| # taz.de -- KMK-Präsidentin über das Bildungssystem: „Wir brauchen mehr Gem… | |
| > Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Stefanie Hubig will die | |
| > Vergleichbarkeit unter den Ländern stärken. Einheitliche Ferien lehnt sie | |
| > aber ab. | |
| Bild: Schweres Abitur? Hängt auch vom Bundesland ab | |
| taz: Frau Hubig, wenn es nach Ihnen ginge: Wann hätten SchülerInnen in | |
| Rheinland-Pfalz ab dem Jahr 2025 Sommerferien? | |
| Stefanie Hubig: Wenn es nach mir ginge, so wie bisher auch im sogenannten | |
| rollierenden System, in dem die einzelnen Länder mal früher, mal später | |
| dran sind. Ein zentraler Ferientermin für alle Bundesländer ist nicht die | |
| Lösung. Das rollierende System hat sich bewährt. Dabei sollten wir auch | |
| bleiben. | |
| Im November ist der [1][Streit über den Beginn der Schulferien] in den | |
| einzelnen Bundesländern eskaliert. Im Dezember dann ist der Nationale | |
| Bildungsrat, der die 16 Schulsysteme vergleichbarer machen soll, | |
| [2][krachend gescheitert]. Glauben Sie, dass die KultusministerInnen unter | |
| Ihrem Vorsitz zur Vernunft kommen? | |
| Ich glaube, wir haben uns schon bei der Dezember-Sitzung zusammengerauft. | |
| Wir haben den Beschluss gefasst, dass wir einen Bildungsrat beziehungsweise | |
| einen wissenschaftlichen Beirat haben wollen. Ein Gremium, in dem die | |
| Länder die Hoheit haben. Und wir wollen eine Vereinbarung für mehr zentrale | |
| Elemente und damit mehr Vergleichbarkeit unter den Ländern erzielen. Da | |
| müssen wir jetzt konkret werden. | |
| Mit Verlaub: Der Bildungsrat ist doch dramatisch geschwächt worden, weil | |
| die Länder sich weder vom Bund noch von der Wissenschaft dreinreden lassen | |
| wollen. Warum schließen sich Föderalismus und vergleichbare | |
| Bildungsstandards aus? | |
| Das neue Gremium würde jetzt zwar etwas anders aussehen, im Kern verfolgt | |
| der neue Bildungsrat aber dieselben Ziele. Wir brauchen – und das sage ich | |
| als erklärte Freundin des Föderalismus – ein Stück weit mehr Gemeinsamkeit | |
| und wir können auch voneinander lernen. Wir müssen das Rad nicht 16-mal neu | |
| erfinden. Es ist also gut, wenn wir ein Gremium etablieren, das uns als | |
| Länder einheitlich berät und unterstützt. Am Ende kann dann jedes Land | |
| entscheiden, ob es den Empfehlungen folgt – oder eben nicht. Übrigens wird | |
| der Bund selbstverständlich überall dort beteiligt, wo es um seine | |
| Zuständigkeiten geht. Das ist gar nicht so weit entfernt von dem, was | |
| ursprünglich für den Nationalen Bildungsrat geplant war. | |
| Ähnliche Absichten haben die Länder auch bei den [3][gemeinsamen | |
| Abiturstandards] geäußert. In der Praxis war der Wunsch nach | |
| Vergleichbarkeit dann nicht mehr sonderlich ausgeprägt … | |
| Wir haben beim Abitur heute zentrale Elemente in Mathe, Deutsch, Englisch | |
| und Französisch. Gerade arbeiten wir an weiteren Abitur-Elementen in den | |
| Naturwissenschaften, die wir dieses Jahr veröffentlichen wollen. Und wir | |
| steuern jetzt noch mal nach bei der Frage, wie viel Spielraum es etwa bei | |
| der Ausgestaltung der Prüfungssituation gibt. Dass wir gemeinsame Elemente | |
| stärken, ist der richtige Weg. Und die Arbeit der KMK zeigt: Das geht sehr | |
| wohl auch im Föderalismus. | |
| Eine persönliche Frage: Ärgern Sie sich eigentlich über den Ausstieg | |
| Bayerns und Baden-Württembergs aus dem Bildungsrat. Als Juristin müssten | |
| Sie doch sagen: Pacta sunt servanda … | |
| Ich ärgere mich nicht so schnell. Einen Koalitionsvertrag zu schließen, nur | |
| um dann aus einzelnen Beschlüssen wieder auszusteigen, halte ich aber nicht | |
| für klug. Trotzdem finde ich, dass wir jetzt einen guten Beschluss | |
| hinbekommen haben. Ich bin optimistisch, dass wir ihn während meiner | |
| Amtszeit auch umsetzen. | |
| Am Donnerstag übernehmen Sie den Vorsitz der Kultusministerkonferenz (KMK). | |
| Als Schwerpunkt haben Sie „Europa (er)leben und gestalten“ gewählt. Warum? | |
| Rheinland-Pfalz liegt mitten in Europa. Für unsere Schülerinnen und Schüler | |
| ist es völlig selbstverständlich, ohne Grenzkontrollen nach Belgien, | |
| Luxemburg oder Frankreich zu fahren. Anderseits gerät der eigentliche Wert | |
| unseres Europas manchmal zu sehr aus dem Blick. Dass wir seit über 70 | |
