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# taz.de -- Rechte Hetze gegen Journalist*innen: Fest, frei, vogelfrei
> Öffentlich-rechtliche Sender tun sich schwer, ihre freien
> Mitarbeiter*innen vor rechten Angriffen zu schützen. Das zeigen zwei
> aktuelle Fälle.
Bild: Seit drei Jahren im Visier der Rechten: Richard Gutjahr
Gewiss war es schon immer so, dass man als Journalist*in einiges vertragen
können muss. Auch als Zeitungen und Sender noch nicht vom Getöse der
sozialen Netzwerke umgeben war. Auch da gab es böse Briefe, Anrufe,
gelegentlich Proteste vor den Redaktionen.
Aber seit das Internet zum Alltag von Journalist*innen dazugehört, mit
seinen unberechenbaren Erregungszyklen, mit seiner Anonymität einerseits
und der Möglichkeit, private Adressen zu veröffentlichen, andererseits, ist
der Druck gestiegen. Wenig reicht mittlerweile aus, um zur Zielscheibe
rechter Zermürbungsstrategien zu werden. Das beginnt mit Beleidigungen in
den sozialen Medien und per Mail, dann kommen Drohungen, persönliche
Informationen werden veröffentlicht, manchmal kommt es zu Stalking, im
Extremfall [1][zu Kundgebungen gegen eine Person].
Zwei solcher Fälle haben über die Feiertage Aufsehen erregt. Da ist einmal
[2][der Fall eines freien Mitarbeiters beim WDR], Danny Hollek, der wegen
[3][einer absurden Auseinandersetzung um ein Kinderlied] bedroht wurde.
Kurz vor Weihnachten hatte der WDR auf Facebook ein satirisches Video
gepostet, in dem der sendereigene Kinderchor über „Oma“ singt, die „eine
alte Umweltsau“ sei, weil sie SUV fährt und täglich Kotelett isst.
Ein paar Tage später wird in den sozialen Netzwerken um das Hashtag
#Umweltsau herum von rechts gegen das Video angeschrien, bis sich der WDR
genötigt sieht, es zu löschen. In diese Stimmung hinein tweetet der
WDR-Mitarbeiter Danny Hollek, [4][auf seinem Privataccount]: „Lass mal über
die Großeltern reden, von denen, die jetzt sich über #Umweltsau aufregen.
Eure Oma war keine #Umweltsau. Stimmt. Sondern eine #Nazisau.“ Der Sender
distanziert sich kurz darauf von Holleks Tweet. Am Tag darauf filmt sich
ein bekannter Rechtsextremer vor dem Haus von Holleks Familie.
## Ein offener Brief an den Intendanten
Nicht ein Wochenende, sondern Jahre schon hält die Bedrohungskampagne an,
der der ehemalige BR-Journalist Richard Gutjahr ausgesetzt ist. Sein Fall
ist der andere, der in diesen Tagen für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Gutjahr
hat am Silvestertag [5][in einem offenen Brief] an den BR-Intendanten
Ulrich Wilhelm dargelegt, warum er sich von dem Sender im Stich gelassen
fühlt und nicht mehr für den BR arbeiten werde.
Gutjahr und seine Familie erreichen seit über drei Jahren Drohungen und
Beleidigungen, bei öffentlichen Auftritten braucht er teils Personenschutz.
Und das, weil er im Sommer 2016 prominent von zwei Großnachrichtenlagen
berichtet hat: dem islamistischen Terroranschlag in Nizza und dem
rechtsideologisch inspirierten Amoklauf eines Schülers in München.
Gutjahr war in diesen Fällen weder als Akteur involviert, noch hob er sich
besonders durch Meinungsäußerungen hervor. Er machte seinen Job als
Reporter, und das übrigens sensibel und vorbildlich, [6][wie viele im
Nachhinein lobten]. Doch bei beiden Ereignissen war Gutjahr zufällig
anwesend – das und die Tatsache, dass er eine jüdische Frau hat, reichten
als Anlass der rechten Hetze.
Rechte Mobilisierung im Netz benutzt Feindbilder und Reizwörter, um die
herum sich schnell Erregung bildet. Dazu gehören neben Begriffen wie
„Klima“, „Asyl“ und „Gender“ der öffentlich-rechtliche Rundfunk und
potenziell alle, die für ihn arbeiten.
## Es kostet Zeit, Geld und Energie
Gutjahr versucht seit Jahren, die schlimmsten Videos und Posts über sich
löschen zu lassen, Personen juristisch zu belangen. Das erfordert Wissen,
Zeit, Geld und Energie. Dem BR-Chef wirft Gutjahr nun vor, dass dieser sich
zu wenig für ihn eingesetzt habe. Gutjahr habe bei einem persönlichen
Treffen an Wilhelms Mitgefühl appelliert, ihn „gebeten, mich bei der
Bekämpfung dieser Kräfte aktiv zu unterstützen“. Aber: „Stattdessen
verwiesen Sie persönlich und Ihre juristische Direktion immer wieder
darauf, dass der BR freien Mitarbeitern keine Rechtsberatung geben dürfe.“
Der Sender nennt diese Darstellung falsch. „Journalistinnen und
Journalisten – ob fest oder frei –, die im Auftrag des BR beruflich
unterwegs sind, werden juristisch unterstützt“, heißt es auf taz-Anfrage.
