# taz.de -- Putin in der Türkei: Regierungsabkommen unterzeichnet | |
> Streit und Beleidigungen scheinen vergessen. In Istanbul rücken Putin und | |
> Erdogan zusammen – zumindest in Energiefragen. | |
Bild: Wladimir Putin (l.) und Recep Tayyip Erdogan (r.) nach ihrem Treffen in I… | |
ISTANBUL dpa | Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist nicht | |
anzumerken, dass ihn sein russischer Gast Wladimir Putin vor nicht allzu | |
langer Zeit noch öffentlich beleidigt hat. Gerade einmal zwei Monate ist | |
die Aussöhnung zwischen Ankara und Moskau her – doch am Montag geleitet | |
Erdogan den Kremlchef zum Weltenergiekongress im Istanbuler Hilton-Hotel, | |
als wäre nichts geschehen. Das Signal: Der Streit ist beigelegt, nun geht | |
es voran. | |
Der aus Moskau eingeflogene Besucher zögert, ob er sich schon auf den roten | |
Sessel setzen soll oder noch nicht. Sicherheitshalber wartet er, bis der | |
Gastgeber Platz nimmt. Putin sitzt in der ersten Reihe zwischen Erdogan und | |
Präsident Ilham Aliyev aus Aserbaidschan. Ein heikler Platz: Russland ist | |
die Schutzmacht Armeniens, das mit seinem Nachbarn Aserbaidschan im Streit | |
liegt – welches wiederum ein enger Verbündeter der Türkei ist, wovon die | |
Türkei nicht mehr so viele hat. | |
Doch die drei Staatschefs lächeln und plaudern ungezwungen, in welcher | |
Sprache das geschieht, ist nicht zu hören. Bei dem Kongress geht es nicht | |
um historisch gewachsene Konflikte, sondern um lebensnotwendige Energie. | |
Russland und die Türkei unterzeichnen am Rande der Konferenz ein | |
Regierungsabkommen über ein ambitioniertes Projekt namens Turkish Stream, | |
mit dem Erdgas – unter Umgehung der Ukraine – nach Südeuropa geleitet | |
werden soll. Außerdem baut Russland im südtürkischen Akkuyu ein | |
Atomkraftwerk, von dem sich die Türkei Strom und Russland Deviseneinnahmen | |
erhofft. | |
Weil sich in der Türkei aber seit dem 15. Juli alles um die Niederschlagung | |
des Putsches dreht, geht es auch beim Weltenergiekongress erst einmal | |
darum. Zum Auftakt werden auf der Mega-Leinwand Bilder von Zivilisten | |
eingeblendet, die sich den Putschisten-Panzern entgegenstellen, dann eine | |
türkische Flagge mit Fotos der Opfer des Umsturzversuches. Die | |
Kongressteilnehmer erheben sich für eine Schweigeminute, um der Toten zu | |
gedenken. | |
Auslöser für die Krise zwischen Moskau und Ankara war der Abschuss eines | |
russischen Kampfjets im vergangenen November. Noch vor der Aussöhnung im | |
August punktete Putin bei Erdogan, weil er als einer der ersten anrief, um | |
den Putschversuch zu verurteilen. Putin sagt am Montag: „Ich gratuliere dem | |
türkischen Volk und Erdogan, dass in der Türkei Stabilität herrscht, und | |
ich wünsche Erfolg.“ Anders als westliche Politiker spart sich Putin Kritik | |
am Vorgehen der türkischen Führung, die mehr als 30.000 Menschen in | |
Untersuchungshaft gesteckt und gut 50.000 aus dem öffentlichen Dienst | |
entlassen hat. | |
Erdogan hat nach dem Umsturzversuch einen eklatanten Mangel an Solidarität | |
aus dem Westen beklagt. Den Konferenzteilnehmern ist er nun umso dankbarer, | |
dass sie drei Monate nach der Niederschlagung des Putsches nach Istanbul | |
gekommen sind. Damit „haben Sie unser Land, unser Volk und unsere | |
Demokratie unterstützt“, sagt Erdogan. Er hoffe, das sei denjenigen ein | |
Vorbild, die der Türkei „immer noch Lektionen in Menschenrechten und | |
Demokratie“ erteilen wollten. | |
## Bei Energiefragen einig | |
Die hochkarätig besetzte Tagung dient aus Sicht Ankaras auch dazu, der Welt | |
zu zeigen: Die Türkei ist weiterhin ein sicheres Reiseziel, in dem | |
Konferenzen abgehalten und Urlaube genossen werden können. Zwar reisen seit | |
dem Ende der Moskauer Sanktionen wieder russische Touristen in die Türkei, | |
doch diese Saison ist gelaufen. Westliche Urlauber bleiben sowieso aus, | |
insgesamt kamen im August fast 38 Prozent weniger Touristen als im | |
Vorjahresmonat. | |
Das ist vor allem der dramatischen Zunahme von Terroranschlägen geschuldet. | |
Auch da versuchen die Kongress-Veranstalter, Ängste der Teilnehmer aus | |
