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# taz.de -- Die Weißstörche sind wieder da: „Wechseln regelmäßig die Part…
> Storchenexperte Bernd Ludwig übers Liebesleben von Meister Adebar und die
> Gründe, warum die Brandenburger Storchenpopulation immer kleiner wird.
Bild: Brandenburgs Storchenexperte Bernd Ludwig hält Ausschau nach seinen Lieb…
taz: Herr Ludwig, wie viele Stunden am Tag bringen Sie mit dem Storch zu?
Bernd Ludwig: Das ist unterschiedlich. Ich mache auch noch vieles andere,
was die Vogelwelt betrifft.
Wir führen dieses Interview in Zeiten von Corona telefonisch. Sitzen Sie
gerade in Ihrer Bibliothek vor einer Buchwand mit Storchen-Literatur, oder
wie muss man sich das vorstellen?
Zwei Bücherwände können Sie schon sagen. (lacht) Davor sitze ich am
Schreibtisch und gucke in den Garten.
Nicht weit von Ihrem Haus, in Groß-Machnow bei Rangsdorf, gibt es ein
Storchennest. Ist das schon bezogen?
Ja, er ist seit dem 7. April da. Die Störche sind dieses Mal spät dran. Am
Bosporus war sechs Tage sehr schlechtes Wetter. Regen, Gegenwind – die
Störche hatten keine Chance, über die Meerenge zu kommen. Sie brauchen
storchenfreundliches Wetter, sprich Sonnenschein und Thermik.
Können Sie zu jeder Zeit sagen, wo die Störche sind?
Das weiß ich immer, zumindest ungefähr. Es gibt vier Störche aus
Schleswig-Holstein, die mit einem Sender ausgestattet sind. Ich bekomme
alle paar Tage vom Institut für Wiesen- und Feuchtgebiete in Bergenhusen
die Nachricht über deren aktuellen Standort auf den Computer geschickt.
Was macht die Faszination am Storch aus?
Das ist ein Großvogel und ein hervorragender Segelflieger, der Strecken von
bis zu 10.000 Kilometer zurücklegen kann. Die Aufzucht der Jungen ist sehr
interessant, auch wenn die anfangen, ihre Flugübungen zu machen. Und
schließlich der Abzug ins Winterquartier – das alles ist enorm spannend.
Sie sind 80 Jahre alt. Wissen Sie noch, wann Ihre Liebe zu den Störchen
begann?
Schon als kleiner Junge habe ich im Winter Futterhäuser gebaut und Vögel
beobachtet. Meine Mutter hat mich angeleitet. Zum Storch gekommen bin ich
durch ein Praktikum während meines Biologie-Studiums im Oderbruch. Schon
damals gab es da viele Störche. 1958 habe ich dann an der Vogelwarte
Hiddensee meine Prüfung im Beringen von Vögeln gemacht. Zusammengefasst
kann man sagen, ich bin seit mehr als 60 Jahren ehrenamtlich im Naturschutz
aktiv und mit der Ornithologie beschäftigt.
Brandenburg ist in Deutschland das Land mit den meisten Störchen, richtig?
Noch ist das so. Wir hatten voriges Jahr 1.189 Weißstorch-Horstpaare, auch
Brutpaare genannt. Mit 4,03 Paaren auf 100 Quadratkilometer ist die
Storchendichte hier immer noch die höchste in Deutschland. Aber
Baden-Württemberg holt auf. Schon dieses Jahr werden uns die
Baden-Württemberger vermutlich einholen.
Ärgert Sie das?
Nein. Das hat natürliche Gründe. Die Störche in Baden-Württemberg sind
sogenannte Westzieher. Unsere Störche in Brandenburg sind dagegen
überwiegend Ostzieher. Im Unterschied zu den Ostziehern, deren Zahl
zurückgeht, nehmen die Westzieher zu.
Westzieher fliegen westlich vom Mittelmeer über die Straße von Gibraltar
nach Afrika.
Die Reise ist wesentlich ungefährlicher, zumal Westzieher zum größten Teil
überhaupt nicht mehr nach Afrika fliegen. Die meisten überwintern in
Spanien und gehen dort in die Reisfelder. Dort gibt es einen Sumpfkrebs,
der aus Amerika eingeschleppt worden ist. Das ist eine vorzügliche Nahrung
für Störche. Außerdem gehen sie auf die Müllkippen, die in Spanien noch
nicht abgedeckt werden. Da gibt es reichlich Essensreste vom Menschen oder
Mäuse und Ratten.
