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# taz.de -- Einweihung von Turkish Stream: Pipeline als geopolitisches Mittel
> Putin und Erdoğan nehmen eine neue russisch-türkische Gasleitung durchs
> Schwarze Meer in Betrieb. Nicht nur ein ökonomisches Projekt.
Bild: Mai 2018: Ein Rohrverleger passiert den Bosporus
Istanbul taz | Es gab viel Pomp in einem Istanbuler Kongresszentrum:
[1][Russlands Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege
Recep Tayyip Erdoğan] haben am Mittwoch die Inbetriebnahme von Turkish
Stream gefeiert. Mit dabei, um die neue Gaspipeline durch das Schwarze Meer
einzuweihen: der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow und der
serbische Präsident Aleksandar Vučić, deren Länder ebenfalls an die
Pipeline angeschlossen werden sollen.
Die Pipeline soll insgesamt 31,5 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr
transportieren. Zum Vergleich: [2][die umstrittene Nordstream-2-Pipeline
durch die Ostsee] soll einmal 55 Milliarden Kubikmeter schaffen. Auch
Turkish Stream ist für Putin sowohl ein ökonomisches als auch
geopolitisches Projekt. Aus wirtschaftlicher Sicht wird sich der Verkauf
von russischem Gas an die Türkei und darüber hinaus an Südosteuropa dadurch
beträchtlich steigern – und viel Geld in die Kassen von Gazprom spülen.
Wichtiger aber noch ist der geopolitische Aspekt. Turkish Stream wird wie
auch Nord Stream 2 die Ukraine als Transitland umgehen und längerfristig
überflüssig machen.
Es gibt bereits eine Gaspipeline durchs Schwarze Meer – Blue Stream –, die
im Osten der türkischen Schwarzmeerküste ankommt und Ankara sowie die
Osttürkei versorgt. Die neue Pipeline, die etwas westlich von Istanbul auf
das türkische Festland trifft, wird die türkische Hauptstadt und den Westen
des Landes versorgen. Dieses Gas kam bislang über die Ukraine, Moldau,
Rumänien und Bulgarien. Die Lieferungen über die Ukraine sind damit
überflüssig.
Auch für Erdoğan ist die Pipeline sowohl ökonomisch als auch politisch
wichtig. Sie stellt die Energieversorgung der wichtigsten türkischen
Industriezentren sicher, verringert den Preis für Gas und sichert der
Türkei darüber hinaus noch Transitgebühren für die Weiterleitung nach
Bulgarien und Serbien.
## Türkei als Transitland
Da die Türkei außerdem noch als Transitland für Gaspipelines aus
Aserbaidschan Richtung Europa dient, steigt ihre strategische Bedeutung.
„Wir werden auf den internationalen Märkten unverzichtbar sein“, sagte
Energieminister Fatih Dönmez stolz.
Es kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Bei der Ausbeutung von Gasvorkommen im
östlichen Mittelmeer liegt die Türkei im erbitterten Streit mit
Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten. Diese Länder wollen die
beträchtlichen Vorkommen unter dem Meer unter Ausschluss der Türkei
ausbeuten und haben sich dafür zu einer Gasförderallianz
zusammengeschlossen.
Erst vor wenigen Tagen haben der israelische Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu und sein griechischer Kollege Kyriakos Mitsotakis in Athen einen
Vertrag unterzeichnet, mit dem der Bau einer Pipeline von den israelischen
Gasfeldern nach Zypern und von dort weiter über Kreta bis zum griechischen
Festland besiegelt werden sollte.
## Gas preiswert nach Südosteuropa
Erdoğan versucht dieses Vorhaben zu verhindern, so lange wie die Türkei und
die türkischen Zyprioten nicht „angemessen beteiligt“ werden, wie er
mehrfach sagte. Die neue, auch Turk Stream genannte Leitung ist ein Mittel
dazu, weil sie Gas wesentlich preiswerter nach Südeuropa bringt, als das
durch die projektierte israelisch-griechische Pipeline möglich sein wird.
Außerdem hat Erdoğan Ende November letzten Jahres mit der libyschen
Regierung einen Seegrenzen-Vertrag über eine gemeinsame libysch-türkische
„Exklusive Wirtschaftszone“ quer durch das östliche Mittelmeer
abgeschlossen. Diese würde, wenn sie Bestand hat, den Bau der
israelisch-griechischen Pipeline nahezu unmöglich machen. Nicht zuletzt aus
diesen Gründen unterstützt Erdoğan die derzeitige schwache Regierung in
Libyen und hat damit begonnen, [3][Soldaten nach Tripolis zu schicken].
Außerdem hat der türkische Präsident den Israelis noch angeboten, ihr Gas
von Zypern aus mit einer relativ kurzen und preiswerten Leitung zur Türkei
an das vorhandene Gasnetz anzuschließen und so das israelische Gas schnell
und billig nach Europa zu transportieren. Angesichts dieser Vorteile von
Turkish Stream sind die angekündigten US-Sanktionen gegen die Pipeline für
Erdoğan zweitrangig.
8 Jan 2020
## LINKS
[1] /Plaene-zur-russisch-tuerkischen-Pipeline/!5343560
[2] /US-Handel-mit-Erdgas/!5607696
[3] /Tuerkei-entsendet-Militaer-nach-Libyen/!5653833
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Gas
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Schwerpunkt Syrien
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