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# taz.de -- Digitale Geschäftsmodelle: Ein Netflix für Journalismus
> Es gibt Netflix, Spotify, aber kein vergleichbares Portal für
> Zeitungsartikel. Die Branche sucht verzweifelt nach Modellen. Wo liegt
> das Problem?
Bild: Genauso, aber in digital
Der Mann, der den Journalismus für immer verändern will, hat Journalisten
offenbar nicht viel zu sagen. Wer sich mit Geschäftsführer Alexander
Klöpping über sein Unternehmen Blendle und dessen Zukunftspläne unterhalten
möchte, erhält keine Antwort – auch nach mehreren Wochen nicht.
Dabei galt das niederländische Start-up nach seiner Gründung 2014 als
Liebling und Hoffnungsträger der Medienbranche. Erstmals konnten
Leser*innen einzelne Artikel verschiedener Zeitungen und Magazine auf einer
gemeinsamen Plattform kaufen. Eine kleine Revolution im Verlagsgeschäft, wo
zuvor auch im digitalen Raum meist an der Einheit der täglichen
Zeitungsausgabe festgehalten worden war. Blendle dagegen orientierte sich
an Diensten wie [1][Apples Musikplattform iTunes] und war damit
vermeintlich näher dran an den Zielgruppen im Netz. 2015 ging der
Online-Kiosk auch in Deutschland an den Start.
Vier Jahre später ist die Aufbruchstimmung dahin. Im Juni 2019 verkündete
Klöpping auf Twitter: Blendle wolle in den Niederlanden künftig keine
Einzelartikel mehr anbieten. Man mache damit schlicht keinen Gewinn.
Stattdessen wolle man auf ein Flatrate-Abo-Modell setzen, wie man es etwa
für Filme und Serien von Netflix kennt. „Und wenn das enttäuschend ist,
werden wir es uns noch einmal überlegen“, wird der Gründer zitiert.
Überzeugung hört sich anders an.
Die Ratlosigkeit des Blendle-Gründers steht stellvertretend für die
Verunsicherung einer ganzen Branche, die immer noch nicht endgültig geklärt
hat, wie man genug Geld mit Journalismus im Netz verdient. Denn die Zahlen
sind deprimierend: Laut einer Untersuchung des Reuters Institute haben im
vergangenen Jahr nur acht Prozent der Nutzer*innen in Deutschland für ein
digitales journalistisches Angebot bezahlt.
## Bequem und flexibel
Nicht nur Blendle-Chef Klöpping ist deshalb offenbar der Ansicht, dass man
nun darauf hören sollte, was eigentlich den Leser*innen selbst als ideales
Nutzungskonzept vorschwebt. Und da scheint die Antwort eindeutig: Her mit
dem „Netflix des Journalismus!“ Zuletzt bestätigte das eine Studie der
Nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien: Wenn die Deutschen
überhaupt für Journalismus Geld ausgeben, dann wollen sie dies genauso
bequem und flexibel tun, wie sie es mittlerweile vom Konsum anderer Medien
gewohnt sind. Viel mehr als zehn Euro soll es also bitte nicht kosten, dazu
problemlos monatlich kündbar sein und vor allem mit Inhalten, die von
mehreren Anbietern stammen.
Überraschend ist das nicht: [2][Die großen Streaming-Dienste] haben mit
ihrer prägnanten Preispolitik und Nutzerfreundlichkeit Standards gesetzt,
an denen sich andere Mediensparten jetzt messen lassen müssen –
gerechtfertigt oder nicht. Entsprechend haben sich auch in Deutschland
mittlerweile mehrere Unternehmen mit einem ähnlichen Ansatz auf diesen
Markt gewagt. Online-Kioske wie Readly, Read-it oder Pressreader bieten den
Nutzer*innen für monatliche Abo-Preise einen unbegrenzten Zugriff auf das
jeweilige – sehr unterschiedliche – Sortiment. Die Verlage werden anteilig
an den Erlösen beteiligt.
Und die Idee hat durchaus noch Hype-Potenzial. Das österreichische Start-up
Newsadoo etwa wird auch international als das neue heiße Ding gehandelt.
Die Linzer nennen sich selbstbewusst „Spotify für News“ und wollen der
Dominanz US-amerikanischer Konzerne eine explizit europäische Lösung
entgegensetzen.
## Lohnt sich das?
Aber bei Gesprächen mit Verlagsvertretern kommt wenig Zuversicht auf. Die
Erlöse seien zwar ein nettes Zubrot zum Hauptgeschäft, insgesamt seien die
Plattformen aber weit davon entfernt, eine ernsthafte vertriebliche
Alternative zu werden, heißt es oft. „Wir erzielen mit der Rheinischen Post
einen fünfstelligen Jahresumsatz bei Pressreader“, sagt Georgios
Athanassakis, Vertriebsleiter des Düsseldorfer Verlags. „Das fällt aber bei
unserem Gesamtumsatz im hohen Millionenbereich kaum ins Gewicht.“
Für Regionalzeitungen scheinen sich die Plattformen ohnehin kaum zu lohnen
– ihr Leserpotenzial ist zu begrenzt. Besser läuft es dagegen für Magazine
und Zeitschriften, die mit längeren Lesegeschichten und Nischenthemen
offenbar einen größeren Mehrwert bieten. Aber auch hier geht es meist um
Jahreserlöse im unteren sechsstelligen Bereich.
