# taz.de -- Künstlerin über Stadtplanung von unten: „Wir knüpfen an das wa… | |
> Die Künstlerin Margit Czenki realisiert seit den 1980er Jahren | |
> Bürgerbeteiligungsprojekte auf St. Pauli. Ein Gespräch über demokratische | |
> Stadtplanung. | |
Bild: Andere Konzepte statt nur Protest: Margit Czenki vor der Planbude auf der… | |
taz: Frau Czenki, kann man Kultur eigentlich planen? | |
Margit Czenki: Natürlich, warum fragen Sie? | |
Weil es so schwer vorstellbar ist, was Sie als Dozentin im Fachbereich | |
Cultural Planning an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen genau | |
lehren. | |
Im Moment lehre ich das zwar grad' nicht, aber grundsätzlich geht es dabei | |
gar nicht um die Planung von Kultur, sondern mit den Mitteln der Kultur. | |
Das kommt aus einer kanadischen Tradition der Analyse örtlicher | |
Begebenheiten und Bewohner, um daraus Beteiligungs-, am Ende also auch | |
Planungsverfahren zu entwickeln. Damit liegt das Konzept nahe an dem, was | |
wir hier auf St. Pauli in der Planbude machen. | |
Also mit allen statt von oben herab. | |
Genau. Wie schon bei unserem Bürgerbeteiligungsprojekt Park Fiction | |
verbinden wir aktuelle Politik mit Kunst und Kultur. So kann man Leute ganz | |
anders einbeziehen als durch Zahlen und Daten, die Menschen eher | |
deaktivieren als motivieren. Dieses Konzept will explizit die Erfahrungen | |
derer einbeziehen, die sonst nie gefragt werden. Wir knüpfen also auch in | |
St. Pauli an das wahre Leben an, ohne damit bloß unsere eigenen Wünsche zu | |
verwirklichen. | |
Aber was ist Ihre persönliche Motivation, die Wünsche anderer zu | |
verwirklichen? | |
Eine demokratische. Denn obwohl Bürgerbeteiligung sogar im Gesetz steht, | |
ist Stadtplanung zurzeit lächerlich undemokratisch. In Hamburg beschränkt | |
sie sich in der Regel auf willkürlich gestreute Informationen durch den | |
Investor. Dem wollen wir das Wissen der vielen entgegensetzen, schon aus | |
persönlicher Neugier. | |
Ihr Ansatz ist also eher demokratietheoretisch als kulturell? | |
Da will ich beides nicht gegeneinander werten. Wir kommen ja alle aus ganz | |
verschiedenen Zusammenhängen – zum Beispiel aus der sozialen Arbeit, dann | |
eine Architektin, ich als Künstlerin, aber immer als Team. | |
Ist Ihr Antrieb abstrakt oder hat er auch mit Ihrer Nähe als Nachbarin zu | |
tun, ist also doch privater Natur? | |
Natürlich spielt der Raum bei dem, was man tut, immer eine Rolle. Aber | |
unabhängig davon habe ich noch nie anders gearbeitet als in Projekten mit | |
künstlerischem Ansatz, die oftmals weit weg von meiner Nachbarschaft | |
stattfanden. | |
Sind Sie, was Ihr Hang zum Widerstand gegen herrschende Strukturen | |
betrifft, familiär vorgeprägt? | |
Einer meiner Großväter war Bildhauer in Freiburg, was meine Mutter wohl | |
wegen des Krieges nicht fortführen konnte. Ob man das schon familiär | |
vorgeprägt nennen kann, weiß ich gar nicht. | |
Wer ums Jahr 1968 herum gesellschaftlich derart aktiv wurde wie Sie, kam | |
doch meist entweder aus einer konservativen Familie, gegen die man | |
rebelliert, oder aus einer progressiven, die es vorgelebt hat. | |
Mag sein. Als ich 1969 in München einen Kinderladen eröffnet habe, geschah | |
das allerdings weniger aus politischer Überzeugung als aus der Not heraus. | |
Mein Sohn … | |
Ted Gaier von den Goldenen Zitronen … | |