Wie Sie bereits sagten, sind die Störche in Brandenburg zumeist Ostzieher.
Was bedeutet das?
Die vier mit einem Sender ausgestatteten Störche aus Schleswig-Holstein,
deren Aufenthalt ich verfolge, gehören auch zu den Ostziehern. Die Zugroute
führt über den Bosporus östlich am Mittelmeer vorbei bis in den Sudan und
Tschad oder nach Südafrika. Ostzieher erkennen wir daran, dass sie später
aus dem Winterquartier zurückkommen. Der Storch in Bad Freienwalde war
schon am 9. Februar wieder da. Er gehört zu den wenigen Westziehern, die es
in Brandenburg gibt.
Sie meinen den Medienliebling Kurtchen?
Ja. Die Bad Freienwalder haben ihn nach dem Nestor des Naturschutzes in
Brandenburg, Kurt Kretschmann, benannt. Er hatte zu DDR-Zeiten das gelbe
Naturschutzschild mit der schwarzen Eule erfunden. Das Schild wurde nach
der Wende für ganz Deutschland übernommen.
Gibt es noch mehr prominente Störche in Brandenburg?
Weniger. Wir haben ein paar alte Störche. In der Prignitz gab es einen
weiblichen Storch, der kam 29 Jahren lang und hat gebrütet. Wir nehmen an,
dass er dann auf dem Zug verstorben ist. Aber auch so ist der Storch in
vielen Orten eine Attraktion, natürlich! Manche Leute denken, dass es immer
wieder derselbe ist, der da kommt.
Das stimmt nicht?
Nein, dass ist nur manchmal der Fall.
Dass Störche monogam seien, wie es oft heißt, ist auch ein Märchen?
Sie wechseln regelmäßig die Partner, manchmal sogar innerhalb einer
Brutsaison. Da passieren manchmal kuriose Sachen.
Kommt es vor, dass ein Männchen mit mehreren Weibchen Küken hat?
Nein, aber es kann vorkommen, dass ein Männchen während der Brutzeit zu
einem anderen Weibchen fliegt und deren Horst mitbetreut. In der Regel ist
es so, dass sie maximal sieben Jahre zusammenhalten, meistens deutlich
kürzer. Das hat auch damit zu tun, dass die Partner getrennt wegziehen. Im
Winterquartier sind sie zum Teil weit voneinander entfernt. Deshalb kann es
passieren, dass ganz andere Störche hierher zurückkommen. Die Männchen
kommen meistens zuerst und besetzen den Horst. Es muss aber nicht immer
dasselbe Nest sein. Manchmal kommt es auch zu Kämpfen. Und die Weibchen
lassen sich dann bei einem Männchen nieder.
Auf den großen Zug ins Winterquartier geht jeder Storch für sich allein?
Die Jungen starten meistens schon Anfang, Mitte August. Die Alten bleiben
noch eine Weile, dann zieht in der Regel das Weibchen ab und dann erst das
Männchen. In Südosteuropa gibt es große Sammelplätze. Verbände von bis zu
mehreren Tausend Störchen überfliegen dann gemeinsam den Bosporus.
Seit wann registrieren Sie in Brandenburg einen Storchen-Rückgang?
Seit dem ersten internationalen Storchenzensus 1934 war das Jahr 2014 in
Brandenburg das Jahr mit den meisten Störchen: 1.424 Horstpaare gab es da.
Wir können das präzise zurückverfolgen. Nach 2014 ging es bergab. Bis 2019
sind uns 235 Paare verlustig gegangen. Das ist eine bedenkliche Zahl, wenn
ich daran denke, dass es zum Beispiel in Dänemark gar keine Störche mehr
gibt. Auch Mecklenburg-Vorpommern hatte voriges Jahr nur noch 636 Paare Das
waren auch mal mal weit über 1.000. Auch dort handelt es sich in der
Mehrzahl um Ostzieher.
Was sind die Gründe?