| Jahren in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben, ist eben keine | |
| Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses. In | |
| Zeiten, in denen Extremismus und Nationalismus wieder auf dem Vormarsch | |
| sind, braucht es Bildung, Demokratiebildung. | |
| Das heißt? | |
| Wir müssen den Wert Europas erlebbar machen. Das geschieht zum Beispiel | |
| über Begegnungen, die Schülerinnen und Schüler in Frankreich, in Polen und | |
| in allen anderen Ländern Europas erfahren. | |
| Ihr Vorvorgänger als KMK-Präsident, Helmut Holter aus Thüringen, hat dafür | |
| geworben, mehr Schüleraustausche zwischen Ost- und Westdeutschland | |
| aufzubauen. Finden Sie es problematisch, wenn SchülerInnen aus | |
| Rheinland-Pfalz Frankreich und Luxemburg besser kennen als Sachsen und | |
| Schleswig-Holstein? | |
| Das eine schließt das andere ja nicht aus. Ich bin in Hessen geboren, in | |
| Nordrhein-Westfalen und Bayern zur Schule gegangen, war anschließend in | |
| Berlin, oft in Sachsen und lebe jetzt in Rheinland-Pfalz. Die regionalen | |
| Identitäten und Unterschiede sind groß – und zwar nicht nur zwischen ost- | |
| und westdeutschen Bundesländern. Sich kennenzulernen hilft, sich | |
| gegenseitig besser zu verstehen – innerhalb Deutschlands und darüber | |
| hinaus. | |
| Sie haben auch angekündigt, SchülerInnen die Demokratie näherbringen zu | |
| wollen. In Rheinland-Pfalz läuft dazu bereits ein Modellprojekt mit 40 | |
| Schulen. Was verbirgt sich dahinter? | |
| Vor einem Jahr habe ich in einer Regierungserklärung zur Demokratiebildung | |
| die Schwerpunkte vorgestellt: Erinnerungskultur an den Schulen stärken, | |
| Demokratie lernen und leben und Europa für junge Menschen erfahrbar machen. | |
| Zum Beispiel sollen unsere Schülerinnen und Schüler zumindest einmal in | |
| ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte besuchen oder in Kontakt mit Zeitzeugen | |
| kommen. Für Referendarinnen und Referendare haben wir das verpflichtend | |
| gemacht. | |
| Gerade sind wir dabei, mehr Partizipationsrechte für Schüler in das | |
| Schulgesetz zu schreiben und den Sozialkundeunterricht auszubauen. Zum | |
| Thema Europa habe ich ja gerade schon was gesagt. Bei den Modellschulen für | |
| Partizipation und Demokratie finde ich den schulartübergreifenden Ansatz | |
| besonders wichtig. Es sind nicht nur Gymnasien dabei, sondern auch | |
| Grundschulen, Förderschulen, Realschulen Plus. | |
| Blicken wir kurz auf das vergangene Jahr: In den Schlagzeilen waren vor | |
| allem die mangelnden Deutschkenntnisse von Grundschulkindern und die | |
| [4][Ergebnisse der Pisa-Studie], die Deutschland nach wie vor eine hohe | |
| soziale Bildungsungerechtigkeit attestieren. Sehen Sie einen Zusammenhang? | |
| Ich glaube, uns allen ist bewusst, dass Sprache die zentrale Rolle für den | |
| Bildungserfolg spielt. Im Bildungsbereich hängt aber oft vieles mit vielem | |
| zusammen. Was uns die Pisa-Studie noch mal ganz klar vor Augen geführt hat, | |
| ist, dass wir diejenigen, die zu Hause im Elternhaus nicht genügend | |
| gefördert werden oder nicht mit den gleichen Startchancen ausgestattet | |
| sind, besonders in den Blick nehmen müssen. Und zwar schon vor der | |
| Grundschule. | |
| Momentan sind allein [5][die Sprachtests so unterschiedlich], dass die | |
| Länder von ganz unterschiedlichen Befunden ausgehen … | |
| Sprache und Bildungserfolg, dieses Thema möchte ich auf jeden Fall in | |
| meiner Amtszeit aufgreifen. Hier sind alle Länder gefragt. | |
| Die zum Teil gegensätzliche Positionen vertreten wie beim Thema längeres | |
| gemeinsames Lernen. Reden Sie auch darüber? | |
| Mein Eindruck ist, dass in den Ländern schon genügend über Schulstrukturen | |
| gesprochen wird. Ganz wichtig ist vor allem die Durchlässigkeit, dass | |
| Kindern und Jugendlichen alle Wege offenstehen und diese auch offengehalten | |
| werden. | |
| Welche Bildungsthemen haben für Sie höchste Dringlichkeit? | |
| Vor dem Hintergrund „Chancen“ stehen der Ausbau der Ganztagsbetreuung und | |
| die Verbesserung der Kita-Qualität ganz oben auf der Agenda. Und die | |
| Umsetzung des DigitalPakts in den Ländern ist dringend. Der Zugang zu | |
| digitaler Bildung entscheidet zunehmend über Chancen. | |
| NaN NaN | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Pauli | |
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