aller Welt zu zerstreuen. Ein ganzes Kapitel haben die Gastgeber auf der | |
Webseite der Konferenz dem Thema Sicherheit eingeräumt. „Massive | |
Polizeikräfte sind in zentralen Stellen in Istanbul eingesetzt“, heißt es | |
zur Beruhigung. | |
Erdogan und Putin halten ihre Ansprachen auf dem Kongress vor allem zum | |
Thema Energie, da gibt es zwischen den beiden keine Konflikte. Nicht einig | |
sind sich Erdogan und Putin weiterhin beim Syrien-Krieg, wie nach dem | |
bilateralen Treffen am Abend deutlich wird. Fragen sind nach den | |
Pressestatements der beiden Staatschefs nicht vorgesehen. Im Vordergrund | |
sollen die Vereinbarung zu Turkish Stream und die Normalisierung der | |
Beziehungen zwischen Ankara und Moskau stehen. | |
Auch beim Thema Syrien hat Ankara seit der Aussöhnung mit Moskau aber | |
zumindest an der rhetorischen Front deutlich abgerüstet. Zu Beginn der | |
Krise um den Kampfjet-Abschuss warf die türkische Regierung Russland noch | |
„ethnische Säuberungen“ in Syrien vor. Ankara zeigte sich außerdem | |
„verärgert“, und zwar ausdrücklich über die russischen Bombardements in | |
Syrien. Inzwischen richtet sich die Kritik nur noch vage an „das Regime in | |
Syrien und seine Unterstützer“. | |
Zum Schluss seiner Ansprache auf dem Kongress am Montag wirbt Erdogan um | |
gemeinsame Anstrengungen, in Syrien, dem Irak und dem gesamten Nahen Osten | |
endlich Frieden zu schaffen. „Wenn ein kleines Kind in Aleppo in den Himmel | |
blickt, sollte es von Hoffnung erfüllt sein“, sagt er. „Doch die Kinder, | |
die heute in Aleppo in den Himmel blicken, sehen nur die Bomben der | |
Helikopter und Flugzeuge, die auf sie zielen.“ Dass viele der todbringenden | |
Flugzeuge den roten Stern der russischen Luftwaffe tragen, lässt Erdogan | |
unerwähnt. | |
11 Oct 2016 | |
## TAGS | |
Wladimir Putin | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Syrien | |
Aleppo | |
Gas | |
Syrien Bürgerkrieg | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Putschversuch Türkei | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Energie | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien | |
Wladimir Putin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Einweihung von Turkish Stream: Pipeline als geopolitisches Mittel | |
Putin und Erdoğan nehmen eine neue russisch-türkische Gasleitung durchs | |
Schwarze Meer in Betrieb. Nicht nur ein ökonomisches Projekt. | |
Beratungen über Syrienkonflikt: Festnahmen nach Mord an Botschafter | |
Der Mord am russischen Botschafter überschattet die Gespräche zur Lage in | |
Syrien. Kurz nach dem Attentat fielen vor der US-Botschaft in Ankara | |
Schüsse. | |
Anschlag in türkischer Hauptstadt: Russischer Botschafter erschossen | |
Bei einer Ausstellungseröffnung in Ankara wird der russische Botschafter | |
niedergeschossen. Das könnte sich auf die Beratungen über Syrien auswirken. | |
Türken vor dem Europäischen Gerichtshof: Keine direkte Klage erlaubt | |
Wer von den Säuberungen nach dem Putschversuch in der Türkei betroffen ist, | |
darf sich nicht gleich an den Gerichtshof für Menschenrechte wenden. | |
Schwere Luftangriffe auf Aleppo: Das Regime bombardiert weiter | |
Die UN warnten zuletzt, dass Teile Aleppos bald komplett zerstört sein | |
könnten. Nach einer Pause flog das Regime wieder Luftangriffe, 12 Menschen | |
starben. | |
Pläne zur russisch-türkischen Pipeline: Die alte Freundschaft wiederbeleben | |
Die Turkish-Stream-Gaspipeline von Russland über die Türkei nach | |
Griechenland bekommt wohl eine neue Chance. Wen es freut, wen nicht. | |
Anschlag in syrischer Grenzstadt: Ruhe in Aleppo | |
Der Grenzübergang Atmah ist wichtig für die Versorgung der Rebellen. Er | |
wird immer wieder Ziel von Anschlägen. Aleppo erlebt erstmals seit langem | |
keine Luftangriffe. | |
Die Türkei und der Krieg in Syrien: Assad ist nur noch halb so schlimm | |
Ankara lotet neue Möglichkeiten der türkischen Syrienpolitik aus. Der | |
Konflikt mit den USA eskaliert, doch andere Verbündete warten bereits. | |
Die Turk-Stream-Pipeline: Wiederbelebte Ausweichlösung | |
Ein wichtiger Punkt der russisch-türkischen Vereinbarungen betrifft den | |
Energiebereich. Doch die Pipeline-Pläne wirken überholt. |