| # taz.de -- Wie Frauen die taz geprägt haben: Dame im Spiel | |
| > Als Verleger gab Kalle Ruch Frauen in führenden Positionen bei der taz | |
| > viele Freiräume. Doch wie beim Schach war jede verzichtbar – außer dem | |
| > König. | |
| Bild: Eine der Frauen an seiner Seite: Karl-Heinz Ruch und Annett Schöler in d… | |
| Das Foto ist von 1989, aus dem Jahr des Mauerfalls: Georgia Tornow führt | |
| den Dalai-Lama durch die neuen taz-Redaktionsräume in der Berliner | |
| Kochstraße. Das Foto hat Karriere gemacht, es wurde von der taz zu diversen | |
| Jubiläen nachgedruckt. Aus zeitgenössischer Sicht enthält es diverse | |
| kognitive Dissonanzen: Die notorisch klamme taz hat neue Redaktionsräume? | |
| Die Zeitung, die Geld für Waffen für El Salvador sammelte, feiert die | |
| Friedensmission eines tibetischen Popstars? Das antiautoritäre Projekt hat | |
| neuerdings eine Redaktionsleitung? | |
| Was vielleicht am wenigsten erstaunt, ist die Tatsache, dass die taz eine | |
| Frau an ihrer Redaktionsspitze hat. Bereits wenige Jahre nach der Gründung | |
| hatten die Mitarbeiterinnen eine Quote erstritten, der zufolge 52 Prozent | |
| aller Planstellen mit Frauen besetzt werden müssen. Warum also nicht auch | |
| Führungspositionen? | |
| Über Georgia Tornow wurde später intern gerne gesagt, sie sei „das schöne | |
| Gesicht der taz“ gewesen. Die Politologin war 1986 zur taz gekommen und | |
| stellte sich zwei Jahre später zur Wahl in ein sechsköpfiges | |
| Leitungsgremium, das Verwaltung, Technik und Redaktion an einen Tisch | |
| bringen sollte. Aber von allen Kandiat*innen aus den drei Betriebsteilen | |
| erreichte nur Tornow das sehr hohe Quorum, und aus dem geplanten | |
| bereichsübergreifenden Sixpack wurde aus Versehen eine binäre | |
| Gewaltenteilung: Hier die Redaktionsleitung. Dort der Verleger: | |
| [1][Karl-Heinz Ruch]. | |
| Die Wirtschaftsredakteurin fand in Ruch einen, den sie in der Redaktion | |
| vermisste: Jemanden, der sich nicht nur für Meinungsjournalismus, sondern | |
| für Zahlen, Fakten und ökonomische Zusammenhänge interessierte. Nun waren | |
| er, der wegen Insolvenzverschleppung hätte belangt werden können, und sie, | |
| die verantwortlich im Sinne des Presserechts zeichnete, also zu zweit mit | |
| der Verantwortung allein. | |
| ## Kalle komplizte nicht | |
| Wie Georgia Tornow in einem Grußwort zum 60. Geburtstag von Ruch | |
| beschreibt, hätte das „die Basis für eine wunderbare Freundschaft sein | |
| können. Zumindest Komplizenschaft wäre drin gewesen. Aber Kalle komplizte | |
| nicht innerhalb der taz […] Ich schaffte den Bewährungsaufstieg bei Kalle | |
| nur bis zur Ebene ‚temporärer Bündnispartner‘ “. | |
| Tatsächlich fand Karl-Heinz Ruch seine (männlichen) strategischen Partner | |
| eher an der Peripherie: Die Idee, eine Genossenschaft zu gründen, [2][kam | |
| von Olaf Scholz]. Die Verlagsstruktur tüftelte der Steuerberater Gerd | |
| Behrens mit ihm aus. Perspektiven und Visionen waren die Sache von | |
| Christian Ströbele, juristische Angelegenheiten lagen in den Händen von | |
| Jony Eisenberg. | |
| Aber eines Tages komplizte Kalle dann doch: 1991 nötigte das Kollektiv | |
| Kalle mit dem Technikmitarbeiter Andreas Bull einen zweiten Geschäftsführer | |
| quasi als „Aufpasser“ auf. Aus dem Aufpasser wurde ein Getreuer und ein | |
| Freund. Die Geschäftsführung hatte nun eine Stimme mehr – und ein Jahr | |
| später zwei Sitze im fünfköpfigen Vorstand der neu gegründeten [3][taz | |
| Genossenschaft]. | |
| In einem Papier von 1991, das für die Gründung der Genossenschaft warb, | |
| wurde die neue Machtstruktur so zusammengefasst: „Verantwortlichkeiten | |
| werden konkreten Personen übertragen, die diese Verantwortung auch | |
| wahrnehmen können und Rechenschaft ablegen müssen.“ Die | |
| Genossenschaftsgründung, derentwegen Georgia Tornow und viele andere | |