„Neben der Juristischen Direktion etwa auch ganz besonders durch die
Informationsdirektion und die jeweiligen Redaktionsleitungen. Das reicht
von Austausch und Beratung bezüglich der Einleitung rechtlicher Schritte
oder konkrete Unterstützung bei Schutzmaßnahmen wie Auskunftssperren bis
hin zu konkreter Hilfe, etwa beim Dokumentieren von Hassbotschaften,
Recherche nach deren Absendern oder der Steuerung der Reaktionen.“
Einig sind sich Gutjahr und der BR darüber, dass der Sender etwas
unternommen hat. Justiziariat und Rundfunkrat haben sich zeitweise mit dem
Fall befasst. Die Frage ist, wie viel denn nun „genug“ ist. Interessant ist
dabei, dass der Sender schreibt: „die im Auftrag des BR beruflich unterwegs
sind“. Das schließt Angriffe aus, die auf jemand niedergehen, der oder die
gerade nicht im Dienst ist. Wer privat angegriffen wird oder für einen
Beitrag, der vor längerer Zeit gesendet wurde, kann also nicht unbedingt
auf Schutz hoffen. Aber wie ist es mit jemandem, der zwar privat, aber doch
eindeutig stellvertretend für seinen Sender belästigt wird? Wer ist
zuständig?
Im Fall Danny Hollek twitterte der WDR mitten in den Shitstorm gegen Hollek
hinein: „Der betroffene Mitarbeiter ist kein Redakteur beim WDR, sondern
freier Mitarbeiter“ – als käme es in dem Moment, wo jemand stellvertretend
für den Sender attackiert wird, darauf an, was sein tariflicher Status ist.
Erst zwei Tage später zeigte sich WDR-Chef Tom Buhrow schockiert über die
Angriffe auf Hollek und versprach juristische Unterstützung.
## Ohne Freie geht es nicht
Das ist nicht nur deshalb bitter, weil die Sender offenbar weiter die
Geschwindigkeit unterschätzen, in der Hass auf Einzelne niedergehen kann.
Sondern weil freie Journalist*innen wesentlich angreifbarer sind als fest
angestellte.
Zwei Drittel der Beschäftigten im Programmbereich der Sender sind „frei“,
schätzt die Gewerkschaft Verdi. Ohne Freie gäbe es morgen keinen
öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Sender sparen, weil die
Landesregierungen den Rundfunkbeitrag niedrig halten. Dieser wird zwar bald
wohl um 86 Cent angehoben, doch liegt das unter der Teuerungsrate.
Gleichzeitig stecken die Sender mitten in der Digitalisierung und brauchen
mehr Personal; schließlich gilt es mehr Kanäle zu bespielen – die alten und
die neuen gleichzeitig – und innovative Ideen auszuprobieren, die
möglicherweise scheitern.
Wem gegenüber ist ein öffentlich-rechtlicher Sender also verantwortlich?
Man unterscheidet tariflich gerne zwischen den „Freien“, die wirklich
selbstständig arbeiten, Texte oder Beiträge liefern und ansonsten nicht
weiter mit dem Sender verknüpft sind, und den „festen Freien“, die ähnlich
arbeiten wie Festangestellte, aber auf Honorarbasis und ohne Verträge.
Richard Gutjahr war so ein „fester Freier“ beim BR. Hollek, der beim WDR in
einer Nachrichtenredaktion arbeitet, ist zumindest nahe dran.
Nimmt das die Sender also ein wenig aus der Verantwortung? Nicht unbedingt:
Wenn Rechte jemanden stellvertretend für das Feindbild Rundfunk
attackieren, scheren sie sich einen Dreck darum, wie die- oder derjenige
arbeitsrechtlich eingeordnet wird. Dazu kommt, dass die Sender sich
natürlich andersherum auch mit den Gesichtern der Freien schmücken. Sowohl
Gutjahr als auch Hollek wird prominent mit Bild auf den Webseiten der
Sender aufgeführt. Gesichter schaffen Vertrauen. Aber machen auch
angreifbar.
## Nur eine Handvoll juristisches Personal
Der BR schreibt auf die Frage, welche Unterstützung bei Angriffen von
rechts die Journalist*innen künftig erwarten können: „Jeder Einzelfall wird
sorgfältig geprüft und dann über das angemessene Vorgehen entschieden.
Genauso kommt es bei der Frage nach den juristischen Kosten auf den
Einzelfall an. Hierbei ist der BR als öffentlich-rechtliche Einrichtung zu
einem verantwortungsvollen Umgang mit den ihm anvertrauten Beitragsgeldern
verpflichtet.“ Will sagen: Wir wollen uns nicht auf Kosten der Haushalte in
lange Hasskampagnen verwickeln lassen.
Die Sender (und übrigens auch die Verlagshäuser) sind nicht auf derartige
juristische Projekte eingestellt. Sie beschäftigen höchstens eine Handvoll
juristisches Personal für Fragen rund ums tägliche Programm. Aber rechte
Hetzmobs werden in absehbarer Zeit nicht verschwinden. Treffen kann es
jede*n – im besonderen Maße übrigens Frauen und People of Color, also
diejenigen, deren Stimme wir eigentlich öfter im Journalismus hören wollen.
Wer also sollte künftig die Kosten derartiger Folgeerscheinungen
journalistischer Arbeit tragen? Da gibt es drei Möglichkeiten: die
Betroffenen selbst; die Journalist*innenverbände, die von den Beiträgen
ihrer Mitglieder leben; oder die beitragsfinanzierten Sender, und damit die
Allgemeinheit.
4 Jan 2020
## LINKS
[1] /Neonazi-Demo-gegen-Journalisten/!5637115
[2] /Drohungen-gegen-Journalisten/!5644201
[3] /Umweltsau-Video-des-WDR/!5648806
[4] https://twitter.com/dannytastisch/status/1210892743729451008
[5] https://www.gutjahr.biz/2019/12/in-eigener-sache-2/
[6] /Medienethik-Debatte-nach-Nizza/!5323665
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Shitstorm
WDR
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Anfeindungen gegen Journalisten
Journalismus
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Schwerpunkt Coronavirus
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Schwerpunkt Tom Buhrow
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