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# taz.de -- Der Hausbesuch: Der See gibt
> Wolfgang Schröder lebt seit 52 Jahren in, um und auf dem Wasser. Er ist
> Fischer im Havelland, in vierter Generation. Er wollte nie etwas anderes
> sein.
Bild: Mit den Fischen auf Du und Du: Wolfgang Schröder in seinem Kahn
Als Fischer in vierter Generation ist Wolfgang Schröder mit den Fischen auf
Du und Du. Aber wortkarge Menschen schätzt er als Freunde auch sehr.
Draußen: In Strodehne im Havelland ist mehr Himmel als Erde. Als wäre der
Horizont nach unten gerutscht, trennt er kurz vor der Dämmerung ein
violettgraues Firmament von schlammgrauem Wasser. Auch das herbstliche Land
schmiegt sich von unten an den Horizont, mit allen Farben zwischen Graugrün
und Braun. Dazu niedrige Häuser aus Backstein, manche in erdigen Tönen
angestrichen, andere mit Fachwerk. Eines der Häuser gehört seit über 20
Jahren [1][dem taz-Verleger Kalle Ruch]. Von dort sind es noch zwei
Kilometer auf einem Plattenweg zu ihm. Seine Fischerei liegt am Gülper See.
Drinnen: Des Fischers Drinnen ist draußen. Denn sobald Schröder
aufgestanden ist, mit seiner Frau, „die auf dem Amt arbeitet“, gefrühstüc…
hat, geht’s mit dem Kahn aufs Wasser. Im Sommer um vier Uhr, jetzt im
Winter um sieben. Der Kahn ist schlicht, zehn Meter lang, drei Bänke zum
Sitzen, ein Motor. Ein wenig angerostet ist das Boot, liegt aber weich im
Wasser. Schröder besitzt noch andere, aber weil dienstags keine
Schleppnetze eingezogen werden, nimmt er heute dieses. Nicht sehr tief ist
der Gülper See, aber 500 Hektar groß: fünf Kilometer lang, einen Kilometer
breit, der größte See im Havelland. Einer ohne Bebauung am Rand,
„Vogelschutzgebiet“. Das Wort ist ein vollständiger Satz.
Elemente: Schröder wollte nie etwas anderes machen. „Draußen sein“, sagt
er. „Die Luft“, sagt er. Sein Kinderwagen war das Boot. Dort wurde er
geschaukelt. Schwimmen hat er früh gelernt. „Lieber bin ich auf dem Wasser
als im Auto“, sagt er. Er ist jetzt seit 52 Jahren am, im und auf dem
Wasser. Gekentert sei er schon – auch im Winter. Sieben, acht Grad hat das
Wasser heute, schätzt er. Über den Gülper See sagt er: „Der ist sehr
produktiv. Der See produziert viel.“ Brassen, Hecht, Karpfen, Plötzen. Sein
Lieblingsfisch ist der Schlei. „Der See gibt.“
Die Fischerei: Schröders Urgroßvater war Fischhändler in Brandenburg. Im
Jahr 1900 kaufte er den ganzen Gülper See und ließ das Haus bauen, dort, wo
der See in die Havel fließt. Aber schon 1913 wurde der Urgroßvater
enteignet, weil der preußische Staat eine Wasserstraße durch den See
plante. Die Fischereirechte konnte er behalten. „Ein Glück“, sagt Schröder
heute, „sonst wäre die Familie 1945 in der neu gegründeten DDR ganz
enteignet worden. „Dann wären wir nicht mehr hier.“
Die Genossenschaft: 1960 wurden die Fischereien in der DDR
vergenossenschaftlicht. „Aber 1989 war damit wieder Schluss.“ Auch
Schröders Fischerei ging an die Familie zurück. Schröder bedauert, dass die
Genossenschaft nach der Wende zerschlagen wurde. „Viele wollten schnell
Geld machen“, sagt er. Habe nicht so geklappt. Vom Fischverkauf wird man
nicht reich, von den 34 Fischern von damals arbeiten heute nur noch 14
haupterwerblich. Alles wäre gemeinschaftlich einfacher gewesen, Vertrieb,
Verarbeitung, sagt Schröder. Heute seien die großen Produktionsanlagen der
Genossenschaft verschrottet. Jetzt muss jeder Fischer selber dafür sorgen,
dass sein Laden läuft, dass er Platz und Kapazität hat, um Fische
auszunehmen, dass er Händler kennt, die ihm die Tiere abkaufen.