| Redakteur*innen die Zeitung 1991 verließen, war für die taz sicher in | |
| vielerlei Hinsicht ein Segen. Für Karl-Heinz Ruch war sie der Beginn seines | |
| Aufstiegs vom einsamen Rufer in der Kollektivwüste zum Zeitungsverleger mit | |
| organisierter Hausmacht. | |
| ## Viele temporäre Bündnispartnerinnen | |
| Seit 1992 fallen Entscheidungen nach festgelegten Regeln. Mehrheiten müssen | |
| nicht mehr in offener Schlacht im Plenum erstritten werden. Ein guter Plan | |
| benötigt zunächst nicht mehr viele, sondern nur noch einige wenige | |
| Verbündete. Und interessanterweise sind diese „temporären Bündnispartner“ | |
| häufig Bündnispartnerinnen. | |
| Die Liste der Frauen, die in der taz seit 1992 Führungspositionen | |
| besetzten, ist vielleicht wegen der Frauenquote so lang. Dass sie den | |
| Freiraum erhielten, ihre Arbeitsgebiete aktiv auszugestalten, und damit die | |
| taz maßgeblich mitformten, haben sie oft Karl-Heinz Ruch zu verdanken. Ich | |
| spreche da nicht zuletzt aus eigener Erfahrung. | |
| Im Schach ist die Dame die stärkste Figur, aber sie ist nicht die | |
| wichtigste. Der König, der sich selbst nur wenig und mühsam bewegt, | |
| entscheidet letztlich das Spiel. Die Dame folgt also einem Ziel, dem sie | |
| gegebenenfalls geopfert werden kann. | |
| Das prominenteste Damenopfer auf Kalles Schachbrett war sicher Elke | |
| Schmitter. Die taz hatte ihr schon sehr viel zu verdanken, als sie 1992 in | |
| die Chefredaktion berufen wurde. Zuvor hatte sie im Verein Freunde der | |
| alternativen Tageszeitung im Vorstand gesessen und den Change-Prozess | |
| organisiert, der mit der Gründung der Genossenschaft einhergehen musste. | |
| Nicht Karl-Heinz Ruch, sondern sie war es, die dem zerstrittenen und | |
| ausgepowerten Kollektiv einen Plan vermittelte, dem zufolge alle 200 | |
| Mitarbeitenden zum 31. Dezember 1991 selbst kündigen sollten, damit nach | |
| dem Jahreswechsel zwei Drittel von ihnen in die neue Gesellschaft | |
| eingestellt werden würden. Sie warb bei den Leser*innen um Verständnis für | |
| die Lage und um Einlagen in die Genossenschaft, verhandelte in der | |
| Findungskommission mit Michael Sontheimer, der der erste Chefredakteur der | |
| taz werden sollte, und folgte ihm schließlich in das Abenteuer | |
| Redaktionsleitung. | |
| ## Ein Damen- und drei Bauernopfer | |
| Als im April 1994 das Verhältnis zwischen Michael Sontheimer und der | |
| Redaktion offensichtlich zerrüttet war, demissionierte der Vorstand der | |
| Genossenschaft Michael Sontheimer als Chefredakteur. Da ich seinerzeit in | |
| diesem Gremium die Entscheidung mit getroffen habe, kann ich aus erster | |
| Hand sagen: Wir alle ahnten an diesem Tag, dass die Kündigung des einen die | |
| Kündigung der anderen zur Folge haben könnte. Und nahmen dies in Kauf, um | |
| einen Neuanfang zu ermöglichen. | |
| Karl-Heinz Ruch hatte durchblicken lassen, dass die Redaktion nicht lange | |
| führungslos bleiben würde, Arno Widmann stehe gewissermaßen schon bereit. | |
| Nach der Vorstandsentscheidung, die die Redaktion nicht mit ihrem Vetorecht | |
| rückgängig machte, wurden wir drei gewählten Vorstandsmitglieder vom | |
| Aufsichtsrat wegen erwiesener „Verantwortungslosigkeit“ des Amtes enthoben. | |
| Obwohl wir die Entscheidung einstimmig getroffen hatten, blieben Andreas | |
| Bull und Karl-Heinz Ruch unangetastet. Die Aktion hatte den König lediglich | |
| seine Dame und drei Bauernopfer gekostet. | |
| „In der taz ist jeder ersetzbar“, sagte Kalle oft, wenn mal wieder Opfer zu | |
| beklagen waren. Jeder wusste, dass dieser Lehrsatz stimmt, aber nicht für | |
| ihn selbst galt. Und offenbar auch nicht für Annette Schöler. Ihr Name | |
| kommt in den Chroniken, mit denen die taz ihre eigene Geschichte in | |
| Abständen feiert, selten bis nie vor. Dabei war die Marketingleiterin von | |