Aufhorchen ließ im November, dass sich die Verleger-Lobby erfolgreich dafür
eingesetzt hatte, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent
explizit auch auf Online-Kioske anzuwenden. Beim Bundesverband Deutscher
Zeitungsverleger (BDZV) und dem Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger
(VDZ) heißt es dazu aber nur, es sei schlicht darum gegangen, der „Realität
der digitalen Presse“ Rechnung zu tragen. Die Online-Kioske seien nur
einer von vielen Erlöswegen, mit denen Verlage derzeit experimentieren
würden. Auch hier gilt: Euphorie klingt anders.
Am ambitioniertesten ist derzeit Readly auf dem europäischen
Plattform-Markt unterwegs. Das schwedische Unternehmen kooperiert nach
eigenen Angaben weltweit mit 800 Medienmarken, im deutschsprachigen Raum
sind es rund 370 – darunter etwa Sport Bild, Spektrum der Wissenschaft oder
Rolling Stone. Nutzerzahlen nennt Readly nicht, im dritten Quartal 2019
habe es aber 9,5 Millionen „bezahlt gelesene Ausgaben“ gegeben. Die
Investoren überzeugt das: Zuletzt sicherte man sich 15 Millionen Euro an
frischem Kapital.
Aber reicht es auch, um die Verlage zu überzeugen? Readly-Deutschland-Chef
Jan Blender weist darauf hin, dass sich seine Plattform nicht nur aus
finanziellen Gründen lohne: „Die Verlage können die gelesenen Ausgaben bei
der Auflagenmeldung angeben, was sich positiv auf die Werbeeinnahmen
auswirken kann. Zudem liefern wir den Redaktionen sehr detaillierte Daten
zum Leseverhalten.“
## Die Skepsis bleibt
Bei Readly fehlen allerdings alle wichtigen überregionalen Zeitungen.
Hinter dieser Skepsis von Titeln wie Süddeutscher Zeitung, Zeit oder FAZ
steckt ein grundlegendes Dilemma, das den Erfolg einer vielbeschworenen
Journalismus-Flatrate auch langfristig verhindern könnte. Denn damit eine
Plattform nennenswerte Einnahmen abwerfen kann, müsste sie zu einem
Branchenriesen werden. Das wiederum wollen die Verlage auf jeden Fall
verhindern.
Denn spätestens seit klar ist, wie blauäugig man sich in den vergangenen
Jahren von Facebook als Vertriebsplattform und Reichweitengenerator
abhängig gemacht hat, ist man vorsichtiger geworden. Gerade die
traditionsreichen Häuser haben erkannt, dass ihre Markenidentität im
einheitlichen Layout des blau-weißen News-Feeds verschwimmt – Ähnliches
droht, wenn die Inhalte im Umfeld eines Online-Kiosks gelesen werden. Und
obwohl die Abonnent*innen dort für Journalismus zahlen, wären sie für die
Verlage nicht mehr direkt als Kund*innen ansprechbar. „Wer sich nur auf
externe Plattformen verlässt, ist verloren“, sagt Holger Kanksy vom BDZV.
Also versuchen viele Häuser ihre digitalen Abo-Angebote selbst den
Nutzerwünschen anzupassen. Mit den Kampfpreisen der Streaming-Dienste
können sie zwar nicht mithalten, aber der Plan ist klar: Nach Vorbild der
neuen Konkurrenten will man selbst zu einer „love brand“, also einer
geliebten Marke werden. Und was im Kampf um die Liebe der zahlenden
Leser*innen keiner gebrauchen kann, ist eine weitere Dreiecksbeziehung mit
einem marktmächtigen Unternehmen.
Ob dieses neue Selbstbewusstsein auch dann noch Bestand hat, sollte
US-Konzern Apple seine App News+ irgendwann auch in Deutschland auf den
Markt bringen? Für 9,99 Dollar im Monat liefert diese derzeit Nutzer*innen
in mehreren englischsprachigen Ländern eine beachtliche Anzahl an Titeln.
Besonders verlockend ist dabei, dass der Tech-Gigant bereits auf einen
Schlag alle Eigenschaften mitbrächte, von denen deutsche Medien derzeit
träumen: strahlende Markenkraft, emotionale Kundenbindung und eine enorme
Reichweite. Unklar also, ob die Verlage da nicht doch wieder schwach
würden.
12 Jan 2020
## LINKS
[1] /Die-Zehnerjahre-in-der-Kultur/!5644236
[2] /Netflix-gibt-Abozahlen-heraus/!5646386
## AUTOREN
Alexander Graf
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