… ging damals in den Kindergarten, während ich noch studiert habe. Und Ted | |
hat eine Woche lang wirklich jeden Tag wie am Spieß geschrien, weil alles | |
darin fast militärisch geregelt war: totale Dressur, Untertanenproduktion. | |
Da blieb mir – auch als gelernte Heilpädagogin – fast nichts anderes übri… | |
als mit anderen berufstätigen Müttern den Kinderladen zu gründen. Mit | |
Politik, Kunst, Emanzipation, gar Feminismus hatte das also weit weniger zu | |
tun als mit Pragmatismus. | |
Aber schwangen Politik, Kunst, Emanzipation und Feminismus dennoch schon | |
bei Ihnen mit in jener Zeit? | |
Wenn man wie ich in Schule und Ausbildung fast immer von Nonnen umgeben | |
ist, eckt man natürlich irgendwann an. Dass in einem Aufsatz behauptet | |
wurde, Jesus sei von den Juden ans Kreuz genagelt worden, ging mir | |
schließlich schon lang, bevor ich nach Hamburg gekommen bin, gegen den | |
Strich. | |
Wann genau sind Sie denn hergezogen? | |
Ich glaube, 1984. | |
Weil hier ein freierer Wind als in München wehte? | |
Auf jeden Fall. Hinzu kam, dass das, was später Gentrifizierung genannt | |
wurde, in München schon Ende der Siebziger begonnen hatte, als all die | |
schönen Jugendstilwohnungen in teure Appartements verwandelt und all die | |
alten Mieter rausgeschmissen wurden. Wir auch. Plötzlich gab es keine | |
Treffpunkte mehr für uns, da hatte ich so die Schnauze voll, dass ich mir | |
die am weitesten entfernte Großstadt in Deutschland gesucht habe – denn | |
woanders als in Großstädten drehe ich durch. Das Ergebnis war Hamburg. | |
Klingt ähnlich pragmatisch wie der Kinderladen. | |
Hatte am Ende aber auch damit zu tun, dass ich als Regieassistentin von | |
Christel Buschmann zuvor mal in einem Abbruchhaus in der | |
Bernhard-Nocht-Straße gedreht hatte. Witzigerweise lernte ich damals in St. | |
Georg ein paar Prostituierte kennen, die dieses Haus kaufen wollten, um | |
daraus einen Puff zu machen. Das hat zwar nicht geklappt, aber als ich nach | |
Hamburg kam, war es frisch renoviert und ich konnte dort einziehen. Ich | |
lebe immer noch im vierten Stock. | |
Wobei St. Pauli Mitte der Achtzigerjahre noch ein heruntergekommener | |
Brennpunkt zwischen Aids, Drogen und Bandenkrieg war. | |
Andererseits wurde damals aber ja auch gerade die Hafenstraße besetzt. | |
Hat sich die Geschichte für Sie als Flüchtling der Münchener | |
Gentrifizierung gewissermaßen wiederholt und Sie vom Flüchtling zur | |
Kämpferin gemacht? | |
Schon, aber das waren bei aller Solidarität Kämpfe derer, die darin gewohnt | |
haben, und zwar sehr handfeste. Ich benutze den Begriff des Kampfes nicht | |
so gerne; der klingt mir viel zu heroisch, martialisch. Militärisch kann | |
man eh nie gewinnen. Aber in der Hafenstraße haben wir damals wirklich | |
wunderschöne Barrikaden nach alten Vorbildern gebaut. | |
Pariser Kommune? | |
Nee, spanischer Bürgerkrieg, auch sehr heroisch, auch sehr martialisch, | |
aber eben auch sehr eindrucksvoll. Gemeinsam mit dem Nato-Stacheldraht | |
sorgte das dann für die wichtige Botschaft nach außen, wie übel die | |
Situation für die Besetzer war. Abseits dieser symbolischen Kraft ging es | |
allen, besonders den Bewohnern, aber irgendwann auch richtig auf den | |
Wecker, zum Einkaufen ständig über Sandsäcke zu klettern. Deshalb lag mir | |
die Arbeit am Park Fiction viel mehr. | |
Warum? | |
