierteljahrhundert Zeit für eine Runderneuerung der Aktion ist. | |
Ich frage mich: Wie kriege ich Veränderungen in der Landwirtschaft hin, die | |
unsere Umwelt entscheidend verbessern? Der Deutsche Bauernverband hat zu | |
lange wichtige Reformen blockiert und verschleppt. Aber er ist nun mal | |
einer der zentralen landwirtschaftlichen Verbände, und ein Umdenken setzt | |
auch dort ein. Deshalb führe ich momentan erste Gespräche. | |
Ich würde gern ausprobieren, ob wir mit einer anderen Art von Kommunikation | |
und Zusammenarbeit nicht schneller vorankommen – was zählt, sind allerdings | |
die Ergebnisse. | |
Haben Sie als Naturschützer überhaupt eine Chance, von Bauern ernstgenommen | |
zu werden? | |
Meine Mutter kam von einem Bauernhof. Ich bin als Kind sehr viel auf dem | |
Hof meiner Großeltern im Oldenburger Land gewesen. Das hat mich geprägt. | |
Ich bin nicht rein städtisch, ich bin auch Jäger. Land zu nutzen und daraus | |
Fleisch für mich selbst zu gewinnen, das gehört für mich dazu. | |
Bauern und Naturschützer sollten nicht schlecht übereinander reden. Denn | |
wir haben auch gemeinsame Interessen. Zum Beispiel wollen wir beide eine | |
intakte Umwelt – und dass Verbraucher mehr für Umweltschutz in der | |
Landwirtschaft zahlen. | |
Wollen Sie auch mit den Demo-Organisatoren von der Bauernbewegung „Land | |
schafft Verbindung“ reden? | |
Ja, Mitte Januar haben wir im Rahmen einer Veranstaltung die nächste | |
Möglichkeit für ein Gespräch. | |
Welche Bedingungen stellen Sie für so einen Dialog? | |
Es darf keine Vorwürfe geben nach dem Motto: Da sitzen jetzt die Städter, | |
die keine Ahnung haben, und die wollen uns jetzt erzählen, wie wir | |
Landwirtschaft zu machen haben. Wenn man sich gegenseitig die Berechtigung | |
zur Diskussion entzieht, wird die Diskussion nicht erfolgreich sein. Und | |
die wissenschaftlich belegten Umweltprobleme dürfen nicht geleugnet werden. | |
Können Sie verstehen, dass viele Bauern frustriert sind, weil sie | |
Umweltvorschriften erfüllen müssen, dafür ihrer Darstellung nach aber nicht | |
bezahlt werden? | |
Viele Themen sind offenbar an vielen landwirtschaftlichen Betrieben – oder | |
zumindest den Sprechern bestimmter Bewegungen – vorbeigegangen. Wir reden | |
seit mehr als 30 Jahren über den Düngemitteleinsatz und Nitrat im | |
Grundwasser. Auch dass es immer weniger Insekten gibt, scheinen manche | |
nicht wahrgenommen zu haben. | |
Doch sie erkennen jetzt: Ein großer Teil der Bevölkerung will aus diesen | |
Gründen eine andere Art von Landwirtschaft, zahlt aber bislang zu wenig | |
dafür – zumindest im Laden. Den Frust – auf allen Seiten – kann ich schon | |
verstehen. | |
Bauern beklagen häufig einen Konflikt zwischen Stadt und Land. Die Städter | |
wüssten einfach zu wenig über die Landwirtschaft. Sehen Sie das auch so? | |
Viele Menschen wachsen nicht mehr mit der Landwirtschaft auf. Dadurch fehlt | |
sicherlich Wissen über manche Zusammenhänge. Die Bauern müssen deutlich | |
machen: Dadurch, dass ihr so niedrige Preise zahlt, müssen wir so | |
produzieren, wie wir es jetzt tun. | |
Zahlreiche Landwirte bestreiten, dass hauptsächlich sie für [3][die | |
Nitratbelastung verantwortlich] sind, obwohl ja unzählige Untersuchungen | |
das belegen. Sind es in Wirklichkeit die Landwirte, denen wichtiges Wissen | |
fehlt ? | |
Da fehlt viel Wissen und auch die Bereitschaft, Fakten anzuerkennen. Es | |
gibt Unmengen wissenschaftlicher Studien, die den Insektenschwund belegen. | |
Wenn man das leugnet, schließt man sich aus der Diskussion aus. Da sind | |
auch die landwirtschaftlichen Verbände gefordert, zu sagen: Ja, wir wissen, | |
dass das ein Problem ist. | |
Sonst passiert es so wie bei der Düngemittelverordnung: Da ist ein | |
bekanntes und klar belegtes Thema, das zuletzt sechs Jahre wissentlich und | |
wollentlich nicht angegangen und verschleppt worden ist. Jetzt sind für die | |
Landwirtschaft harte Schritte nötig, um millionenschwere Strafzahlungen zu | |
verhindern, weil Deutschland gegen die EU-Nitratrichtlinie verstoßen hat. | |
Haben die Bauern also selbst Schuld? | |
Da ist zumindest eine gewisse Selbstverantwortung. Schuld ist ja eine sehr | |
wertende Frage. So eine Wertung ist am Beginn einer Diskussion nicht | |
hilfreich. | |
Wie sehen Sie die Bauernproteste? | |