Ostzieher erleiden auf dem Zug große Verluste. Besonders zu nennen ist der
Libanon, den die Störche im Schmalfrontzug überqueren müssen. Die Jäger
stehen auf den Bergen und schießen sie massenhaft ab. Aus reiner Lust, sie
essen sie ja nicht. Über Israel hat der Zug dann Ruhe, die Israelis
schießen keine Störche. Im Gegenteil. Sie richten sogar ihren Flugverkehr
nach dem Vogelzug. Aber wenn die Störche dann den Golf von Suez hinter sich
haben und geschwächt und hungrig auf der anderen Seite ankommen, werden sie
von ägyptischen Jägern erwartet. Erst ab Äthiopien und dem Sudan werden sie
weniger verfolgt.
Kann der Rückgang auch an eine normalen statistischen Schwankung liegen?
Nein, es ist höchste Alarmstufe. Verluste werden auch durch ungesicherte
Stromtrassen produziert, den Klimawandel und die intensive Landwirtschaft.
Der Storch braucht bei der Nahrungssuche nasse Füße, wie es so schön heißt.
Er bevorzugt die Umgebung von Seen oder Flussauen für die Futtersuche, aber
Elbe, Spree, Havel, Oder und Elster führen nur noch wenig Wasser. Auch
jetzt ist es schon wieder viel zu trocken in Brandenburg. Die Hauptnahrung
der Störche sind Regenwürmer. Das sieht schon wieder ganz schlecht aus.
Wegen des fehlenden Niederschlags sind die Würmer tief in der Erde. Das
merken die Störche und schreiten gar nicht erst zur Brut. Sie besetzen zwar
den Horst, legen aber keine Eier. Oder nachher, wenn die Jungen geschlüpft
sind und es sind nicht genug Regenwürmer da – die braucht es als erste
Nahrung – gehen die Kleinen zugrunde und werden aus dem Horst geworfen.
Jedes Jahr haben wir viele Verluste auf diese Art und Weise. Auch in den
großen Monokulturen wie Raps oder Maisanbau ist keine Nahrung mehr drin für
den Storch und auch für viele andere Tiere nicht. Da brauchen wir uns nicht
zu wundern, wenn die Storchenzahlen zurückgehen.
Wenn wir keine Winter mehr haben, könnte das dazu führen, dass die Störche
irgendwann ganz in Deutschland bleiben?
Das kann man schlecht vorhersagen. Die Extreme werden größer, so viel ist
klar. Einerseits wird es in Brandenburg immer trockener und plötzlich kommt
Starkregen, der vielleicht auch noch mit einem Kälteeinbruch verbunden ist.
2013 sind bei uns deshalb über 1.000 Jungstörche in den Horsten verendet.
Dabei lieben die Menschen den Storch.
Ich habe es ganz selten mal erlebt, dass Leute kein Nest auf ihrem Dach
haben wollten, weil der Storch die Ziegel bekleckert mit seinem Kot.
Inzwischen sind die meisten Storchennester ohnehin nicht mehr auf Dächern,
sondern auf Nestmasten, die extra angelegt worden sind von
Energieversorgungsunternehmen.
Auch in anderen Kulturen genießt der Storch Hochachtung.
In den meisten Kulturen, abgesehen von einigen arabischen Ländern, ist das
so. Die Türkei ist total vorbildlich. Das sind ja auch Muslime. Die Leuten
stellen Nisthilfen auf, sie lieben ihre Störche. Die Türkei ist ein ganz
wichtiges Durchzugsland, da wird ihnen keine Feder gekrümmt. Das ist so
unterschiedlich.
Wie ermitteln Sie die Zahl der Brandenburger Störche?
In jedem der 40 Altkreise von Brandenburg gibt es einen ehrenamtlichen
Storchenbetreuer. Die Altkreise wurden bei der Kreisreform 1992 zwar
abgeschafft, aber wir haben es bei dieser Struktur belassen, weil die
Landkreise zu groß wären für einen Betreuer. Die Betreuer beobachten die
Horste, erfassen die Störche, zählen die Brutpaare und die Jungen. Ich
selbst betreue zwei Altkreise und fahre zwei- bis dreimal im Jahr alle
Horste ab. Es handelt sich um rund 50 Brutpaare. So haben wir ziemlich
präzise Daten über alles, was los ist.