Weil der Protest gegen die Gentrifzierung da mit einem sehr konkreten | |
Planungsprozess, was wir uns anstelle dessen genau wünschen, vonstatten | |
ging. Wir wollten die Kultur militarisierter Auseinandersetzungen um | |
Freiräume, in diesem Fall eines kleinen Areals an der Hafenkante, ein wenig | |
aufbrechen. | |
Und durch eine Diskurskultur ersetzen? | |
Zum Beispiel. Andere Wege, andere Konzepte statt nur Protest. Ohne zu | |
behaupten, Militanz sei grundsätzlich Mist, wollten wir ein neues | |
Beteiligungskonzept jenseits brennender Barrikaden. Ehrlich – ich scheue | |
keinen Kampf, aber dieser Ansatz war mir lieber. | |
Sind Park Fiction oder das Paloma-Viertel an der Reeperbahn demnach vor | |
allem Referenzobjekte eines neuen Weges von Bürgerbeteiligung und | |
Widerstand oder Kernbestand der lokalen Struktur? | |
Mittlerweile beides, aber auch das sollte man nicht gegeneinander werten. | |
Natürlich dient Park Fiction noch immer als gelungenes Referenzobjekt einer | |
Stadtteilplanung für alle – zugleich jedoch ist es ein lebendiger, | |
benutzbarer, beliebter Ort, der den Menschen vor Ort wie die Häuser der | |
Hafenstraße tagtäglich zeigt: Hey, wir können auch mal gewinnen! | |
Was man vom Paloma-Viertel momentan ja offenbar nicht behaupten kann, oder | |
wie ist da der neueste Stand in den Verhandlungen mit dem Investor | |
Bayerische Hausbau? | |
Na ja, im Wesentlichen wird wohl alles so gebaut, wie mit ihr vereinbart. | |
Die Frage ist nur, ob es öffentlich auch so wie ursprünglich vereinbart | |
benutzt werden kann und vor allem: zu welchem Preis. Weil wir da gerade in | |
Verhandlungen mit dem Investor und der Stadt stehen, dürfen wir darüber | |
allerdings nicht reden. | |
Wenn das Paloma-Viertel irgendwann auch nur annähernd so steht, wie es in | |
der Planbude erkämpft wurde – sind Sie dann ein Typ, der sofort weiterzieht | |
auf der Suche nach dem nächsten, wenn’s sein muss ähnlich hart umkämpften | |
Projekt? | |
Was heißt „dann“ – wir haben schon längst das nächste Projekt. | |
Hier in der Nachbarschaft? | |
Nein, auf einem viel größeren Gelände in Süddeutschland, und anders, als | |
immer behauptet wird, auch nicht in einer Großstadt, wo solche | |
Projektbeteiligungen ja angeblich nur möglich sind. | |
Sie wandern also weiter? | |
Nein, nein. Ich bleibe hier, bin aber öfter dort. Das geht allerdings auch | |
schon seit drei Jahren so. Wir bringen unser neu gewonnenes Wissen woanders | |
mit ein, zur Not auch in andere Länder, aber ich will nirgendwo anders | |
wohnen als hier. | |
Und wo könnte hier die nächste Planbude entstehen? | |
Ach, fast überall. Wir liegen jetzt nicht auf der Lauer nach neuen | |
Einsatzorten, aber die Planbude ist Teil von „Recht auf Stadt“, da ist | |
dauernd irgendwas am Brennen. Der nächste Schritt wäre also, dieses Recht | |
auch in Gesetzesform zu bringen. Wir wollen ja nicht nur punktuell, sondern | |
politisch was ändern. | |
Das ginge dann noch tiefer in die Mühlen von Verwaltungsrecht und | |
Bürokratie. Trauen Sie sich das zu? | |
Also wenn ich mir ansehe, wie fürchterlich die Verhandlungen mit der | |
Bayerischen Hausbau gerade sind, stelle ich mir das geradezu erholsam vor. | |
Aber stimmt schon: Schlimmer kann’s immer kommen. | |
6 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Jan Freitag | |
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