Bei den Demonstrationen haben sich die Landwirte abgeschottet und gesagt: | |
Was die Gesellschaft da will, ist alles schwierig. Eigentlich machen wir | |
doch alles richtig. Landwirte tun sich keinen Gefallen damit, wenn sie so | |
tun, als ob es egal wäre, wie sie mit Wasser, Boden und Luft umgehen. | |
Bei den Protesten wurde auch „Bauernbashing“ kritisiert und dass allein die | |
Landwirte als Umweltverschmutzer gebrandmarkt würden. Macht der Nabu | |
ausschließlich die Landwirte zum Beispiel für das Insektensterben | |
verantwortlich? | |
Nein, aber die immer intensivere Landwirtschaft ist der entscheidende | |
Treiber. Das sagen alle Studien. Sie hat dazu geführt, dass bunte Wiesen zu | |
Graswüsten verkommen, Ackersäume verschwinden und zu viele Pestizide | |
eingesetzt werden, die Insekten töten. | |
Aber die Wissenschaft nennt auch andere Ursachen, zum Beispiel | |
Straßenbeleuchtung und dass Wiesen zubetoniert werden. | |
Natürlich gibt es viele andere Themen, und um die kümmert sich die | |
Bundesregierung in ihrem Aktionsprogramm Insektenschutz ja auch. Aber: Wir | |
haben Landwirtschaft auf 50 Prozent der Fläche in Deutschland, und ganze | |
Insektengattungen und viele Vogelarten verschwinden, die sich in | |
landwirtschaftlichen Ökosystemen bewegt haben. Wenn die Landwirte dieses | |
Problem negieren, dann kommen wir Naturschützer und Bauern nicht zusammen. | |
Die Initiatoren der Bauernproteste sagen, Umweltorganisationen hätten zu | |
viel Einfluss auf die Politik. Sind Sie wirklich so mächtig? | |
So mächtig empfinde ich uns nicht, denn sonst hätten wir viele Dinge längst | |
ändern können: zum Beispiel beim Schutz der Wiesenbrüter oder von Hecken. | |
Die verschwinden zusehends, obwohl wir das seit Jahren beklagen. | |
Wie hoch ist Ihr Budget im Vergleich zum Etat des Bauernverbandes oder von | |
Agrarchemiekonzernen wie Bayer? | |
Wir haben als Nabu natürlich viele Unterstützerinnen und Unterstützer. Aber | |
das, was wir an Geld zur Verfügung haben für unsere Arbeit, ist | |
wahrscheinlich die Portokasse von Bayer. Im Bauernverband treffen sich | |
unglaublich viele wirtschaftliche Interessenvertreter, sei es der Milch-, | |
Fleisch- oder Futtermittelindustrie. Das sind ja weltweit vernetzte | |
Großindustrien. Da werden Milliarden umgesetzt, davon sind wir Lichtjahre | |
entfernt. | |
Wie wollen Sie finanzieren, dass Bauern weniger düngen und spritzen, damit | |
mehr Pflanzen- und Tierarten überleben? | |
Wir wollen, dass die Agrarsubventionen der Europäischen Union künftig an | |
jene Bauern gezahlt werden, die mehr für die Artenvielfalt, Böden, Gewässer | |
und Klima tun als gesetzlich vorgeschrieben ist. Das sind jährlich immerhin | |
fast 60 Milliarden Euro. | |
Das wird vielleicht die zusätzlichen Kosten für die Umweltauflagen | |
ausgleichen. Aber [4][jedes Jahr schließen laut Bauernverband 2,5 Prozent | |
der Höfe]. Wie lässt sich die wirtschaftliche Lage der Branche verbessern? | |
Zeitgleich zur Reform der Subventionen brauchen wir eine | |
Informationskampagne, um die Wertschätzung der Verbraucher für | |
landwirtschaftliche Produkte wieder aufzubauen. Wir brauchen Aufklärung, | |
dass ein höherer Preis eine bessere Produktion ermöglicht und neue | |
Lebensräume für Insekten schaffen kann und so weiter. Dafür müssen die | |
Preise um ein paar Cent steigen. So eine Kampagne müsste der Staat tragen. | |
Sollen möglichst viele kleine Höfe erhalten werden oder ist die | |
Betriebsgröße aus Ihrer Sicht egal? | |
Aus Studien wissen wir, dass gute oder schlechte Landwirtschaft keine Frage | |
der Betriebsgröße ist. Mit Blick auf die Landwirte und den ländlichen Raum | |
haben wir aber ein Interesse daran, dass möglichst viele Betriebe erhalten | |
bleiben und die Konzentration nicht zu groß wird. Oft müssen die | |
mittelgroßen Betriebe mit 50 bis 100 Hektar am intensivsten wirtschaften, | |
weil sie alles aus ihrem wenigen Land herausholen müssen. | |
15 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Landwirtinnen-protestieren-in-Berlin/!5640610&s=bauern+berlin/ | |
[2] /Negativpreis-des-Naturschutzbundes/!5468626/ | |
[3] /Umweltbelastung-durch-Duenger/!5635932/ | |
[4] https://www.bauernverband.de/situationsbericht-19/3-agrarstruktur/33-betrie… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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