| 1992 bis 1996 neben Andreas Bull und Karl-Heinz Ruch die dritte | |
| Geschäftsführerin der taz. | |
| ## Das Marketing machen die Frauen | |
| In ihre Zeit fielen die bis heute erfolgreichste Abo-Kampagne „Keine taz | |
| mehr ohne mich“ und die Einführung der Preisdifferenzierung bei den | |
| taz-Abos. Der Gedanke, eine Zeitung zu drei unterschiedlichen Preisen zu | |
| verkaufen, war in der Geschäftsführung entwickelt worden. Aber es musste | |
| Annette gelingen, daraus eine funktionierende Kampagne zu formen. Der „taz | |
| Solidarpakt“ hält bis heute. | |
| Als Annette Schöler die taz 1996 verließ, folgte ihr Gerd Thomas als | |
| Marketingleiter, aber nicht als Geschäftsführer nach. Erst mit Andreas | |
| Marggraf wurde im letzten Jahre aus dem Geschäftsführerduo wieder ein | |
| -trio. | |
| Seit der Jahrtausendwende hat die Geschäftsführung auch die Gesamtleitung | |
| des Marketings übernommen. Die einzelnen Bereiche können mit relativ viel | |
| Freiheit ihre Ziele definieren und Geschäfte organisieren. Das gilt vor | |
| allem für Konny Gellenbeck, die 1996 die taz Genossenschaft aus ihrem | |
| Dornröschenschlaf erweckt und über die folgenden zwanzig Jahre hinweg zu | |
| dem gemacht hat, was sie heute ist: das Herzstück der taz Community und das | |
| finanzielle Fundament der taz. | |
| Mit Stefanie Knöll war 1996 eine junge Kreative zur taz gekommen, die | |
| bereits während ihres Studiums die Genossenschaftskampagne „Schweine, | |
| bucht!“ entwickelt hatte, die den taz-Ton traf und aktualisierte. Sie wurde | |
| zunächst als Projektleiterin verpflichtet, stieg bald zur Werbeleiterin und | |
| schließlich zur Kreativchefin auf. Insgesamt gestaltete Stefanie Urbach, | |
| wie sie heute heißt, zehn Jahre lang erfolgreich das Marketing des Verlags. | |
| Sie entwickelte das Konzept und die Kommunikationsstrategie für den Panter | |
| Preis, der später in der gemeinnützigen taz Panter Stiftung eine neue | |
| Heimat fand. Vor allem aber gelang es Stefanie 1999, mit der | |
| „Erpressungskampagne“ die letzte Rettungskampagne der taz zu einer medial | |
| viel beachteten Aktion zu machen. | |
| ## Er bleibt in der sicheren Ecke | |
| Auch ihre Nachfolgerin Nina Schoenian hat der taz wichtige Impulse gegeben. | |
| Dass annähernd alle Mitarbeitenden eigenhändig „Danke“-Postkarten mit ihr… | |
| Porträt unterschrieben und an die Abonnent*innen schickten, machte die für | |
| die taz so wichtige Leser-Blatt-Bindung augenfällig. In die Zeit von Nina | |
| Schoenian fielen auch die ersten Bemühungen, die taz ins Digitale zu | |
| transformieren. Es wurden Blogs und eine spezifische Ansprache für | |
| Netz-User*innen entwickelt – die Basis für [4][„taz zahl ich“] und das | |
| [5][Szenario 2022], die, wie so vieles andere, Kalles Idee war. | |
| „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine erfolgreiche Frau“, sagt der | |
| Volksmund. Im Fall von Kalle scheint es umgekehrt zu sein: Wie der König im | |
| Schach, der am besten in seiner Ecke bleibt, lässt Kalle gern den Frauen | |
| den Vortritt, wenn es darum geht, seine Ideen auf offenem Feld | |
| durchzusetzen. Wer sich dabei gut anstellt, kann auf sein Vertrauen, seine | |
| Loyalität – und wenn nötig, auch auf seinen Beistand – hoffen. Das ist f�… | |
| eine Frau in Führungsposition bis heute vielerorts keine | |
| Selbstverständlichkeit. | |
| Insofern – da schließe ich mich gerne ein – haben taz-Frauen mit Ambitionen | |
| Kalles Führungsstil sicher einiges zu verdanken. Nur komplizte er eben nie | |
| mit uns. Die Dame im Schachspiel ist zwar eine Figur mit viel | |
| Bewegungsspielraum, aber sie bewegt sich eben doch nur im Auftrag des | |
| Königs. | |
| König Kalle, er lebe hoch … hoch … hoch! | |
| 15 Dec 2019 | |
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| Klaudia Wick | |
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