Events: Und ständig, sagt Schröder, müsse er sich jetzt Sachen einfallen
lassen, um seine „Produktpalette“ zu erweitern. Einen Imbiss hat er auf dem
Gelände, Fisch kann man in dem kleinen Laden kaufen. Events müsse er sich
ausdenken, Bootstouren, „Hörspielkino unterm Sternenhimmel“. Sternenhimmel?
„Ja, Sternenhimmel.“ Da liegen die Leute in Liegestühlen und hören zu.
„Strodehne ist ein dunkler Ort“, sagt er.
Fische fangen: In Schröders Hof stehen die Tanks, in denen der Fang frisch
gehalten wird. In einem sind riesige Welse. In anderen sind Flusskrebse und
Krabben. Auch Reusen hängen im Hof, jetzt im Winter werden sie repariert.
Nur mit Schleppnetzen wird in dieser Jahreszeit Fisch gefangen. Schröder
hat Fischereirechte nicht nur im Gülper See, auch für Havel und Elbe. Es
ist schwere Arbeit, sagt er. „Zehnstundentag.“ Den Job könne man zwar
lernen, aber nicht ohne Herzblut machen. Zu dritt halten sie den Betrieb am
Laufen. Er bedauert, dass er für diese schwere Arbeit nicht die gebührende
Anerkennung gibt.
Freundschaften: Strodehne hat 263 Einwohner und Einwohnerinnen. Man hilft
sich, sagt Schröder. Sein Bruder ist Elektriker und wohnt auch auf dem
Fischereigelände. Es gibt einen Klempner, einen Tischler, eine Kneipe im
Dorf. Schröder war früher Volleyballspieler. „Wenn ich Hilfe brauche, rufe
ich an. Das passt schon.“ Kalle ist auch ein Freund. „Seit 24 Jahren kennen
wir uns.“ Für ihn beantwortet Schröder all diese Fragen, obwohl er die
Hälfte von ihnen unnötig findet. Manchmal hilft Kalle, fährt mit Schröder
raus, um Fische einzuholen. Aber: „Ein Fischer ist an ihm nicht verloren
gegangen“, sagt er. Wenn sie auf dem Boot seien, würde nicht viel geredet.
Mit Kalle sei schweigen leicht. „Der redet ja nicht.“
Waschbären und Co: In einem der Tanks auf dem Fischereigelände sind die
Wollhandkrabben. Vor 100 Jahren seien sie eingewandert aus China. In einem
anderen Tank sind Flusskrebse. Gerade macht das Getier in den Medien
Furore. Selbst im Berliner Tiergarten werden mittlerweile Flusskrebse,
genauer: [2][amerikanische Flusskrebse], aus den Seen geholt, weil sie
allen anderen Kleintieren den Garaus machen. Alle Schalentiere gelten als
Delikatesse. Chinesisch- und russischstämmige Händler fahren zu Schröder
aufs Land, um ihm den Fang abzukaufen. Den Hype um eingewanderte und
eingeschleppte Krabben und Krebse versteht Schröder nicht so. Andere
invasive Arten seien schlimmer. Der Waschbär etwa, der hätte alles Obst von
den Bäumen gefressen. Und Minks, die fressen alle Bodenbrüter und
Reptilien. Es sei ein Elend. Schröder fängt Waschbären in Lebendfallen und
bringt sie dann zum Jäger. Nur der darf sie erschießen. Schröder nicht, er
hat keinen Jagdschein. Fast jede Woche geht einer in die Falle.
Klimawandel: „Ich arbeite in der Natur“, sagt Schröder. Das Wasser im See
sei noch nicht umgekippt in den heißen Sommern, aber er sehe die Algen,
sehe, dass es grün wird, sehe den sinkenden Wasserstand. Es sind mehr Welse
im Wasser jetzt, mehr Karpfen, die kämen mit wärmerem Temperaturen besser
zurecht.
Monokultur: Ein Problem seien auch die Sandstürme. „Wir haben sie hier im
Frühjahr und im Herbst“, sagt Schröder. Die Leute würden schimpfen, aber er
sage ihnen, sie hätten es selbst so gewollt: „Sie haben riesige
Ackerflächen an einen Holländer verpachtet, der nur Mais anpflanzt, jedes
Jahr auf den gleichen Flächen. Der Boden ist kaputt und wird mit Dünger und
Pestiziden noch kaputter.“ Die obere Erdschicht, die fruchtbarste
eigentlich, werde bei den Sandstürmen auf die Wasserflächen geweht und
dünge den See, was schlimm sei. Schröder hofft jetzt, dass der neue
Agrarminister in Brandenburg die Weichen für nachhaltigere Landwirtschaft
stellt. „Wir leben mit der Natur“, sagt er, „Ich beobachte sie genau“.
19 Dec 2019
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## AUTOREN
Waltraud Schwab
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