| # taz.de -- Drohungen gegen Journalisten: Nennt sich Meinungsfreiheit | |
| > Ein Journalist hat das Pech, über Nacht zur Zielscheibe von Nazis zu | |
| > werden. Und sein Sender? Lässt ihn mit dem Mob lange alleine. | |
| Bild: Alles begann mit einem lustig gemeinten Lied, eskalierte aber schnell | |
| Wegen einer sarkastischen Bemerkung versuchen Neonazis gerade einen | |
| Journalisten einzuschüchtern. Seit Samstag erreichen Danny Hollek, einen | |
| freien Mitarbeiter der „Aktuellen Stunde“ des WDR Gewalt- und | |
| Todesdrohungen. Und der Sender reagiert nur zögerlich. | |
| Anlass ist ein Tweet von Hollek zur Debatte rund um ein satirisches | |
| Kinderlied im WDR. Im Lied hieß es unter anderem: „Oma ist ’ne Umweltsau�… | |
| [1][was viel überzogene Ablehnung erfuhr, bis der WDR vor rechten Protesten | |
| einknickte und das Video des Liedes löschte]. Hollek schrieb: „Eure Oma war | |
| keine Umweltsau. Stimmt. Sondern eine Nazisau.“ | |
| In Hunderten Kommentaren und Postings in den sozialen Netzwerken und auf | |
| rechtsradikalen Websites wird seitdem über Hollek hergezogen. Auch der WDR | |
| als Arbeitgeber von Hollek wird adressiert. Der Mob will, daran lässt er | |
| keinen Zweifel, den Journalisten arbeitslos sehen. Mindestens. | |
| Der Hass bleibt dabei nicht digital. Der stellvertretende Landesvorsitzende | |
| der neonazistischen Kleinpartei Die Rechte, Michael Brück, verbreitete ein | |
| Foto von sich, auf dem er angeblich vor dem Elternhaus des Journalisten | |
| steht. „Hausbesuch bei der Familie von WDR-Antifajournalist Danny Hollek“, | |
| schreibt der Neonazi, der bis zu ihrem Verbot eine Führungsfigur der | |
| gewalttätigen Organisation Nationaler Widerstand Dortmund war und über | |
| einen Onlineversandhandel die militante Neonaziszene mit Sturmhauben und | |
| Ähnlichem versorgt. Eine ernsthafte Bedrohung. | |
| ## Oma war kein Nazi | |
| Mittlerweile ist es fast an der Tagesordnung, dass Journalisten – | |
| insbesondere solche, die zum rechtsextremen Milieu recherchieren – heftig | |
| bedroht werden. [2][Erst im November organisierten Neonazis eine | |
| Demonstration vor dem Wohnhaus eines NDR-Mitarbeiters in Hannover.] Doch | |
| dort gab es breite Solidarität für den betreffenden Kollegen, auch aus dem | |
| Sender. | |
| Im Fall von Hollek hingegen schrieb die „Aktuelle Stunde“ auf Twitter: „D… | |
| betroffene Mitarbeiter […] hat den Tweet von seinem privaten | |
| Twitter-Account abgesetzt. Wir distanzieren uns scharf von Form und | |
| Inhalt.“ Zur Bedrohung ihres Mitarbeiters durch Nazis twitterte die | |
| „Aktuelle Stunde“ zunächst nichts. Stattdessen hieß es am Sonntag, man ha… | |
| mit Hollek gesprochen. Und: „Aus unserer Sicht ist zu dem Thema nun alles | |
| gesagt.“ | |
| Selbstredend ist es nicht die Aufgabe des WDR, jede Meinungsäußerung jedes | |
| Mitarbeiters vollinhaltlich zu teilen. Doch bei dem Tweet handelt es sich | |
| weder um eine strafbare noch extremistische Äußerung. Ein frühes, | |
| verteidigendes Wort in Sachen Meinungsfreiheit hätte Hollek stützen können. | |
| Überraschend ist die massive Ablehnung von Holleks überspitzter Äußerung | |
| „Oma war Nazisau“ natürlich nicht: So wie zur nationalsozialistischen | |
| Vergangenheit die Unterstützung der Nazis durch die Bevölkerung gehörte, so | |
| gehört zur postnazistischen Bewältigung das Leugnen dieser Realität. | |
| ## Verdrängen und Verleugnen | |
| Die soziologische Studie [3][„Opa war kein Nazi: Nationalsozialismus | |
| und Holocaust im Familiengedächtnis“] hat dies schon vor Jahren | |
| dokumentiert. In den meisten deutschen Familienerzählungen waren die | |
| eigenen Vorfahren im Nationalsozialismus selbst Opfer oder gar Helden; | |
| Modus Operandi ist das Leugnen und Verdrängen der individuellen Schuld der | |
| eigenen Vorfahren. | |
| Gerade vor diesem Hintergrund wäre es die Aufgabe des WDR gewesen, seinen | |
| Mitarbeiter so früh wie möglich zu schützen. | |
| Georg Restle, der Redaktionsleiter von „Monitor“ (ebenfalls WDR), zeigt, | |
| wie das aussehen könnte: „Freie Mitarbeiter sind die schwächsten Glieder im | |
| ÖRR. Wenn sie öffentlich bedroht werden, müssen wir uns hinter sie stellen. | |
| Unabhängig davon, ob uns gefällt, was sie veröffentlichen. Nennt sich | |
| Meinungsfreiheit. Nennt sich Standhaftigkeit – gegen die Feinde der | |
| Demokratie.“ | |
| Auf Anfrage beim WDR macht sich der Sender diese Äußerung von Restle zu | |
| eigen und teilt mit, dass Morddrohungen vollkommen indiskutabel seien. „Wir | |
| bieten diesen Kolleginnen und Kollegen Personenschutz an und gehen mit | |
| allen juristischen Mitteln dagegen vor.“ Inzwischen hat Hollek um | |
| Entschuldigung für seine sarkastische Äußerung gebeten. Erst danach schrieb | |
| die „Aktuelle Stunde“, dass „kein verunglückter Tweet“ Drohungen | |
| rechtfertige und man Hollek Unterstützung angeboten habe. | |
| 30 Dec 2019 | |
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| [1] /Umweltsau-Video-des-WDR/!5648806 | |
| [2] /NPD-Demo-gegen-Journalisten/!5642809 | |
| [3] https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-3390 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Nabert | |
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