# taz.de -- Änderung des Ferienbeginns in Bayern: Mir san Sommer | |
> Früher in die Ferien? Markus Söder will die Ferienzeiten bewahren. Das | |
> ist identitätspolitisch clever, preußisches Rumgenöle wirkt da eher | |
> kontraproduktiv. | |
Bild: Am Starnberger im September weiterhin ohne Preußen – so lautet der bay… | |
„Das bayerische Abitur bleibt bayerisch“, [1][hat Bayerns Ministerpräsident | |
Söder den Ausstieg Bayerns und Baden-Württembergs aus dem geplanten | |
nationalen Bildungsrat kommentiert] – „übrigens genauso, wie die | |
Ferienzeiten bleiben, wir wollen auch die nicht angleichen.“ | |
Das sind gleich zwei inhaltliche Nullaussagen. Denn dass ein bayerisches | |
Abitur einen im Leben irgendwie weiter brächte als ein beliebiges anderes, | |
ist genauso Unsinn – ich kann hier mitreden – wie das trotzige Bestehen auf | |
dem späten Sommerferientermin in Zeiten des Klimawandels; [2][der ja | |
insbesondere den Juli auch in Nürnberg oder in München zu einem Monat | |
macht], in dem sinnvoller Unterricht in den zumeist nicht klimatisierten | |
Lehranstalten kaum mehr möglich ist. | |
Politisch, also identitätspolitisch hingegen sind beide Aussagen | |
wirkmächtig. Ich brauchte mindestens zehn Jahre, um mich daran zu gewöhnen, | |
dass die Sommerferien in nördlichen Gefilden nicht mehr oder weniger am 1. | |
August beginnen und am 15. September enden. Es erschien mir grausam, ein | |
Kind, wie in diesem Jahr in Berlin, am 5. August nicht in die Sonne, | |
sondern in die Schule zu schicken. | |
Logisch lässt sich das nicht begründen. Dem Kind ist es auch wurscht. | |
Pfingstferien, die als Argument für den späten süddeutschen | |
Sommerferienbeginn inzwischen vorgeschoben werden, sind etwas sehr Schönes | |
– insbesondere weil da oft noch Vorsaisonpreise gelten und keine Preußen am | |
Gardasee rumhängen. [3][Aber auch sie taugen letztlich nicht zur | |
Rechtfertigung der bajuwarischen Reservatrechte]. Und wer im Sommer und | |
damit eben auch im September schlicht kein Geld übrig hat, um in den Süden | |
zu fahren, der kann in Bayern die letzten beiden Ferienwochen oft genug | |
damit verbringen, in einen zähen Landregen zu schauen. | |
## Das ganze folkloristische Repertoire | |
Nehmen wir mal eine andere Perspektive ein. [4][In seinem leider nicht auf | |
Deutsch vorliegenden Reisebuch „La leggenda dei monti naviganti“ (etwa „D… | |
Legende der reisenden Berge“, 2007)] erkundet der italienische Journalist | |
Paolo Rumiz die Alpen und macht dabei auch einen Abstecher nach München. | |
Seine Gesprächspartner klären ihn darüber auf, dass die CSU in Bayern für | |
immer regieren werde, weil letztlich niemand ein anderes Bayern wolle, auch | |
die CSU-Gegner nicht. Die Gleichsetzung von Staat, Partei und Heimat | |
überlebt jeden CSU-Skandal und konnte bislang nur von der CSU selbst | |
beziehungsweise von noch rechteren Gruppierungen – mit noch mehr „Mir san | |
mir“ – herausgefordert werden: wie aktuell von den „Freien Wählern“. | |
Zum folkloristischen Repertoire gehört auch genau der unverschämte Tonfall | |
Söders, wir gleichen nichts an, basta, aus! Dass jemand „ein Hund“ sei, | |
erfährt Rumiz, sei das größte Kompliment, das man einem bayerischen | |
Politiker machen könne. Im Strudel der Globalisierung sind es für den | |
tendenziell immer mehr überforderten und ängstlicheren Bürger Symbole wie | |
die Tracht, der Dialekt und eben die Ferientermine, die gar nicht hoch | |
genug einzuschätzen seien. | |
„Die Linke hat das nie verstanden, sie hat es versäumt, eigene Symbole zu | |
schaffen“, erklärt ein Mitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU, klar) | |
dem Gast aus dem Süden, ja noch viel mehr: „Die Symbole sind der | |
eigentliche Raum, wo Politik überhaupt noch möglich ist.“ | |
## Grattler und Grüne | |
Und solche offenen politischen Räume sind natürlich viel wichtiger als ein | |
paar Tage verstopfte bayerische Autobahnen, mit denen nun der über Söder | |
erboste Hamburger Bildungssenator Ties Rabe (SPD, klar) droht, weil er auch | |
mal spät in die Ferien möchte. Wenn er damit allerdings nicht durchkommt, | |
dann ist er der identitätspolitischen Strategie der CSU gleich doppelt auf | |
den Leim gegangen: Erst typisch norddeutsch rumnölen und dann auch noch | |
nichts auf die Reihe kriegen. Auf Bairisch nennt man so jemanden einen | |
„Grattler“. | |
Und doch bleibt nicht alles, wie es war: Die Grünen in Bayern, die Söder | |
nicht umsonst zum „Hauptkonkurrenten um Platz eins“ geadelt hat, | |
distanzieren sich auf taz-Anfrage vom vermeintlichen Bayerntum: Söders Nein | |
zu Bildungsrat sowie zu einem „unter bildungs-, tourismus- und | |
verkehrspolitischen Gesichtspunkten optimierten Beginn der Sommerferien“ | |
sei „inhaltlich nicht zu begründen, sondern alleine Ausdruck von Schwäche�… | |
Gewählt wird in Bayern voraussichtlich wieder 2023 – nach den Sommerferien. | |
27 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/bildung/ferientermine-sommerferien-bayern-1.469… | |
[2] https://www.nuernberg.de/internet/klimaschutz/gemesseneklimaveraenderung.ht… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Reservatrechte_(Deutsches_Kaiserreich) | |
[4] https://books.google.de/books?id=g1BJO_xQXAgC&pg=PA97&lpg=PA97&… | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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