Wo landet das Material?
Bei mir. Ich übermittle die Daten dann an die Geschäftsstelle des Nabu
Brandenburg und an die Bundesarbeitsgruppe Weißstorchschutz des Nabu.
Es heißt, niemand in Brandenburg kennt sich mit Störchen so gut aus wie
Sie. Sie sind der Chef?
Der ehrenamtliche Chef. Alles, was Störche in Brandenburg betrifft, landet
bei mir. Seit 1964 bin ich hier der Storchenbeauftragte. Die Daten gehen
natürlich auch an die Arbeitsgemeinschaft der Ornithologen
Berlin-Brandenburg und an das Landesumweltamt Brandenburg. Die Behörden
müssen ja auch wissen, was mit den Störchen los ist.
Von 1957 bis 1960 haben Sie in Ostberlin an der Humboldt-Universität
studiert. In Mittenwalde und Zeuthen haben Sie dann an einer Schule
Biologie und Chemie unterrichtet. Was für ein Lehrer waren Sie?
Eher ernsthaft, überlegt und sachlich. Ich habe bis zum Abitur unterrichtet
und auch Arbeitsgemeinschaften und Ökologie-Kurse geleitet. Mein Anliegen
war, den Jugendlichen die Natur nahe zu bringen. Dass der Mensch ohne die
Natur im Prinzip gar nicht leben kann. Dass wir von der Natur abhängig
sind. Bei Klassentreffen höre ich heute oft, dass sich einige meiner
Schüler auch für die Natur einsetzen. Das scheint auch auf fruchtbaren
Boden gefallen zu sein.
Die DDR stand mit dem Naturschutz ziemlich auf Kriegsfuß. Haben Sie keinen
Ärger bekommen?
Man musste sprachlich verklausulieren. Ich war Mitglied in der
ornithologischen Interessensgemeinschaft Avifaunistik, die wiederum im
Kulturbund der DDR organisiert war. So hatte ich die Möglichkeit, mit
interessierten Schülern zu Vogelbeobachtungen zu fahren. Bei den
landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften – den LPGs – haben wir
Mittagessen bekommen und abends gab es ein nettes Zusammensein. Die Schüler
reden heute noch begeistert von den Fahrten.
Sind Sie den Störchen eigentlich auch mal hinterhergereist?
Ja, meine Frau und ich waren viel im Ausland. Zu DDR-Zeiten konnten wir ja
nur nach Osteuropa fahren. Wir waren immer auf den Spuren der Störche – zum
Beispiel in Polen, dem storchenreichsten Land der Welt. Ich habe viele
Aufzeichnungen gemacht. Nach der Wende sind wir dann hauptsächlich in die
westlichen Länder gefahren. Erst mal nach Westeuropa bis runter nach
Spanien in die Estremadura und Andalusien oder nach Portugal, da gibt es
auch sehr viele Störche.
Ihre Frau liebt auch Störche?
Wir haben uns beim Studium kennengelernt. Sie hat immer sehr gerne
mitgemacht und ist auch immer zu den Beringungen mitgefahren. Irgendwann
ist sie allerdings nicht mehr mitgekommen, weil ihr das zu gefährlich
wurde, was ich da gemacht habe.
Was haben Sie angestellt?
Damals hatte man noch keine Hebebühnen, so wie heute, um an den
Storchenhorst zu kommen. Ich musste entweder innen durch die damals
teilweise noch mit Stroh oder Schilf gedeckten Scheunendächer nach oben
klettern oder außen am Dach entlang und dann auf dem First lang balancieren
(lacht). Oder hat man alle Leitern zusammengebunden, die man in der
Umgebung auftreiben konnte, um an das Storchennest zu gelangen.
Hatten Sie Angst, von Storcheneltern angegriffen zu werden?
Nein. Die Jungen fallen in eine Starre, in eine sogenannte Akinese. Man
kann die Ringe anbringen, sie liegen ganz ruhig da. Die Alten gucken
meistens vom Nachbarhaus zu. Sobald man weg ist, sind sie wieder am Horst
Wie viel Störche haben Sie in Ihrem Leben beringt?
Einige hundert werden es schon gewesen sein.
12 Apr 2020
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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